Figdor, Helmuth / Peter Röbke
Das Musizieren und die Gefühle
Instrumentalpädagogik und Psychoanalyse im Dialog
Über den Sinn des Musizierens wurde schon viel nachgedacht. Auch wenn es in der Philosophie, Musikpädagogik und Psychologie inzwischen eine Vielzahl an Publikationen gibt, in denen versucht wird, dem Musizieren theoretisch auf den Grund zu gehen, fehlt vielen der praktische Bezug zur Wirklichkeit des Musizierens. Musikspezifische Reflexionen enden nicht selten in einer Abstraktion, die für viele nur noch schwer nachvollziehbar ist.
Ganz anders im vorliegenden Buch: Gerade der interdisziplinäre Dialog zwischen dem Instrumentalpädagogen Peter Röbke und dem Psychoanalytiker Helmuth Figdor nimmt der Thematik die Abstraktheit, sorgt für eine sinnvolle und gelungene Ergänzung in der theoretischen Reflexion. Während Röbke versucht, sich zunächst in „Selbstversuchen“ dem spezifisch musikalischen Ausdruck von Gefühlen beim Musizieren anzunähern und dem Leser emotionale Dimensionen bewusst zu machen, konzentriert sich Figdor jeweils in anschließenden Kapiteln auf die entsprechende psychoanalytische Reflexion. Dabei wird deutlich, inwieweit der Musik in der Symbolisierung von emotionalen Erfahrungen eine Exklusivität zukommt, die sich von anderen Künsten und Aktivitäten absetzt. An einigen Beispielen wie am „Phänomen des Lieblingsstückes“ oder dem Schülerkonzert von Rieding wird dies recht plausibel veranschaulicht.
Die pädagogische Intention dieses Buchs besteht u. a. darin aufzuzeigen, dass gerade beim Musizieren jeder seine eigene emotionale Wahrheit mit ins Spiel bringt. Jeder empfindet hier emotionale Zwischenräume auf seine Weise. Damit kommt Röbke zum Schluss, dass beim Unterrichten nicht die adäquate oder inadäquate Interpretation im Vordergrund stehen soll, sondern „das Recht auf das subjektive Gefühl bei einer Musik, die Verwurzelung des Musizierens in vitalen menschlichen Bedürfnissen, lustvolle Inanspruchnahme des Klingenden“. Letztendlich geht es in diesem Buch gar nicht um die Deutung von Gefühlen in der Musik, sondern um Perspektiven ihrer individuellen Aneignung.
Auf diesem Weg werden für die heutige Instrumentalpädagogik zeitgemäße und interessante Fragen aufgeworfen: Inwieweit sind SchülerInnen überhaupt schon in der Lage, ein Stück emotional zu gestalten? Können SchülerInnen emotional zu stark gefordert werden? Inwieweit ist musikalische Expressivität überhaupt erlernbar? Ist eine Didaktik der Expressivität auch eine Didaktik der gewollten und erwünschten Abweichung? Was kann agogisch noch zugelassen werden bzw. wo beginnt die unzulässige Temposchwankung?
Der Reiz dieses Buchs besteht darin, dass die Autoren viele Anstöße zum Nachdenken geben, aber keine Frage endgültig beantworten, sondern auch dem Leser eine eigene Reflexion abverlangen. Ein gelungener und zum Nachdenken anregender Ansatz für alle diejenigen, die etwas über ihre Gefühle beim Musizieren erfahren möchten.
Nicolai Petrat