Merk, Ulrike
Der fliegende Robert
Komponieren im Instrumentalunterricht – eine sinnvolle Ergänzung des pädagogischen Unterrichtsfelds?
Was muss der Instrumentalunterricht nicht schon alles leisten…Ist er nicht bereits mit sekundären Unterrichtsfeldern so stark überlastet, dass er keine Erweiterung seiner Aufgaben mehr verkraftet? Sollte man sich im Instrumentalunterricht nicht darauf beschränken, eine fundierte Instrumentalausbildung zu vermitteln? Sollte nicht sauber zwischen den Aufgabenfeldern des Instrumentalisten und denen des Komponisten getrennt werden, anstatt sie zu vermischen?
Die scheinbaren Fremdaufgaben des Instrumentalunterrichts sind vielfältig. Es geht im Instrumentalunterricht nicht nur darum, eine fundierte Instrumentaltechnik zu vermitteln, eine adäquate und überzeugende Interpretation von Werken zusammen mit dem Schüler oder der Studentin zu erarbeiten und ihn oder sie in die Repertoirekunde des Instruments einzuführen. Gerade an Musikschulen fallen viele musikalische „Nebenfelder“ in die Fachkompetenz von Instrumentallehrkräften. Sie werden zumeist nicht wie an den Hochschulen durch FachkollegInnen unterstützt, sondern vermitteln bis zu einem gewissen Grad zusätzlich Wissen aus den Bereichen Musiktheorie, Musikgeschichte und Formenlehre. Darüber hinaus sind sie verantwortlich für eine epochenspezifische Interpretation, die ebenfalls Besonderheiten des historischen Instrumentenbaus mit einbezieht. InstrumentallehrerInnen vermitteln ein ganzheitliches Wissen rund um ihr Instrument, das der musikalischen Interpretation dient. Aber ist das Arbeitsfeld damit schon ganzheitlich und abgerundet? Fehlt nicht noch eine wichtige Komponente, die den Schüler oder die Schülerin vielleicht zur Aufnahme einer musikalischen Ausbildung bewogen hat? Wo bleibt die Kreativität? Wo bleibt die Antwort auf den Drang des Schülers, sich selbst durch das Medium Musik auszudrücken?
Von der Renaissance über Barock bis zur Klassik war es übliche Instrumentalpraxis, dass Instrumentalisten bei Wiederholungen (z. B. in Arien) in der Lage waren zu variieren und dass Solokadenzen von Instrumentalkonzerten selbst gestaltet wurden, um die eigene Virtuosität, aber auch kompositorische Befähigung unter Beweis zu stellen. Das historische Selbstverständnis des Instrumentalisten finden wir im nachfolgend zitierten Lehrwerk von Carl Czerny. Die Grenzen zwischen Interpret und Komponist waren bei bestimmten Gattungen nicht nur durchlässig, sondern vom Interpreten wurde ein gewisses Maß an Beherrschung von kompositorischer Grundfertigkeit verlangt: „Wenn der ausübende Tonkünstler die Fähigkeit besitzt, die Ideen, welche seine Erfindungsgabe, Begeisterung, oder Laune ihm eingiebt, sogleich, im Augenblick des Entstehens, auf seinem Instrument nicht nur auszuführen, sondern so zu verbinden, dass der Zusammenhang auf den Hörer die Wirkung eines eigentlichen Tonstückes haben kann, – so nennt man dieses: Fantasieren. (:Improvisieren, Extemporieren.:) […] Auch dem Zuhörer biethet das Fantasieren einen eigenen Reiz dar, da in demselben eine Freyheit und Leichtigkeit der Ideenverbindung, eine Ungezwungenheit der Ausführung herrschen kann, die man in wirklichen Compositionen, (:selbst wenn sie als Fantasien benannt sind:) nicht findet.“1
Satztechnische Formen wie Passacaglia, Chaconne und Folia waren in ihrer Anfangsphase reine (Bass-)Schemata, die selbstständig musikalisch ausgefüllt werden mussten. Wo ist diese Fertigkeit geblieben, die Beherrschung des Instruments mit Satztechnik vereint? Es reicht also nicht, wenn Instrumentallehrkräfte noch einige Improvisationsübungen in ihr bereits so eng geschnürtes Aufgabenfeld aufnehmen, sie müssen einem ganz anderen historischen Anspruch gerecht werden. Improvisation ist gut und richtig, aber Improvisation ist nur der Startpunkt für ein selbstbestimmtes musikalisches Handeln, das im Komponieren münden kann.
Verschriftlichung war immer schon eine wichtige Komponente für Weiterentwicklung. Beispielsweise kommt die Entwicklung von Kulturen ohne Schrift weitaus langsamer voran als die Entwicklung von schriftunterstützten Kulturen. Übertragen auf die Musik bedeutet dies, dass erst ein Verschriftlichen von Improvisiertem die vertiefte Möglichkeit von Wertung, Verbesserung und Weiterentwicklung bietet. In diesem Punkt findet man Bestätigung bei Anselm Ernst, der das Komponieren ebenfalls als Weiterführung der Improvisation betrachtet: „Von Improvisieren zum Komponieren ist es kein weiter Weg. Die Erfahrung zeigt immer wieder, daß Schüler, die an der Improvisation Geschmack gefunden haben, ihre Einfälle festhalten möchten. Auch in diesem Punkt kann jeder Instrumentallehrer sich zutrauen, ausreichend fachliche Hilfe zu geben. Die Kompositionsversuche eines Schülers sind wertvolle Ansatzpunkte, in elementarer und ursprünglicher Weise musikalische Problemstellungen zu klären: die formale Gestaltung von Musikprozessen und die Ordnung der Töne, Klänge und Geräusche in den Dimensionen von Dauer, Stärke, Höhe und Farbe. Beim Improvisieren kann dies nicht so ausführlich zur Sprache kommen wie beim Komponieren.“2
Aus diesen Überlegungen heraus ist ein eigenständiges musikpädagogisches Konzept entstanden, dessen jüngste Schülerkomposition nachfolgend vorgestellt wird. Doch zunächst eine Aufwärmübung zum elementaren Komponieren im Instrumentalunterricht.
1 Carl Czerny: Systematische Anleitung zum Fantasieren auf dem Pianoforte op. 200, Wien 1829, Einleitung §1 + §3.
2 Anselm Ernst: Lehren und Lernen im Instrumentalunterricht, Mainz 1991, S. 52.
Lesen Sie weiter in Ausgabe 4/2009.