Bossinger, Wolfgang

Die heilende Kraft des Singens

Von den Ursprüngen bis zu modernen Erkenntnissen über die soziale und gesundheitsfördernde Wirkung von Gesang

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Traumzeit-Verlag, Battweiler 2006
erschienen in: üben & musizieren 4/2007 , Seite 56

„Singen ist ein Lebenselexier“ – so könnte das Motto des Musik- und Psychotherapeuten Wolfgang Bossinger lauten, der sich insbesondere an Laien, PädagogInnen und TherapeutInnen wendet, um Potenziale des Singens aufzuzeigen, Barrieren vermeintlicher Unmusikalität abzubauen und zum Singen zu animieren. Seine Hymne auf den Gesang beginnt Bossinger jedoch nicht beim Menschen, sondern im Tierreich. Neben der Verteidigung des Reviers, dem Triumph im Erfolgsfall oder auch der Konfliktbeilegung dient das Singen dort gleichfalls dem künstlerischen, spielerischen und emotionalen Ausdruck – und ist durchaus musikalisch komplex!
Dass auch der Mensch auf vielfältige Weise vom Gesang profitiert, belegt der Autor eindrücklich zunächst an Naturvölkern, etwa an den musikalischen Gerichtsverhandlungen der Inuit oder den Songlines der Aborigines. So fasst Bossinger hier nicht nur sehr Interessantes und Wissenswertes über Gesang und Stimme zusammen, sondern führt die LeserInnen zu deren Ursprünglichkeit und Natürlichkeit zurück.
Das zentrale Kapitel widmet sich verschiedenen physischen und psychischen Heilkräften des Singens, wozu Entspannung und Stärkung des Immunsystems ebenso gehören wie Gefühle von Harmonie, Wonne und Frieden oder auch Trance und Ekstase. Dabei spricht Bossinger jedoch vom Singen und Musizieren, ohne diese Differenzierung zu erläutern. Der Fokus liegt wechselweise auf Singen, Stimme allgemein und auch Musikhören – so thematisiert er beim pränatalen Hören die Stimme der Mutter an sich oder er schildert den Einfluss der Musik im Allgemeinen auf die Entwicklung von Kindern –, ohne dass die jeweiligen Qualitäten und Grenzen spezifiziert würden.
Die Bedeutung des Gesangs hat man aufgrund der langen, zuweilen repetitiven Schilderung, was Musik alles vermag, längst begriffen, bevor Bossinger endlich, vergleichsweise kurz, den Schritt zur Praxis vollzieht. Wünschenswert wäre nun – jenseits der Anmerkungen, wie man einen Lehrer finden kann und welches geeignete Chants wären –, den konkreten Weg zum unmittelbaren Selbsterleben zu erfahren. Ebenso fehlt diesem Buch leider eine saubere Endkorrektur. Die einfühlsame Sprache des Autors, in der immer Respekt und Bewunderung für die Gesangspraktiken verschiedener Religionen und Kulturen sowie große Wertschätzung und Sensibilität für seine Patienten mitschwingen, wird durch eine kleingliedrige Kapitelstruktur mit teils wenig pointierten Überschriften ebenso beeinträchtigt wie durch das unruhige Satzbild und etliche orthografische Fehler.
Eine herzliche Einladung, Gesang ins tägliche Leben zu integrieren, ist Bossingers Plädoyer dennoch. Denn Lust, aus vollem Hals einfach mal wieder so richtig loszulegen, vermittelt diese Lektüre in jedem Fall!
Astrid Bernicke