Vickers, Catherine

Die Hörende Hand

Klavierübungen zur Zeitgenös­sischen Musik, Band I: Skalen – Intervalle – Tonkomplexe / Band II: Lautstärken – Pedal – An­schlä­ge – Artikulationen – Von der Taste zur Saite / Band III: Zeit und Rhythmus

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2007/2008/2017
erschienen in: üben & musizieren 6/2018 , Seite 54

Dieses hervorragende Kompendium der erfahrenen Klavierprofessorin Catherine Vickers be­inhaltet zahlreiche technische Übungen, die eine Brücke zur zeitgenössischen Musik bauen. Im ersten Band werden die sieben Modi von Olivier Messiaen vorgestellt und als Skalen mit unterschiedlichen Fingersätzen trai­niert. Anschließend gibt es aus den Modi entwickelte Intervall-gruppen in kleinerem und größe­rem Ambitus und zahlreiche akkordische Tonkomplexe, aus wel­chen wiederum Ton- und Intervallgruppen abgeleitet werden.
Im zweiten Band kommt eine genau differenzierende Lautstärke und das Training verschiedener Pedaltechniken hinzu. Von den Anschlagsarten wird das stumme Tastenhalten zur Entwicklung der Resonanzklänge, das Nachgreifen und das Spiel mit halbem Tastendruck sowie mit blockierten Tasten geübt. Im Kapitel „Von der Taste zur Saite“ werden unterschiedliche Flageolettonpositionen an den Saiten im Flügelinnenraum, das Zupfen, Wischen oder Schlagen der Saiten sowie einige Möglichkeiten zur Präparation gezeigt.
Nun ist der dritte Band als Neuerscheinung dazugekommen, in welchem Grundlagen für die Erarbeitung zeitgenössischer Kompositionen von beispielsweise Boulez, Stockhausen, Ligeti oder Xenakis gelegt werden. Hierbei liegt der Fokus auf besonderen Trainingsmustern zur Erarbeitung komplexer Rhythmen und polyrhythmischer Überlagerungen, wie sie die zeitgenössische Musik häufig verlangt. Es gibt zudem Kapitel über die freie, fließende Geschwindigkeit, asymmetrisch verlängerte bzw. verkürzte Notenwerte und Pausen sowie zur freien Metrik. Zur Übung polyrhythmischer Überlagerungen gibt es unterschiedlich zu betonende Texte.
Die verbalen Anweisungen und Erklärungen von Catherine Vickers sind in allen drei Heften sehr verständlich formuliert. Wer zeitgenössische Musik erarbeiten möchte, findet hier reichhaltige Anregungen, um sich selbst Übungen zusammenzustellen, die dem eigenen Profil dienen. Diese können sensibilisieren in Richtung eines erweiterten harmonischen Hörens, das bis in dichteste Clusterstrukturen oder über das ganze expandierende Klangspektrum des Flügels und darüber hinaus zum Klangexperimentellen mit Obertönen oder Präparationen führt.
Die Autorin schreibt am Ende: „Viele Werke des Standardrepertoires, die einst als unspielbar galten, werden heute von unzähligen Pianisten aufgeführt. Denken Sie daran, wenn Sie in Kompositionen auf Passagen stoßen, die utopisch zu sein scheinen. Sich als Teil der Entwicklung der Künste und der Erweiterung unserer physischen und intellektuellen Grenzen zu fühlen, kann zu unserem Glück und unserer Zufriedenheit beitragen.“ Wer eine Brücke sucht, um in die zeitgenössische Musik einzutauchen, sollte unbedingt Die hörende Hand dazu verwenden.
Christoph J. Keller