Ignatzek, Klaus

Die Jazzmethode für Klavier Solo

Skalen - Improvisation - Artikulation, mit CD

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2006
erschienen in: üben & musizieren 5/2006 , Seite 64

Die Little Stories in Jazz von Mike Schoenmehl erfreuen sich großer Beliebtheit. Neben vielen weiteren Veröffentlichungen legt er nun nach 22 Jahren einen Folgeband vor. Der Begriff Jazz wird weit gefasst, neben Blues, Swing, Jazzballaden und -walzern stehen auch Cajun- und Rocktitel. Die Palette reicht von Geläufigem oder technischer Übung bis zu ausnotierter Improvisation; der Schwierigkeitsgrad changiert zwischen 1 und 3.
Einige Kompositionen orientieren sich deutlich an Vorbildern (z. B. Nr. 1 an Peterson, Nr. 10 an Adderley), was durchaus sinnvoll ist, da verschiedene Jazz-Stilistiken geübt werden sollen. Manche Erfindungen sind sehr schön (Nr. 14), andere unbefriedigend (Nr. 2). Jazztypisch sind Schoenmehls Harmonisierung, Rhythmik und Artikulation, untypisch die häufig ungeradtaktige Phrasenbildung und tonale Offenheit.
Im Druckbild wurde zuweilen auf eine Generalvorzeichnung verzichtet, obwohl diese das Lesen erleichtern würde (z. B. Nr. 15 F-Dur). Auch mangelt es an erinnernden Vorzeichen oder Auflösungszeichen in einem Folgetakt, was nicht nur für das Blattspiel ein Problem darstellt. (In Nr. 6, Takt 49 fehlt eine Note, in Nr. 13, Takt 15 ein Bindebogen.)
Die knappen Erläuterungen machen deutlich, dass in jedem Stück ein technisches oder rhythmisches Problem thematisiert ist; hierzu gibt es auch Übevorschläge und Varianten. (In den Anmerkungen zu Nr. 7 wurde im letzten Notenbeispiel die linke Hand falsch übertragen). Als Klavierlehrer oder -lehrerin ist man aufgefordert, harmonische Modelle zu isolieren, Transpositionen spielen zu lassen usw. Ein kreativer Umgang über den Notentext hinaus ist also möglich. Freilich wird kaum das ganze Heft bei jedem Gefallen finden; hier gilt es auszuwählen.
Nach einem Band zu Voicings, Akkorden und Begleitung hat Klaus Ignatzek seine Klavier-Jazzmethodik mit einer Schule zum Solospiel erweitert – eine systematische Anleitung zur Improvisation. 13 Kapitel reichen vom Improvisieren mit Skalen über Kadenzen, mit Zieltönen, Arpeggien bis zum Blues. Die Physiognomie der menschlichen Hand begründet die Auswahl des Grundtons des für fast alle Übungen mit Modi, dadurch sind die Beispiele nicht immer leicht zu lesen. Ausgangspunkt sind Skalen, Akkorde werden von diesen abgeleitet, aber wenig erläutert. Oberste Priorität genießt das individuelle Spiel, die Notenbeispiele bieten lediglich Anregungen.
Die beigefügte CD mit 98 kurzen Klangbeispielen lässt sich durch die Kanaltrennung von Klavier und Bass sehr gut nutzen, indem vorgeschlagene Bassmodelle, Akkorde, Skalen und eigene Erfindungen getrennt dazu gespielt werden können. Zu loben ist, dass der Autor, Jazzpianist von internationaler Reputation, die CD selbst im Klaviertrio eingespielt hat.
Zunächst verbleiben die Übungen innerhalb einer Leiter, anfänglich auch in freiem Rhythmus, danach werden Skalen miteinander verbunden, um zu kompletten Stücken voranzuschreiten. Dieses methodische Modell liegt auch dem Kapitel zu kadenzbezogenem Spiel zugrunde. Ignatzek setzt voraus, dass der Schüler (er wird geduzt) zu transponieren bereit und in der Lage ist. Eine Auflistung sämtlicher Leitern bleibt ausgespart, damit wird auch der Umfang des Bandes in Grenzen gehalten. Dennoch werden diese bei den Übungen, die mehrere Modi erfordern, abgedruckt. (Hier schlichen sich auch Fehler ein: auf Seite 40 fehlt e-lokrisch, auf Seite 44 sind g- und e-lydisch verwechselt; das Beispiel 28 erklingt nicht in C; aber dies sind wenige Ausnahmen in einem insgesamt gut aufbereiteten Material.) Lokrisch wird als Kirchentonart geführt, obwohl sie keine ist – in der Jazz-Systematik freilich ist dies gängig. Die besondere Behandlung einzelner Töne aufgrund deren Spannung wird begründet, für alterierte Dominanten werden verschiedene Möglichkeiten angeboten. Der (bedingt durch den Aufbau sich oft wiederholende) Text ist knapp gehalten, auf Technisches und Analytisches beschränkt, einige Begriffe (nicht die Inhalte) sind ausgespart (rhythm change oder Quintfallsequenz tauchen nicht auf, Optionstöne werden erst auf Seite 88 so benannt).
Mit dem Abschnitt zu Zieltönen für Improvisationslinien bietet der Autor ein meist vernachlässigtes Verfahren für eine sinnvolle melodische Gestaltung an. Beispiele für Motivik und das inside-outside-Spiel sind für Fortgeschrittene willkommene Ergänzungen. Diese Schule eignet sich zum Eigenstudium wie auch zur Arbeit mit einem Lehrer oder einer Lehrerin, sie ist für Einsteiger geeignet wie für angehende Profis gewinnbringend. Diesem gelungenen Werk ist eine große Verbreitung zu wünschen.
Christian Kuntze-Krakau