Mahlert, Ulrich

Die Frage nach dem Wie

Einige übergreifende Überlegungen zu Methoden im ­Instrumental- und Vokalunterricht

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 5/2009 , Seite 06

Musizierenlernen erfordert indivi­duelle Wege des Lernens und Lehrens. Methodischer Schematismus ist ­bedenklich. Benötigt werden ­Leitlinien für stimmiges und kom­petentes methodisches Handeln.

Wie Ziele von Unterricht das „Wozu“, Inhalte das „Was“ bestimmen, so geht es bei Methoden um das „Wie“. Beim Versuch, wichtige „Wie“-Fragen im Blick auf den Instrumental- und Vokalunterricht zusammenzustellen, kommt man nicht so schnell an ein Ende. Hier eine kleine Auswahl aus einem Katalog von „Wie“-Fragen, die Studierende in einer Seminarsitzung als besonders dringlich nannten – Fragen, die wohl auch für viele ­erfahrene Pädagoginnen und Pädagogen ­immer wieder neue Herausforderungen darstellen:
Wie kann ich dem Schüler helfen, seine Persönlichkeit zu entfalten und persönliche Erlebnisse/Empfindungen durch Musik wiederzugeben? Wie kann ich zur ästhetischen Bildung des Schülers beitragen? Wie stelle ich meinem Schüler ein neues Stück so vor, dass er sich dafür begeistert? Wie entwickle ich Rhythmusgefühl beim Schüler? Wie lehre ich Kammermusikspielen? Wie lehre ich Blattspiel? Wie bringe ich Notenlesen bei? Wie integriere ich Kreativität in den klassischen Inst­rumentalunterricht? Wie kann ich meinen Schüler zum Üben anleiten? Wie helfe ich dem Schüler, diszipliniert zu sein? Wie kann ich entscheiden, ob der Schüler das Stück genug geübt hat? Wie fördere ich Vorstellung und Wahrnehmung bei meinem Schüler? Wie kann ich technische und musikalische Arbeit verbinden? Wie weiß ich, was ich von dem Schüler verlangen kann? Wie unterrichte ich Anfänger? Wie motiviere ich meinen Schüler? Wie erlange ich eine angenehme Unterrichtsatmosphäre? Wie kann ich jemanden für das Instrument begeistern? Wie erlange ich das Vertrauen eines Schülers? Wie schaffe ich eine ausgewogene Balance zwischen Freundschaft und gegenseitigem Respekt in der Beziehung zwischen meinem Schüler und mir? Wie kann ich die Eltern einbeziehen?
Viele Bereiche und Aspekte des Instrumental- und Vokalunterrichts sind mit dieser kleinen Auswahl von „Wie“-Fragen angesprochen. Im vorgegebenen Rahmen lassen sich keine zureichenden Antworten ausführen. Hier sei vielmehr der Versuch gemacht, einige übergreifende Überlegungen zu methodischen Fragen des Musizierenlernens zu formulieren. Vielleicht können sie dabei helfen, persönlichen „Wie“-Fragen problembewusst nachzugehen.

Der Weg zu einem Ziel

Der griechische Begriff „Methode“ (méthodos, von hódos = der Weg und méta = hinter, zwischen, nach) bedeutet in wörtlicher deutscher Übersetzung so viel wie „der Weg zu einem Ziel“. In dieser Vorstellung wird ein Weg in doppelter Abhängigkeit gedacht: abhängig zum einem vom angestrebten Ziel und zum anderen vom Ausgangspunkt des Wegsuchenden. Das Denkmodell beinhaltet, dass in der Landschaft des Lernens und Lehrens die Erreichung jedes Ziels eigene Wege erfordert – und ebenso, dass alle Zielsuchenden ein und dasselbe Ziel nur auf individuellen Wegen erreichen können, da ja jeder ­Zielsuchende von einem eigenen Ausgangspunkt ausgeht.
Nach diesem Begriffsverständnis sind Methoden also keineswegs immer genormte, eingespurte Wege, auf denen jeder in gleicher Weise zuverlässig die entsprechenden Ziele erreicht. Vielmehr legt die besagte Auffassung nahe, Methoden als ein verschlungenes Wegegeflecht durch einen Dschungel von Lern- und Lehrmöglichkeiten zu sehen. Landkarten, das heißt Konzepte von Methoden, helfen zwar bei der Orientierung, doch garantiert ihre noch so genaue Kenntnis keineswegs, dass beim leibhaftigen Unterwegssein alles so aussieht, wie am Kartentisch vorgestellt.
Obwohl also Zielvorstellungen den Richtungssinn leiten, ist Lernen und Lehren immer eine Reise ins Offene, Unbekannte. Kaum je verläuft solches Reisen geradlinig, da Lernlandschaften komplizierte Bodenstrukturen mit üppigen Vegetationen aufweisen, da stets mit überraschenden, schwer voraussehbaren klimatischen, geologischen und anderen Bedingungen zu rechnen ist – und vor allem: da Reisende sehr unterschiedlich ausgestattet sind. Wer geeignete Wege finden will, muss aufmerksam sein und improvisieren können. Ein Schema F reicht nicht aus.
Lehrende können für das Finden geeigneter Lernwege ihrer Schülerinnen und Schüler durchaus unterschiedliche Funktionen haben: In manchen Phasen müssen sie mit Autorität auftretende Wegführer sein, in anderen behutsame Berater oder unaufdringliche Wegbegleiter, die die Wegwahl nicht vorschreiben, sondern den Schülern ihr Recht gewähren, allein zu gehen, sie möglicherweise sogar herumirren, suchen und hoffentlich finden zu lassen. Auch Letzteres kann wichtig sein: Lehrer meinen zwar meist, die besten, kürzesten und am sichersten zum Ziel führenden Wege zu kennen, aber manche scheinbar verworrenen Lernwege, zu denen auch Holz­wege gehören, sind nicht abkürzbar.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 5/2009.