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Behschnitt, Rüdiger / Mario Müller

„Die neuen Kriterien sind schwieriger zu erreichen“

Der Vorsitzende des bdfm im Gespräch über das neue Zertifizierungsverfahren für seine Mitgliedsschulen

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 6/2018 , musikschule )) DIREKT, Seite 04

Lieber Mario Müller, im Herbst 2017 hat der Bundesverband der freien Musikschulen (bdfm) für seine Mitglieds­schulen ein neues Zertifizierungssystem eingeführt, was zum Teil für hefti­ge Kritik sorgte.1 Was hat den bdfm zu diesem Schritt bewogen und wie sieht das neue System konkret aus?
Es ist richtig, dass der bdfm eine bundes­weite Zertifizierung für freie Musikschulen eingeführt hat. Uns war dieser Schritt wichtig, um in der Öffentlichkeit die Qualität der freien Musikschulen besser darstellen zu können. Sowohl für Schüler, Eltern als auch die Politik ist die Transparenz über den Zustand einer Musikschule ein entscheidender Faktor. In der Zertifizierung fragen wir nach der Ausbildung der Lehrkräfte, vorhandenen erweiterten Führungszeugnissen und Haftpflichtversicherungen aller Dozenten, nach der Ausstattung der Unterrichtsräume und erwarten eine gute Verwaltung mit festen Telefonzeiten.2

Bislang mussten Musikschulen, um Mitglied im bdfm zu werden, bereits diese Kriterien erfüllen. Nach den neuen Richtlinien werden auch Schulen auf­genommen, die die Kriterien noch nicht erfüllen, um dann nachträglich zertifiziert zu werden. Ist das denn nicht ein qualitativer Rückschritt?
Nein, ist es nicht. Die alten Aufnahme­bedingungen des bdfm haben lange nicht diesen hohen Standard wie die neue Zertifizierung. Außerdem wurden die Kriterien nach Eintritt in den Verband nicht mehr überprüft. Mit dem neuen Zertifizierungsverfahren wird jede Musikschule mit Zertifizierung alle drei Jahre erneut überprüft, sodass in diesen Schulen der Qualitätsstandard immer neu garantiert werden kann.
Der bdfm sieht sich nicht nur als Verband für Musikschulen mit hohem Qualitäts­niveau, sondern auch als Entwickler der freien Musikschullandschaft in Deutschland. Viele Musikschulen benötigen Hilfe auf dem Weg zur Zertifizierung. Genau diese Hilfe können wir den Schulen am bes­ten geben, wenn sie dem großen Netzwerk des bdfm angehören. Für Schüler und Eltern einer freien Musikschule ist es durch das bdfm-Label klar ersichtlich, welche Schule zertifiziert ist und welche nicht. Diese Schulen sind auch online in unserem Musikschul-Finder3 entsprechend dargestellt.

Wie läuft so eine Zertifizierung denn konkret ab und welches Gremium ­entscheidet darüber?
Sämtliche erforderlichen Unterlagen werden von der Musikschule an die bdfm-­Geschäftsstelle nach Berlin geschickt. Dort wird sowohl der Inhalt als auch die Vollständigkeit überprüft. Wenn alle Dokumente komplett sind, wird ein Prüfer ausgesucht. Ihm werden alle Unterlagen zur Verfügung gestellt.
Dieser Prüfer besucht anschließend die Musikschule, füllt ein Besichtigungsprotokoll aus und fertigt eine Fotodokumenta­tion der Musikschule an. Die Empfehlung des Prüfers ist dann ein weiterer wichtiger Schritt zur Zertifizierung. Wenn dies geschehen ist, entscheidet der „Vorstand Qualitätsmanagement“ mit seinem Team anhand der eingereichten Unterlagen und dem Bericht des Prüfers über die Zertifizierung der Musikschule.

Auch im bdfm wird es viele Musik­schulen geben, die fast alle formalen Voraussetzungen erfüllen, aber z. B. Lehrkräfte beschäftigen, deren formale Qualifikation nicht den Richtlinien des bdfm entspricht. Wie geht Ihre Zerti­fizierung damit um?
Für Lehrer, deren Ausbildung formal nicht ausreicht, hat der bdfm die bdfm-Lehr­be­fä­higung. Diese Lehrbefähigung erhält ein Lehrer durch eine Art Lehrprobe. Der Dozent muss seinen musikalischen Werdegang, den Nachweis musikalischer und päda­go­gischer Seminare, seinen pädagogischen An­­satz und eine Videolehrprobe von zweimal 30 Minuten einreichen. Diese Unterlagen werden dann von einer Fachjury gesichtet.

Hier könnte der Eindruck einer Eigen-Zertifizierung entstehen. Wer sitzt in dieser Fachjury? Und ist eine Beurteilung der Lehrqualität anhand von Videoaufzeichnungen überhaupt möglich und seriös?
Es ist derzeit eine Eigen-Zertifizierung, da sich derzeit kein Verband dem Thema Nach­qualifikation für Quereinsteiger im Musikunterricht annimmt.4 Im Bereich Schulmusik gibt es für Quereinsteiger die Möglichkeit, in den Schuldienst einzusteigen, jedoch ist dies bei Instrumentalpädagogen bisher nicht geregelt. Der bdfm hat bei der Besetzung der Fachjury darauf geachtet, dass sie nicht nur aus eigenen Reihen kommt. Somit sind dort Hochschulprofessoren, freie Musikpädagogen und ein Leiter einer bdfm-Musikschule. Durch diese Besetzung ist sichergestellt, dass das Urteil dieses Gremiums neutral ist.
In unserer Beurteilung der Lehrbefähigung ist die Sichtung des Videomaterials nur die eine Hälfte. Die andere ist der eingereichte Lebenslauf mit zugefügten Zertifikaten und Weiterbildungsmaßnahmen der Person, die diese Lehrbefähigung erhalten möchte. Eine Beurteilung nach 60 Minuten Videomaterial und den anderen Unterlagen ist unseres Erachtens ausreichend, wenn man bedenkt, dass eine herkömmliche Lehrprobe 45 Minuten dauert.

Die alte Zertifizierung Ihrer langjährigen Mitgliedsschulen läuft demnächst aus. Alle müssen sich nun neu zertifizieren lassen. Wie ist denn die Reaktion Ihrer Mitglieder? Und gibt es nach den bis­herigen Zertifizierungsverfahren schon Erkenntnisse, wie hoch der Prozentsatz der Mitgliedsschulen ist, welche die neue Zertifizierung nicht schaffen?
Es ist richtig, dass die alte Zertifizierung zum Ende des Jahres 2019 auslaufen wird. Bis dahin müssen sich die Musikschulen neu zertifiziert haben. Dass dies nicht überall auf Zustimmung stößt, war uns bei der Vorbereitung der neuen Zertifizierung bereits klar. Die neuen Kriterien sind einfach schwieriger zu erreichen. Um jedoch das Vertrauen auf eine gute Qualität in den freien Musikschulen zu stärken, ist dies in meinen Augen der einzige vernünftige Weg.
Die Musikschulen, die das Ziel Zertifizierung erst einmal nicht erreichen, werden wir auf dem Weg zur neuen Zertifizierung selbstverständlich unterstützen, sodass wir in ein paar Jahren hoffentlich einen sehr hohen Anteil an zertifizierten Musikschulen im bdfm haben werden. Da viele Schulen gerade bei der Antragstellung sind, kann ich noch keine Prognose abgeben, wie hoch der Anteil der zertifizierten Musikschulen im bdfm sein wird.

Was passiert mit Lehrenden, die der Zer­tifizierung nicht standhalten und auch in einem möglichen zweiten Prüfungsverfahren nicht bestehen? Müssen diese Lehrkräfte dann die Musikschule verlassen bzw. dürfen sie zunächst nicht mehr unterrichten, wenn die Musikschule zertifiziert werden will? Das wäre doch konsequent…
Genau das passiert! In unseren Zertifizierungsrichtlinien haben wir dies genau definiert. Selbstverständlich kann die Musikschule weiterhin als Musikschule ohne Zertifikat im bdfm bleiben, dies ist jedoch die Entscheidung der Musikschule.

1 vgl. Anja Bossen/Petra Stalz: „Jeder ist irgendwie Musikpädagoge. Freie Musikschulen vergeben an freie Musiklehrer luftige Zertifikate“, in: neue musikzeitung 10/2017, online: www.nmz.de/artikel/jeder-ist-irgendwie-musikpaedagoge (Stand: 10.10.2018).
2 Eine genaue Aufstellung aller Zertifizierungs­kriterien findet man unter www.freie-musikschulen.de/zertifizierung (Stand:10.10.2018).
3 www.musikschul-finder.de (Stand:10.10.2018).
4 Die Landesmusikakademie NRW bietet einen Zertifizierungslehrgang an für MusikerInnen verschiedener Kulturen: www.landesmusikakademie-nrw.de/termindaten/536/zertifikatslehrgang-musikpaedagogik-fuer-musiker-innen-verschiedener-kulturenfizierungen (Stand:10.10.2018). „Im Lehrgang sollen in Deutschland lebende fortgeschrittene MusikerInnen aus dem afrikanisch-subsaharischen, asiatischen, lateinamerikanischen und vorderorientalischen Kulturraum (ggf. auch weiteren Regionen), unabhängig von dem jewei­ligen Instrument ausgebildet werden. Ziel ist es, instrumentalpädagogisch tätig sein zu können, sowohl in Musikschulen als auch in anderen Zusammenhängen wie Soziokulturellen Zentren, Jugendzentren, auf dem privaten Markt oder in Schulprojekten.“