Weber, Carl Maria von

Der Freischütz

Bearbeitet für Kinderchor und kleines Instrumentalensemble von Barbara Comes und neu in Szene gesetzt von Immanuel de Gilde, Partitur

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Carus, Stuttgart 2019
erschienen in: üben & musizieren 1/2020 , Seite 62

Ach ja, man hat schon so sein Kreuz mit den Handlungen und Texten mancher klassischer Oper. Besonders Kindern diese musikdramatische Form schmackhaft zu machen, ist immer wieder eine Herausforderung an die didaktische Fantasie und den pädagogischen Elan. Die Landesmusikakademie in Ochsenhausen veranstaltet jedes Jahr eine Singwoche für Kinder und hat sich dafür auch eine Neubearbeitung des Freischütz von Carl Maria von Weber anfertigen lassen.
Der – wie das Verfasser-Duo selbst sagt – „leicht verstaubte“ Originaltext wurde gekürzt, der Diktion heutiger Kinder und Jugendlicher angepasst und in eine Rahmenhandlung überführt, die das eigentliche Geschehen der Oper in eine Art märchenhafte Erlebniswelt transformiert. Vier Jungen werden durch einen Schuss aus einer alten Jagdflinte, die sie in einer verlassenen Waldhütte finden, wie in einer Zeitmaschine zurückversetzt ins 17. Jahrhundert – und zwei von ihnen werden selbst zu zentralen Personen der Handlung (u. a. Max und Kilian).
Die Gesangstexte und die instrumentalen Partien werden unverändert beibehalten, aber auf ein kleines Instrumentalensemble reduziert, das mit Streichtrio (zwei Violinen und Viola) und Klavier grundiert wird und durch Klarinette, Horn und Pauken Teile des typisch romantischen „Weber-Sounds“ erhält. Ein interessanter Ansatz und sicherlich eine motivierende Vorlage für Kinder, eine spannende und zum Teil unheimliche Geschichte zu erleben und zu gestalten – in Anlehnung an Literatur, die der Kategorie „Gothic“ entspricht.
Das so entstandene Format von etwa 50 Minuten ist sicherlich, was die Spieldauer angeht, kindgerecht zu nennen. Die Schwierigkeiten der (vor allem) musikalischen Realisierung sollte man jedoch nicht unterschätzen. An die InstrumentalistInnen und SängerInnen werden gehobene Ansprüche gestellt – zumal die Wirkung auch nur dann erreicht wird, wenn alles auswendig gesungen wird. Es ist in jedem Fall sorgfältige stimmbildnerische Vorarbeit nötig: Tonumfang, rhythmische Struktur (Tempo gleich zu Beginn mit dem „Vivat-Chor“) und Artikulation müssen sitzen. Lyrischer und dramatischer Ausdruck in den gekürzten Arien der ProtagonistInnen, die alle durchaus chorisch gedacht sind, aber natürlich auch Raum für kleinere „Gruppen-Soli“ lassen, brauchen Atemtechnik und Klangkultur.
Dies ist sicherlich bei entsprechend kompetenten Leiterinnen und Leitern in einer komprimierten Arbeitsstruktur wie einer Singwoche durchaus zu leisten. Im Alltag eines Kinderchors könnte es bezüglich des Durchhaltevermögens und der ästhetischen Herausforderungen deutliche „Durststrecken“ geben. Aber Herausforderungen bedeuten ja auch Motivation und wenn man gleich mit der Wolfsschlucht-Szene beginnt, dürfte die Begeisterung für das Stück schnell geweckt sein!
Thomas Holland-Moritz