Haas, Lorenz

Coordination Bits

Warm-up Excercises for Drum Set, Vol. 1

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Gilgenreiner Verlag, Winterthur 2015
erschienen in: üben & musizieren 4/2016 , Seite 59

„Wie kann man als Trommler nur so unabhängig sein? Das könnte ich nie!“ Kein Schlagzeuger, der nach einem Konzert nicht schon einmal so ähnlich angesprochen wurde. Und genau um diese Unabhängigkeit geht es in Coordination Bits von Lorenz Haas. Das Cover verdeutlicht den Inhalt, indem es ein comicartig aus roten Linien gezeichnetes Hirnknäuel zeigt, aus dem zwei trommelstockbewehrte Hände und zwei Füße herausragen.
Und was bieten die Coordination Bits? 26 Druckseiten mit buchstäblich allen möglichen Kombinationen der menschlichen Glied­maßen – von der Ordnungsnummer 1, einem Schlag einer einzelnen Hand, bis zur Nummer 14.15.15, einer Abfolge von drei Schlägen Dauer mit bis zu vier gleichzeitigen Schlägen. Nach der Vorstellung des Autors sucht sich jeder Nutzer des Hefts seinen eigenen Weg durch die Listen der Bits, um so seine Bewegungsabläufe zu automatisieren und die Unabhängigkeit und Koordination auf kleinstem Raum zu verbessern.
Das richtige Trainieren eines neuronalen Netzes ist gewiss die Voraussetzung für die korrekte Verarbeitung eines Musters in einem Nervensystem und damit verantwortlich für den Lernerfolg. Bei Übeprozessen müssen aber auch andere Bereiche beachtet werden. Wie z. B. steht es im Fall der Coordination Bits mit der Motivation zur Abarbeitung der Bit-Berge? Das Heft gibt sich in diesem Punkt extrem spröde und weist im Vorwort sogar explizit darauf hin, dass die Bit-Kombinationen „selbstverständlich nicht als Grooves oder musikalisch sinnvolle Patterns zu verstehen sind“.
Musikalisch abstrakte Übungen sind beim Erlernen eines Instruments äußerst wichtig, gerade auch beim Drum-Set. Sie verpuffen jedoch, wenn andere wichtige Faktoren (Körperlichkeit, musikalische Kommunikation…) vernachlässigt oder die Übungen nicht regelmäßig in die musika­lischen Inhalte integriert werden. Und genau hier wäre meines Erachtens die eigentliche Aufgabe des Hefts gewesen: Beispielhaft zu zeigen, wie aus den abstrakten Rhythmusbits durch musikalische Techniken (Wiederholung, Kombination, Variation, Augmentierung, Diminuition etc.) lebendige Rhythmen geschaffen werden können.
Rein technische Herangehensweisen mit seitenlange Listen von Schlagabfolgen haben in der Schlagzeugpädagogik seit Stick Control von George Lawrence Stone ihre Tradition und Berechtigung. Wichtig ist aber der richti­ge Umgang damit, der ohne qualifizierte und erfahrene SchlagzeugpädagogInnen nur schwer zu erlernen ist. Der scheinbar objektive Anspruch von technischen Übungen kann zu falschen Selbsteinschätzungen führen.
Fazit: Bei wohldosierter und kluger Anwendung sind die Coordination Bits als Aufwärmübungen durchaus eine Herausforderung für erfahrene Drummer und ihre SchülerInnen. Zur musikalischen Unabhängigkeit, die ja bekanntermaßen weit mehr ist als die rein körperliche Unabhängigkeit, bleibt es dann aber noch ein weiter Weg.
Stephan Froleyks