Brandstätter, Ursula / Martin Losert / Christoph Richter / Andrea Welte (Hg.)

Darstellen und Mitteilen

Ein Handbuch der musikalischen Interpretation, mit CD

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Schott, Mainz 2010
erschienen in: üben & musizieren 5/2010 , Seite 56

Der vorliegende Band, entstanden anlässlich des 60. Geburtstags von Ulrich Mahlert, umfasst 20 Beiträge namhafter AutorInnen zur musikalischen Interpretation. Beispielhaft zeigen sie an ausgewählten Musikstücken, die auf der beigelegten CD teilweise von den AutorInnen selbst eingespielt werden (Instrumentalwerke vom Barock bis zur Gegenwart, hörenswert!), wie sie mit dem Problem der Interpretation von Musik analysierend, deutend, spieltechnisch, aufführungspraktisch und didaktisch umgehen.
Die nach Verfassern alphabetisch geordneten Beiträge werden von einem grundlegenden Aufsatz Christoph Richters zur „Aufgabe des darstellenden Musizierens und des Instrumentalunterrichts“ und von einem Resümee mit dem „Versuch einer Interpretationsmethodik“ von Martin Losert eingerahmt. Die Eigenheit des Interpretationsprozesses selbst lässt aufgrund des kaum planbaren, subjektiven und experimentellen Charakters verallgemeinernde Aussagen zur Herangehensweise nur begrenzt zu. Auch die Verschiedenartigkeit der ausgewählten Musikstücke hat zur Folge, dass sich ein einheitliches Vorgehen der AutorInnen bei der Annäherung an Probleme musikalischer Interpretation und an adäquate Vermittlungsstrategien nicht festmachen lässt.
Antworten auf Fragen, ob und wie man Interpretieren lernen kann, geben Michael Dartsch für den Frühinstrumentalunterricht und Martin Losert für den Instrumentalunterricht im Bereich zeitgenössischer Musik. Gerhard Mantel demonstriert an Haydns Cellokonzert op. 1o1 die Zusammenhänge zwischen Spieltechnik und Interpretation. Andrea Welte fragt, ob Telemanns Fantasia D-Dur für Flöte solo mit der Traversflöte oder der Böhmflöte interpretiert werden soll. Am Beispiel eines Projekts zum Thema Fußball beschreibt Bianka Wüstehube, wie Grundlagen für den Ausdruckswillen bei Schülern geschaffen werden können. Den Wert von Interpretationsanalysen sieht Ursula Brandstätter im Herstellen von Zusammenhängen und dem Gebrauch von Metaphern. Barbara Busch empfiehlt den InterpretInnen, kompositions- und instrumentaltechnische, rezeptionsgeschichtliche, physiologisch-psychologische und räumliche Perspektiven zu berücksichtigen.
Als Grundlage für einen Gesamtentwurf der Interpretation des cis-Moll-Préludes von Rachmaninow wählt Linde Großmann die assoziative Vorstellung von Glockenklängen, während Thomas Menrath ein dramatisches Interpretationskonzept zur g-Moll-Ballade von Chopin entwickelt. Peter Röbke versteht Interpretieren als offenen Dialog mit dem Werk. Interpretationsprozesse im Rahmen von Chorarbeit beleuchten Marc Mönig und Daniel Zwiener. Besonderheiten der interpretatorischen Arbeit im Bereich Kammermusik arbeitet Christoph Richter heraus und Alexis Kivi beschreibt die Arbeit mit einem Schulorchester. Auf den Spezialfall interpretatorischer Elemente im Jazz geht Sigi Busch ein, während Probleme der Interpretation zeitgenössischer Musik von Oliver Krämer, Wolfgang Lessing und Wolfgang Rüdiger entfaltet werden.
In seinem Schlussbeitrag kann Martin Losert zusammenfassend aus unterrichtsmethodischer Perspektive zahlreiche lesenswerte Anregungen geben. Beeindruckend ist die Vielfalt der Aspekte, Details und Perspektiven, die die AutorInnen herausarbeiten. Den Anspruch eines „Handbuchs der musikalischen Interpretation“, so der Untertitel, kann der Band im Sinne eines umfassenden, systematisch geordneten Nachschlagewerks, das auch die musikpsychologisch-empirische und musikwissenschaftlich-historische Interpretationsforschung einbezieht, allerdings nicht einlösen.
Rudolf-Dieter Kraemer