Paulus, Anja

Die Welle kommt – die Welle geht…

Visualisierung des Atemstroms im Gesangsunterricht

Rubrik: Praxis
erschienen in: üben & musizieren 1/2015 , Seite 32

Einatmen – ausatmen… Energie schöpfen und in Form von Tönen wieder freigeben… So simpel klingt diese Beschreibung. Und doch ­stehen einem frei fließenden Atem manchmal Hindernisse im Weg. Anja Paulus gibt Anregungen, wie durch Imaginationen und Bewegungen das Singen auf dem Atemfluss vermittelt werden kann.

Besonders Kinder spricht der Einsatz von Be­wegungen und Imaginationen im Gesangsunterricht an, sie finden sich in Bildern wieder, entdecken und erproben im Spiel ihre Fähigkeiten. Als körperbezogener und nicht-kognitiver Zugang bietet sich ein solches Herangehen jedoch ebenso für den Unterricht mit Jugendlichen und Erwachsenen an. Sich dem Atemfluss anzuvertrauen, anstatt mit übermäßigem Kraftaufwand eine Stimmleistung zu produzieren, kann gerade für Erwach­sene, die zu mehr Selbstkontrolle neigen, eine Herausforderung sein.
Alles beginnt mit dem Atem. Der Atem versetzt die Stimmlippen in Schwingung. Die Stimmlippen stellen sich gleich einer Bremse dem Atemstrom entgegen und regeln ihrerseits die Luftzufuhr. So entsteht im Idealfall eine freie Balance, ein schwebendes Gleichgewicht zwischen dem anregenden Luftstrom und den schwingenden Stimmlippen.1 Veredelt wird der entstehende Klang in den darüber liegenden Ansatzräumen, also dem Rachen, der Mund- und der Nasenhöhle. Hier entstehen auch die verschiedenen Vokale und Konsonanten. Soweit die in knappen Zügen beschriebene Funktionsweise des Systems Atem – Stimme – Resonanz.
Würden AnfängerInnen im Gesangsunterricht mit diesem Wissen konfrontiert, wäre das Ergebnis aller Voraussicht nach erst einmal kein besserer Klang. In welcher Weise kann die Stimmphysiologie also didaktisch aufbereitet werden? Als Lehrende kennen wir Bilder, die gezielt wiederholbare Vorgänge provozieren, ohne dass es den SchülerInnen bewusst werden muss, warum nun eine Phrase plötzlich gelingt, ein Sprung leichter zu bewältigen ist oder auf einmal der Atem für eine „viel zu lange“ Phrase ausreicht.
Im Folgenden werden zwei mit Bewegungen verbundene Imaginationen vorgestellt, mit denen auf indirekte Weise zu einem frei fließenden Atemstrom angeleitet werden kann. In der Gliederung nach Imagination, Bewegung und Reflexion soll dabei eine Brücke zwischen intuitivem Vermitteln und den „harten Fakten“ der Stimmphysiologie geschlagen werden.

1 vgl. Bernd Göpfert: Handbuch der Gesangskunst, ­Wilhelmshaven 21991, S. 56 ff.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 1/2015.