Behschnitt, Rüdiger

„Die Jahre waren sehr erfüllt“

20 Jahre an der Bundesakademie für musikalische Jugendbildung Trossingen: Abschied von Akademie-Direktor René Schuh

Rubrik: Bericht
erschienen in: üben & musizieren 6/2021 , Seite 56

Lieber Herr Schuh, nach genau 20 Jahren, davon 15 Jahre als Direktor der Bundesakademie für musikalische Jugendbildung haben Sie Ende September die Akademie und Trossingen verlassen. Was waren in dieser Zeit aus Ihrer Sicht die wichtigsten Entwicklungen innerhalb der Bundesakademie?
Die wichtigste Entwicklung war eindeutig unsere inhaltliche Ausrichtung der vergangenen Jahre. Sehr bewusst und konzentriert haben wir unsere Aktivitäten voll und ganz auf die Ziele des Kinder- und Jugendplans* ausgerichtet. Dies führte zu einer neuen inhaltlichen Breite und einem deutlichen quantitativen Zuwachs unseres Angebots. Neben den großen und aktuellen Querschnittsthemen wie Teilhabe, Inklusion oder Partizipation haben wir viele weitere Aspekte der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen aufbereitet, die es ermöglichen sollen, möglichst viele Kinder und Jugendliche mit kultureller Bildung zu erreichen.
Um diesen Weg gehen zu können, mussten wir auf vielen Ebenen neue Ressourcen schaffen. So hat sich unser Personalstamm – der ja das Herzstück einer am Menschen ausgerichteten Arbeit ist – in den vergangenen Jahren deutlich vergrößert. Erst Anfang dieses Jahres wurde uns glücklicherweise eine lang ersehnte neue Dozentenstelle genehmigt, die wir für unsere aktuelle und modellhafte Konzeptionsarbeit dringend brauchen.
Besonderes Augenmerk legten wir auf die gesamte Infrastruktur der Bundesakademie. Nahezu zehn Jahre lang wurde die Akademie grundlegend und vollständig für über 14 Millionen Euro saniert, wir haben hervorragende akustische, sonnendurchflutete Räumlichkei­ten geschaffen, in denen man auch nach einem langen Unterrichtstag noch konzentriert arbeiten kann.
Und letztendlich haben wir uns schon frühzeitig intensiv mit der Digitalisierung beschäftigt und können nicht nur modernste Arbeitsmedien und -formen zur Verfügung stellen, sondern konnten mit unserem digitalen Angebot gerade in den vergangenen eineinhalb Jahren schnell unsere Teilnehmerinnen und Teilnehmer unterstützen. Nicht zuletzt haben wir die internationale ISO9001-Zertifizierung ebenso umgesetzt wie die AZAV-Zertifizierung der Agentur für Arbeit. Damit können unsere Gäste nicht nur Bildungsurlaub in allen Bundesländern, sondern auch Bildungsprämien oder Bildungsgutscheine nutzen und leichter an unseren berufsbegleitenden Lehrgängen teilnehmen.

Sie haben die Zeit der Pandemie bereits angesprochen: Auch die Akademie in Trossingen musste lange Zeit leer stehen und in kurzer Zeit ihr Angebot auf digitale Vermittlung umstellen. Wie haben Sie diese Zeit erlebt? Was hat die Akademie aus diesen Erfahrungen gelernt? Was geht digital, was nicht – und was wird auch in der Zukunft digital bleiben?
Zweimal war auch unser Haus viele Monate geschlossen, doch ruhte der inhaltliche Betrieb nie. Die Zeit war durchaus anspruchsvoll und ich glaube, wir haben niemals so viel gearbeitet wie in dieser Zeit. Wir waren ja allesamt Pandemie-Anfänger und niemand wusste, wie es in der nächsten Woche weitergeht. Das eigentliche Kunststück war, die Situation pragmatisch und positiv zu gestalten – und da zog das ganze Bundesakademie-Team äußerst positiv und konstruktiv mit.
Uns beschäftigten zunächst viele operationale Fragestellungen und wir wollten so rasch wie möglich Musikpädagogen und Amateurmusikern fachliche Unterstützung im Umgang mit dieser Situation geben, die wir selbst nicht kannten. Und so rüsteten wir uns jede Woche neu mit allen Varianten von Unterrichtskonzepten, die uns möglich erschienen. Dieser Variantenreichtum vervielfachte unsere Arbeit, aber wir konnten damit durchgehend bei unseren Teilnehmerinnen und Teilnehmern präsent bleiben und sie unterstützen.
In einem zweiten Schritt sahen wir es für das gesamte Feld des digitalen Arbeitens als unsere Aufgabe, die digital gestützten Unterrichtskonzepte, die plötzlich auftauchten und auf den Markt geworfen wurden, zu überschauen, fachlich, methodisch und didaktisch zu strukturieren, Neues zu entwickeln und dies in einem Gesamtkonzept zur Verfügung zu stellen – insbesondere mit der Fragestellung, was auch nach Corona sinnvoll und gewinnbringend in den musikpädagogischen Arbeitsalltag integriert werden kann. Diese umfassende digitale Unterrichtsreihe sprach zahlreiche Lehrende an, die sich in Diskussionsrunden, Plattform-Einführungen, vertiefender Arbeit mit Apps oder auch digitalen DSGVO-Fragen wiederfinden konnten und dankbar für diese Unterstützung waren.
Wollen wir der Pandemie etwas Gutes abgewinnen, so war es mit Sicherheit der neue Pioniergeist, mit dem so viele Musikpädagoginnen und -pädagogen alle nur möglichen (und unmöglichen) Wege erprobten und einsetzten, um mit ihren Schülerinnen und Schülern in Kontakt zu bleiben und weiter tätig sein zu können – das war eine unfassbare Leistung. Der durchaus noch bestehende Vorbehalt vor „Digitalem“ war gefallen. Zugleich waren insbesondere im musikalischen Bereich vor allem die Kommunikationstools noch keineswegs auf einem ausreichenden technischen Stand. Da konnte man fantasievolle, auch kuriose Workarounds beobachten, um nur in irgendeiner Form gemeinsam musikalisch arbeiten zu können.
Dies ist inzwischen ein weiterer Vorteil: Zahlreiche Tools, Programme und Plattformen haben durch den hohen Bedarf einen großartigen Innovationsschub erfahren, auf den wir sonst sicherlich Jahre gewartet hätten. Wir stehen heute mit der Qualität von Online-Anwendungen auf einem völlig anderen Level. Und ein Drittes: Man hat sich in einer Weise geholfen, wie man sie lange nicht erlebt hat. Nicht nur die Betroffenen haben sich in neuen Communitys unterstützt, auch die App-Hersteller und Plattformbetreiber brachten sich in dieser schweren Zeit mit vielen kostenfreien Angeboten und fachlicher Unterstützung ein.
Was bleiben wird ist mit Sicherheit ein neues, deutlich offeneres Selbstverständnis im Einbezug digitaler Medien im Unterricht, gepaart mit der Reflexionsfähigkeit, wann welches Medium sinnvoll einsetzbar ist. Qualitätvolle Tools werden sich durchsetzen, viele schwache Tools wieder verschwinden. Die durchaus bestehenden Sorgen, dass Onlineunterricht im musikpädagogischen Bereich den analogen Präsenzunterricht ersetzen könnte, wurden weitgehend zerstreut und auch Grenzen des digitalen Unterrichtens sichtbar. Die Verzahnung beider Elemente wird auch nach Corona den Unterricht bereichern, Üben neu gestalten und Unterrichtssettings erneuern. Die Digitalität als eigenständiges künstlerisches Medium wird ihren Platz finden. Die neuen Formen von Kommunikation und Organisation werden grundlegend verändert bleiben.

Mit etwas Abstand und im Rückblick: Gibt es etwas, was Sie heute anders machen würden? Und auf der anderen Seite: Welches war Ihr schönster Moment an der Bundesakademie in Trossingen?
In 20 Jahren trifft man eine sehr große Anzahl an auch risikofreudigen Entscheidungen, von denen man erst im Nachhinein weiß, ob es die richtigen waren. Mit Sicherheit gab es dabei auch einige, die man anders hätte treffen können oder die einer Korrektur bedurften. Ich hatte das große Glück, zahlreiche sehr verbindliche Partner an der Seite zu wissen, mit denen es um das Erreichen von vielfältigen Zielen ging. Mit ihnen gelang es stets, auch über notwendige Umwege und mit teils üppiger Geduld erfolgreich gemeinsam anzukommen.
Und ja, es gab eine ganze Anzahl schönster Momente; die 20 Jahre waren sehr erfüllt. Einen einzigen herauszuheben, entspräche nicht dem Erlebten. Vielleicht kann ich es auf drei Ebenen zusammenfassen: Dass unsere inhaltliche Arbeit für die musikalische Bildung von Kindern und Jugendlichen in Deutschland – und damit auch unsere Existenzbegründung – über die 20 Jahre hinweg stets positiv von allen fördernden Ministerien, den Trägerverbänden und den Zertifizierungs­stellen bis hin zu Bundes- und Landesrechnungshof anerkannt und geschätzt wurden, habe ich tatsächlich immer wieder und ganz persönlich als glückliche Momente empfunden. Natürlich war auch die Einweihung der neuen Bundesakademie mit all ihrer feinsinnigen Ausstattung, den Umbauten und das erste Erklingen des Konzertsaals ein sehr erfüllendes Erlebnis. Und eine immer wiederkehrende, für mich sehr wertvolle Motivation waren die vielen sich wohlfühlenden Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die oft so ganz zufrieden, bereichert und auch glücklich nach Hause gingen und wiederkamen – das habe ich stets genossen.

* Der Kinder- und Jugendplan des Bundes ist das wichtigste Instrument der Jugendförderung auf Bundesebene. Gefördert werden in der Regel Projekte freier Träger, die für das Bundesgebiet als Ganzes von Bedeutung sind.

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