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Drees, Stefan

Die Seele des Streichinstruments

Mit dem verstellbaren Karbon-Stimmstock Anima Nova will Pál Molnár den Klang der Instrumente verbessern

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 1/2017 , Seite 46

Auch wenn er recht unscheinbar ist, gehört der Stimmstock zu den zentralen Bauteilen eines Streichinstruments. Als Alternative zu den traditionsgemäß aus Fichtenholz gefertigten Stimmstöcken von Violine, Viola, Violoncello und Kontrabass hat Pál Molnár, langjähriger Stadtmusikdirektor und ehemaliger Leiter der Städtischen Musikschule Rastatt, über einen Zeitraum von gut zwei Jahrzehnten hinweg die Anima Nova entwickelt.

Der Stimmstock, ein zylindrisches Holzstück, im Italienischen benannt mit dem beziehungsreichen Wort „anima“ – zu Deutsch: Seele –, wird zwischen Decke und Boden eingeklemmt, verbindet also die gegenüberliegenden Teile des Korpus miteinander. Eine wichtige Aufgabe des Stimmstocks ist es, den enormen Druck zu kompensieren, den die Saitenspannung über den Steg hinweg auf die Decke ausübt – ein Druck, der, jeweils abhängig von der Art der Besaitung und der Neigung des Halses, bei Violinen ungefähr acht und bei Kontrabässen bis zu 70 Kilogramm beträgt.
Damit kommt dem Stimmstock zugleich eine wichtige klangliche Funktion im komplexen Baugefüge des Streichinstruments zu: Nur wenn er an der richtigen Stelle platziert ist, kann er für den notwendigen Spannungsausgleich sorgen und es dem Deckenholz ermöglichen, gleichmäßig nach oben und unten zu schwingen. Verändert man hingegen seine Position nur um den Bruchteil eines Millimeters, hat dies meist erhebliche Konsequenzen für den Klang eines Instruments. Seit jeher ist das Einpassen des Stimmstocks daher eine vom Prozess ständigen Ausprobierens bestimmte Präzisionsarbeit mit dem Ziel einer möglichst optimalen Klangentfaltung. Wie der Name von Pál Molnárs Anima Nova andeutet, handelt es sich dabei um eine Stimmstock-Neuentwicklung, die sich zunächst einmal durch die Wahl des Materials von der Lösung des traditionellen Geigenbauerhandwerks abhebt.

Alternativer Werkstoff

Anima Nova besteht zur Gänze aus dem hochwertigen Verbundwerkstoff Karbon, einer unter anderem in der Luft- und Raumfahrttechnik verwendeten Verbindung aus Kohlenstofffasern und Epoxidharz, die unter hohem Druck industriell gefertigt wird und sich durch Qualitäten wie geringes Gewicht und große Belastbarkeit auszeichnet.
Pál Molnár unterstreicht im Gespräch, dass sich die Entwicklung von Anima Nova letzten Endes einer nicht nachlassenden Leidenschaft fürs Tüfteln und einer Technikbegeisterung verdankt, die ihn „von Kindesbeinen an“ begleitet hat. Begonnen hat alles eigentlich damit, dass Molnár während seiner Zeit als Musikschulleiter in Rastatt bis zu seiner Pensionierung über zwanzig Jahre lang eigen­händig die Streichinstrumente in Schuss gehalten hat und dabei immer tiefer in spezielle Fragen von Geigenbau und Restaura­tion eingestiegen ist. Seine Kenntnisse vertiefte er schrittweise durch regelmäßige Sommeraufenthalte bei einem ungarischen Geigenbauer, um sie dann schließlich im Zuge der Restaurierung beschädigter, auf Flohmärkten erstandener Instrumente in der Praxis anzuwenden. Was in langfristiger Perspektive zunächst als Hobby für den Ruhestand gedacht war, mündete jedoch bald in ganz konkrete Fragestellungen: „Irgendwann“, berichtet Mol­nár, „kamen aus meiner Umgebung Musiker und sagten: ‚Meine Geige klingt nicht gut. Könnten Sie da vielleicht etwas machen?‘ Damals fing ich an, mich mit dem Stimmstock zu befassen.“

Nicht übertragen – synchronisieren

Dies war der Beginn einer weitreichenden Auseinandersetzung, in deren Verlauf sich Molnár nicht nur intensiv mit den vergeb­lichen Verbesserungsversuchen aus den zurückliegenden 150 Jahren, sondern auch mit den physikalischen Grundlagen der Funktion eines Stimmstocks innerhalb des Streichinst­rumentenkorpus befasste. Dabei gelang es ihm im Rahmen seiner Untersuchungen, durch Messungen die immer noch weit verbreitete Ansicht zu widerlegen, die eigent­liche Aufgabe des Stimmstocks bestünde darin, die Schwingungen von der Deckenplatte auf den Boden des Instruments zu übertragen. Vielmehr gehe es vorrangig darum, mithilfe des Stimmstocks eine Synchronisation der Schwingungen beider Platten zu erzielen, die aufgrund ihrer unterschiedlichen Beschaffenheit – einmal aus dem weicheren Fichten- und einmal aus dem härteren Ahornholz gefertigt – ohne diese Verbindung unterschiedliche Frequenzen produzieren würden: „Das ist die eigentliche Aufgabe, nicht die Frequenzleitung, wie das immer wieder in der Literatur zu lesen ist.“
Da eine optimierte Frequenzleitfähigkeit diese zentrale Funktion jedoch unterstützen kann, begann Molnár nach alternativen Materialien für die Fertigung des Stimmstocks zu suchen. Seine Entscheidung für den Werkstoff Karbon wurde schließlich durch eine simple Tatsache bestärkt: Ein Vergleich von Stimmstöcken gleicher Länge und gleicher Stärke bestätigte ihm, dass die Frequenzleitfähigkeit von Karbon aufgrund der exakt längs angeordneten Kohlefasern wesentlich höher ist als jene des weicheren und damit auch bestimmte Frequenzbereiche schluckenden Fichtenholzes, das zudem von Natur aus allerlei Unregelmäßigkeiten in Bezug auf die Faserung aufweist.

Anpassungsfähigkeit

Die Vorteile des Karbonstimmstocks verdanken sich allerdings nicht nur der Materialwahl, sondern ergeben sich auch aus dessen durchdachten Konstruktionsprinzipien: Aufgrund der Ausstattung mit einem anpassungsfähigen Kugelgelenk an jedem Ende kann sich Anima Nova perfekt an die Innenwölbungen von Decke und Boden anschmiegen, wodurch auch der Druck gleichmäßig auf die gesamte Auflagefläche verteilt wird. Weil damit in Verbund mit den besonderen Materialeigenschaften eine bessere Synchronisation der Schwingungen von Decken- und Bodenplatte erzielt wird, kann sich der Klang des Instruments mit einem ungeahnten Obertonreichtum entfalten. Darüber hinaus lässt sich Anima Nova aber auch dank eines eingefrästen Präzisionsgewindes um minimale Werte von Zweihundertstelmillimetern in der Höhe verstellen. Nach dem Einbau und Heraussuchen des optimalen Klangs kann der Karbonstimmstock daher bei Bedarf jederzeit nachjustiert werden, was sich insbesondere für große, empfindlich auf Veränderungen von Temperatur und Luftfeuchtigkeit reagierende Instrumente wie Kontrabässe als enormer Vorteil erweist.
Bereits während der Erprobungsphase von Anima Nova wurde deutlich, dass sich auch bei Spitzeninstrumenten der Klang spürbar optimieren lässt. „Die ersten Versuche führten wir an drei hervorragenden Violoncelli durch: einem von Montagnana, einem von Gofriller und einem von Balestrieri. Selbst bei diesen wirklich hochwertigen Instrumenten konnten wir noch einen sehr guten, zusätzlichen Klanggewinn verzeichnen.“

Netzwerk von ­Geigenbauern

Mittlerweile gibt es weit über 400 Instrumentalisten, die sich für die Verwendung von Anima Nova entschieden haben – Tendenz steigend. Rund 250 der verkauften Stimmstöcke hat Molnár selbst eingebaut, doch können Einpassung und Feinjustierung – die dafür entwickelten Spezialwerkzeuge vorausgesetzt – auch von jedem Geigenbauer übernommen werden. Dementsprechend hat Molnár damit begonnen, ein ständig wachsendes und mittlerweile auch ins Ausland expandierendes Netzwerk von Geigenbauern aufzubauen, die er mit seinen Stimmstöcken beliefert und die auch in der Lage sind, die Anima Nova einzubauen.
Mit den Nutzern seiner eigenhändig eingebauten Stimmstöcke pflegt Molnár übrigens weiterhin Kontakt, da ihn deren Erfahrungen interessieren. Die instrumentenbezogenen Feineinstellungen jedes Käufers hat er ausführlich in einer Kartei vermerkt, um mög­liche Veränderungen oder Nachjustierungen genau nachvollziehen zu können. Mit den bisherigen Entwicklungen ist Molnár vollauf zufrieden: „Ich bitte jeden um seine ehrliche Meinung. Nur das bringt mich weiter. Und ich habe immer auch betont, dass ich bei Unzufriedenheit den alten Stimmstock kostenfrei wieder einbaue, habe auch die entsprechenden Stellen in den Instrumenten genau markiert. Aber das wollte bislang nur ein einziger Musiker.“
Nicht nur bei Berufsmusikern kommt das neue Produkt offenbar sehr gut an: Anima Nova wurde nur wenige Monate nach der im Sommer 2015 erfolgten Markteinführung auf der Internationalen Fachmesse „Ideen – Erfindungen – Neuheiten“ in Nürnberg (iENA) gleich doppelt ausgezeichnet, nämlich mit der Goldmedaille der iENA 2015 und mit dem Sonderpreis der Kroatischen Erfindergesellschaft. Nicht zuletzt auch aus diesem Grund setzt Anima Nova ein deutliches Zeichen und signalisiert dem traditionellen Geigenbauerhandwerk, dass es an der Zeit ist, sich nach alternativen Materialien umzusehen – zumal die ausreichende Qualität der natürlichen Ressourcen längst nicht mehr ohne Einschränkungen gewährleistet werden kann.

Zuerst erschienen in: das Orchester 12/2016.

Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 1/2017.