Nachmanovitch, Stephen

Das Tao der Kreativität

Schöpferische Improvisation in Leben und Kunst

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: O. W. Barth, Frankfurt am Main 2008
erschienen in: üben & musizieren 4/2008 , Seite 52

Der Autor des 1990 im amerikanischen Original erschienenen Buchs ist Geiger und Improvisator. Er veranstaltet Workshops und unterrichtete Improvisation an der Juilliard School. In der internationalen Improvisationsszene allerdings scheint er eher unbekannt zu sein. Ein Blick auf seine Website verrät rasch, warum. Seine Improvisationen bewegen sich eher im tonal-harmonischen Idiom, fernab jeglicher Ideen einer, wenn auch letztlich unmöglichen Non-Idiomatik. Dass sich in seiner Literatur- und CD-Liste ganz vereinzelt Namen wie Derek Bailey, Cornelius Cardew oder Sylvie Courvoisier finden, wirkt eher als notwendiges Zugeständnis an eine Entwicklung improvisierter Musik, die sich seit den 1960er Jahren von Strömungen des Jazz und der zeitgenössischen komponierten Musik emanzipiert hat.
Der Titel des Buchs verrät einiges. Allem voran, dass es nicht darum geht, stilistische Fragen, Fragen nach Grenzgebieten zwischen Improvisation, Konzept und Komposition zu analysieren oder das Phänomen der Kreativität des Improvisierens psychologisch zu erklären. Der Autor erwähnt auch mit keinem Wort historische Entwicklungen und stilistische Unterschiede des Improvisierens zwischen idiomatischer und „freier“ Improvisation. Ebenso wenig unterscheidet er Improvisation und Intuition voneinander – eine Frage, die sich dem Leser sofort aufdrängt, betont der Autor doch immer wieder die Notwendigkeit der Vorbereitung, des Übens. Eine fundierte Analyse, was „Schöpferische Improvisation“ ist oder was sich genau dahinter verbirgt, bietet das Buch nicht.
Nachmanovitchs Überlegungen speisen sich vielmehr aus mehr oder weniger bekannten Grundlagen fernöstlicher Philosophie (aus westlicher Sicht, könnte man anmerken). „Geschehenlassen“ ist ein zentrales Stichwort. Dazwischen finden sich psychologische Gemeinplätze, etwa über die Angst des Urteilens, und Ratschläge, wie man dieser begegnet. Dass die Kunst dann noch als „Befreiungsfront der Phantasie“ herhalten muss und allgemein der Weltverbesserung dienlich sei, verwundert bei fortgeschrittener Lektüre kaum noch.
Die drei großen Abschnitte „Die Quellen“, „Das Schaffen“, „Blockaden und Öffnungen“ sind jeweils in einzelne Kapitel unterteilt: Medium, Fluss, Muse, Übung, Kraft der Grenzen und Fehler, Form (übrigens einer von diversen unreflektiert und ungeklärt verwendeten Begriffe), Ergebenheit, Geduld, Reifung etc. Allein diese Begriffe geben schon einen Einblick in das Denken des Autors. Er bemüht sich um Anschaulichkeit, greift immer wieder auf einmal eingeführte Metaphern zurück. Kurz: Das Buch ist, weitab jeden wissenschaftlichen Anspruchs, eher ein Lebensratgeber, in dem zwar anschaulich, aber letztlich oberflächlich fast schon psychologische Allgemeinplätze halbreligiös verbrämt („Improvisation ist ein Mysterium“, zitiert der Autor den Geiger Stéphane Grappelli) auf Musik übertragen werden.
Nina Polaschegg