Waloschek, Maria Anna / Constanze Gruhle (Hg.)

Die Kunst der Lehre

Ein Praxishandbuch für Lehrende an Musikhochschulen

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Waxmann, Münster 2022
erschienen in: üben & musizieren 6/2022 , Seite 57

Trotz der Flut an Neuerscheinungen zu aktuellen Trends und Perspektiven der Lehrentwicklung an Hochschulen und Universitäten sind Veröffentlichungen, die sich ganz konkret und praxisnah den Besonderheiten des Lehrens und Lernens an Musikhochschulen widmen, rar gesät. Diesem Desiderat begegnet das vorliegende Praxishandbuch, welches sich der Planung, Entwicklung, Umsetzung und Reflexion von Lehren und Lernen an Musikhochschulen widmet. Die hier vorgestellten Ansätze orientieren sich dabei an studierendenzentriert und konstruktivistisch ausgerichteten bildungstheoretischen Diskursen, deren Inhalte nun erstmalig in umfangreicher Form auf Musikhochschulen übertragen und hinsichtlich der besonderen Bedürfnisse von Musikhochschullehre weiterentwickelt werden.
Der Band untergliedert sich in sechs Themen-Cluster, denen die zahlreichen Einzelbeiträge thematisch zugeordnet sind: Im ersten Kapitel „Lernen – ein Einstieg“ wird Lernen aus lernpsychologischer, neurophysiologischer sowie lerntheoretischer Sicht in den Blick genommen, übergeordnete Zieldimensionen werden diskutiert sowie lebenslanges Lernen in Bezug auf Weiterbildungsangebote und Öffnung von Musikhochschullehre thematisiert.
„Lehre entwickeln“ stellt den Schwerpunkt des zweiten Kapitels dar, in dem praxisnahe Ansätze zu einer studierendenzent­rierten Konzeption von Lehrveranstaltungen vorgestellt werden: Die Formulierung von Lernzielen, die Auswahl und Kombina­tion von Methoden sowie Einsatzmöglichkeiten digitaler Anwendungen und Medien werden hier mit Blick auf unterschiedliche Unterrichtsformen an Musikhochschulen beleuchtet. Das Kapitel wird mit dem für künstlerisch-pädagogische Lernprozesse zentralen Thema des Übens und der Selbstfürsorge abgerundet.
Beziehungsgestaltung durch wertschätzende, respektvolle sowie funktionierende Kommunikation wird sodann im dritten Kapitel „Kommunikation gestalten“ thematisiert. Kommunika­tion, künstlerisches und persönliches Wachstum im Rahmen von Lehrenden-Studierenden-Beziehungen, der Umgang mit internationalen Studierenden, Peer-Feedback und Fehlerkompetenz bilden die Spotlights dieses Themenfelds.
Im vierten Kapitel „Lehrkompetenzen reflektieren und vertiefen“ wird die Reflexionskompetenz als zentrales Element der Professionalisierung von Lehrkräften in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung gestellt. Als eine wesentliche Voraussetzung für die Weiterentwicklung der Lehre wird Reflexion dabei nicht nur auf Selbstreflexion bezogen, sondern auch im Hinblick auf Formen kollektiver Reflexionsmöglichkeiten geweitet.
„Prüfen und Bewerten“ stellt schließlich den Diskussionskern des fünften Kapitels dar. Dieses ebenso zentrale wie auch sensib­le Thema beinhaltet neben der Frage nach Prüfungsformaten, -kriterien, Fairness, Transparenz sowie lernprozessbegleitenden Feedbackformen auch die Orientierung von Prüfungen an späteren Berufsfeldern. Prüfungen möchten und können dabei nicht (mehr) als „Abschluss“ angesehen werden, der lebenslange Berufsfähigkeit garantiert, sondern sollen Impulse für die individuelle Weiterentwicklung im Rahmen der Gestaltung der eigenen lebenslangen Bildungsbiografie geben.
Die Themenfelder der ersten fünf Kapitel werden schließlich im Kapitel „Lehrpraxis konkret“ zusammengeführt, in welchem Einblicke in ausgewählte Best-Prac­tice-Beispiele gegeben werden, die weitreichende Inspirationsräume öffnen – insbesondere in Bezug auf fächerübergreifende Formate, Vernetzung, Transfer, Kooperationen, Kollaboration und kollegiale Zusammenarbeit. Die hier vorgestellten Beispiele veranschaulichen, wie ein Spagat zwischen Bildung und Berufspraxis, Theorie und Praxis als auch Forschung und Vermittlung gelingen und lebendig gestaltet werden kann.
Zahlreiche Reflexionsanregungen, Denkanstöße, Fallbeispiele, praktische Übungen und Leitfäden bieten zudem Gelegenheiten, den eigenen Methoden, Kommunikationsstilen und mehr oder weniger bewussten Lehr­gewohnheiten auf die Spur zu kommen, und runden diese Fundgrube an Wissen, Erfahrung, Verknüpfung und Praxisanregungen ab. Weiterführende Literaturempfehlungen nach jedem Beitrag sowie ein Überblick zu hochschuldidaktischen Angeboten, Weiterbildungs- und Vernetzungsmöglichkeiten am Ende des Bandes laden zu weiterer Auseinandersetzung mit und Austausch über die hier vorgestellten Themenfelder ein.
Sich rasant wandelnde Umgebungen erfordern und bedingen eine andauernde Prozessbereitschaft. Dieser Band exemplifiziert, dass Lehrqualität nur als Prozessqualität bestimmbar ist. Dabei wird der Ruf nach Kollaboration und Vernetzung als Leit­figuren aktueller Bildungsdiskurse in die Musikhochschullehre weitergetragen, der die Etablierung einer Kultur des Miteinanders an Musikhochschulen fordert. In diesem Sinne müssen sich Musikhochschulen als stetig lernende Organisationen in einem Reflexions- und Veränderungsprozess begreifen, welcher niemals zur Ruhe kommen darf und die Kreativität der einzelnen Lehrenden und Lernenden hinsichtlich der Gestaltung von Lehr-Lern-Umgebungen unterstützt. Dieser Band gibt hierzu vielseitige Anregungen.
Karolin Schmitt-Weidmann