Simon, Jürgen

Digital Audio Workstation

Der PC als Tonstudio

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 1/2017 , musikschule )) DIREKT, Seite 06

Mit modernen, leistungsfähigen PCs kann mittlerweile ein großer Teil der Arbeiten erledigt werden, die in einem Tonstudio an­fallen. Sowohl die erforderliche Hardware wie auch die Software ist in den vergangenen Jahren immer erschwing­licher geworden. Jürgen Simon stellt einige Programme vor.

Bereits für etwa 100 Euro sind Audiointerfaces mit zwei Kanälen erhältlich, deren Qualität auch hohen Ansprüchen genügt. Wer mehr Eingänge benötigt, muss zwar deutlich tiefer in die Tasche greifen, bekommt aber ab 700 Euro hochwertige Hardware mit 16 parallelen Mikrofoneingängen. Auch bei der Software hat sich in den vergangenen Jahren viel getan. Parallel zur Rechenleistung moderner PCs wurden auch die Funktionen der Audiosoftware immer ausgefeilter und umfangreicher. Vor allem im unteren Preissegment und auch im Bereich der Freeware gibt es mittlerweile einige ernstzunehmende Programme.
Dabei sind die preiswerten, kommerziellen Programme häufig eingeschränkte Versionen der großen (teuren) DAW-Software1 der jeweiligen Hersteller. Welche Hard- bzw. Software erforderlich ist, hängt stark von der Art der zu produzierenden Musik ab. Und obwohl die meisten Audioprogramme für sehr viele Bereiche der Produktion eingesetzt werden können, zeigt sich bei genauerem Hinsehen doch, dass die meisten Programme ihre Stärken bei bestimmten Produktionsarten besser oder schlechter ausspielen können.
Bereits bei der Art der produzierten Musik ergeben sich deutliche Unterschiede in den Verfahren, die sich in der jeweils erforderlichen Ausstattung sowohl im Bereich der Hard- wie auch Softwareausstattung niederschlagen. So wird klassische Musik in aller Regel linear produziert. Das heißt alle Musikerinnen und Musiker spielen gleichzeitig und müssen dementsprechend aufgenommen werden. Wer hier ei­ne Aufnahme mit gewissem Qualitätsanspruch produzieren will, braucht schnell eine große Anzahl von Mikrofonen und dementsprechend auch Mikrofoneingängen.
Bei der Produktion von Popmusik werden die einzelnen Instrumente häufig nacheinander aufgenommen, sodass hier deutlich weniger gleichzeitig verfügbare Mikrofone und entsprechend auch Eingangskanäle erforderlich sind. Und wer seine Musik ausschließlich am PC produziert – womöglich unter Zuhilfenahme virtueller Softwareinstrumente –, kommt mit nur zwei Eingangs­kanälen durchaus zum Ziel. Ein weiterer Bereich, in dem Computer immer erfolgreicher Einzug halten, sind Liveaufführungen im Popmusikbereich.
Im Folgenden sollen einige Programme aus dem Bereich der DAW-Software vorgestellt werden. Es handelt sich dabei um kostenlose oder preiswerte Programme im Bereich bis 100 Euro. Die Auswahl erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Freeware

Eines der wohl bekanntesten freien Audioprogramme dürfte Audacity sein. Und obwohl das Programm ständig weiterentwickelt wird, ist es für größere Produktionen eher nicht geeignet und wird daher hier nicht weiter betrachtet.
Mit Studio One 3 Prime2 legt die Firma PreSonus eine abgespeckte Version des pro­fessionellen Programms Studio One 3 vor, die im Gegensatz zu etlichen anderen kostenlosen Ausgaben kommerzieller Software jedoch vollständig nutzbar und auch für etwas anspruchsvollere Projekte geeignet ist. Die größten Einschränkungen sind die Begrenzung auf zwei gleichzeitig verwendete Audioein- bzw. -ausgänge und die fehlende Möglichkeit, VST-Plug-ins3 einzubinden. Da jedoch die Zahl der verarbeiteten Audio- und MIDI-Spuren nicht begrenzt ist, können auf diese Weise Projekte, bei denen die Aufnahme einzelner Instrumente nacheinander erfolgt, prob­lemlos durchgeführt werden. Die mitgelieferten Effekte stellen eine durchaus akzeptable Grundausstattung dar. Es wird zwar nur ein einziges Instrument – der Sampleplayer Presence – mitgeliefert, doch ist die ca. 1,5 GB große Samplebibliothek recht umfangreich ausgestattet. Außerdem liest der Sampler viele weitere Datenformate, darunter auch das sf2-Format, in dem es zahlreiche kostenlose Soundfonts im Internet gibt.
Eine Sonderrolle unter den freien Program­men nimmt das Linux MultiMedia Studio4 (kurz: LMMS) ein, das auch in Versionen für Windows und Mac vorliegt. Diese Software dient nur zum Arrangieren von Samples und für die Arbeit mit fertigen Loops und MIDI, hat aber keine eigene Funktion zur Aufnahme von Audio z. B. über ein Mikrofon. Dafür sind die mitgelieferten Effekte und Samples durchaus überzeugend. Unter diesem Gesichtspunkt ist es auch kein großes Hindernis, dass das Programm keine ASIO-Unterstützung5 be­sitzt.6 Das Programm erfordert eine gewisse Einarbeitung, die es erforderlich macht, sich durch eine relativ knappe englische Anleitung zu arbeiten.

Open Source, aber nicht umsonst

Nicht ganz umsonst, dafür aber mittlerweile auf einem wirklich professionellen Niveau ist die Software Ardour.7 Diese ursprünglich ausschließlich unter Linux entwickelte Software liegt inzwischen in einer Windows-Version vor, für die der Entwickler eine Gebühr (ab einem US-Dollar) verlangt. Da es sich um Open-Source-Software handelt, kann der Quelltext frei bezogen werden, und wer sich das zutraut, kann auch versuchen, ihn zu übersetzen (was mir trotz umfangreicher Programmiererfahrung nicht gelungen ist).
Ardour unterstützt beliebig viele gleichzeitig verwendete Ein- und Ausgangskanäle ebenso wie VST-Plug-ins und Instrumente. Die Software unterstützt unter Windows alle gängigen Audiotreiber inklusiv ASIO. Neben reinen Audioaufnahmen unterstützt Ardour auch MIDI-Spuren. Die mitgelieferten Instrumente und Effekte haben jedoch eher Democharakter. Das einzige einigermaßen funktionale Instrument ist ein Sampleplayer, der Soundfonts im sf2-Format spielt. Auch die mitgelieferten Effekte sind eher schlichter Natur. Auf der Habenseite kann Ardour jedoch eine vollständige Video-Synchronisation verbuchen, die es sonst nur bei kommerziellen Programmen gibt. Die gesamte umfangreiche Dokumentation zu diesem Programm liegt nur in englischer Sprache vor.8

Kommerzielle Software

Eine der bekanntesten DAW-Lösungen dürfte die Software Cubase der Hamburger Audioschmiede Steinberg sein. Mit Cubase Elements 8 liegt eine deutlich abgespeckte Version zum Preis von 99,99 Euro vor.9 Die Beschränkung auf je 24 Ein- bzw. Ausgangskanäle sollte für Projekte im Hobbybereich kein Problem darstellen. Auch sonst ist das Programm umfangreich ausge­stattet. Zum Bearbeiten von MIDI-Daten werden neben dem üblichen Key-Editor noch ein Schlagzeug- und ein Noten-Editor angeboten. Auch die Ausstattung mit virtuellen Instrumenten und Effekten kann sich durchaus sehen lassen. Der Sampleplayer Halion SE wird mit einer über 2 GB großen Soundbibliothek geliefert. Er kann jedoch keine fremden Soundfonts z. B. im sf2- oder Giga-Format importieren.
Daneben wird noch der Analogsynthesizer Emulation Prologue mitgeliefert. Auch im Bereich Effekte ist von der Verstärkeremulation bis zu einem einfachen Nachhall alles dabei. Und da Cubase Elements 8 auch fremde VST-Instrumente und Effekte verarbeitet, steht der Ergänzung mit weiteren Effekten nichts im Wege. Die Synchronisation mit Videomaterial beherrscht Cubase Elements 8 ebenfalls. Am Ende der Be­arbeitung kann der neue Sound sogar in das fertige Video eingebettet werden. Die Einarbeitung in das ziemlich komplexe Programm wird durch eine sehr umfangreiche deutschsprachige Dokumentation erleichtert.
Eine weitere kommerzielle Software wird von der Firma Magix vertrieben. Sampli­tude Music Studio10 ist eine deutlich reduzierte Version der Profi-Software Sequoia und wird offiziell ebenfalls für 99,99 Euro angeboten. Die Software hat keinerlei Einschränkungen, was die Anzahl der Ein- und Ausgangskanäle betrifft. Wie Cubase Elements 8 bietet Samplitude Music Studio auch Key-, Schlagzeug- und Noten-Editor zur Bearbeitung von MIDI-Spuren. Der Noten-Editor kann dabei sogar ansprechend aussehende Partituren ausdrucken.
Neben dem Sampleplayer Vita, der mit einer ca. 2 GB großen Samplebibliothek geliefert wird, werden noch weitere virtuelle Instrumente und Schlagzeugemulationen mitgeliefert. Auch im Bereich Effekte ist mit Hall, Kompressoren, Verstärkeremulationen und vielem mehr eine ausreichende Grundausstattung vorhanden. Da das Programm sowohl VST als auch Rewire unterstützt, können weitere Instrumente und Effekte nachgerüstet werden. Die Unterstützung für die Synchronisation mit Videos bleibt jedoch dem „großen Bruder“ vorbehalten. Im umfangreichen deutschsprachigen Handbuch wird die Bedienung des Programms gut verständlich erläutert.

Ein ganz anderes Konzept

Eine weitere relativ bekannte kommerzielle DAW-Software ist Ableton Live.11 Für 79 Euro gibt es die Einstiegsversion Ableton Live 9 Intro.12 Diese Software ist deutlich anders ausgerichtet als die bisher vorgestellten Programme, weshalb ein Vergleich nicht sinnvoll ist. Der Name „Live“ ist ernst gemeint: Ableton Live zielt vorwiegend auf den Live-Einsatz auf der Bühne oder beim Komponieren (vorwiegend im Popmusikbereich). Ob die Einschränkung auf maximal vier Ein- bzw. Ausgangs­kanäle dabei ein großes Hindernis darstellt, ist stark von der Nutzung abhängig. Anzahl und Umfang der mitgelieferten Inst­rumente (insgesamt ca. 4 GB) entsprechen dem, was auch die übrigen Programme in dieser Preisklasse anbieten. Dafür ist die Effektsektion sehr üppig ausgestattet. Ableton Live unterstützt sowohl VST als auch Rewire, sodass fremde Instrumente und Ef­fekte jederzeit nachgerüstet werden können. Auch der Import von Videomaterial wird unterstützt.
Während bei den bisher vorgestellten Programmen eine lineare Verarbeitung der Musik (vom Anfang eines Stücks bis zum Ende) im Vordergrund steht, wird bei ­Ableton Live mit der Session-Ansicht die lineare Reihenfolge einzelner Abschnitte weitgehend aufgehoben. Man kann jederzeit vom einen zum anderen Abschnitt wechseln und sogar unterschiedliche Abschnitte auf verschiedenen Spuren gleichzeitig abspielen. Die Einarbeitung erfordert vor allem für diejenigen, die mit herkömmlicher DAW-Software bereits vertraut sind, eine gewisse Zeit und die Bereitschaft, sich auf das Konzept einzulassen. Das sehr umfangreiche deutschsprachige Handbuch und die mitgelieferten Tutorials erleichtern dies aber deutlich.

Fazit und Ausblick

Für alle vorgestellten Programme kann fest­gehalten werden, dass sie eine gute Grund­lage für den Einsatz von PCs als Tonstudio darstellen. Auch für wenig Geld sind professionelle Programme verfügbar. Ebenfalls für alle Programme gilt: Es bedarf einer gewissen Einarbeitung in die jeweilige Programmphilosophie und der Bereitschaft, sich mit den Grundkonzepten von Audioaufnahmen, MIDI-Instrumenten und der dahinter stehenden Technik auseinanderzusetzen. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kann nahezu jedermann gute Aufnahmen produzieren.
In den beiden kommenden Ausgaben von musikschule )) DIREKT stelle ich Ihnen etwas detaillierter das Programm Samplitude Music Studio vor sowie die Möglichkeiten von Linux als Alternative zu Windows und Mac OS.

1 DAW = Digital Audio Workstation. Der Begriff wurde ursprünglich für Geräte wie DAT- und Harddisc-Recorder und die zugehörige Hardware eingeführt. Mit dem Übergang zur computergestützten Audioproduktion wurde der Begriff dann auch für die Softwarelösungen übernommen.
2 www.presonus.com/produkte/de/Studio-One
3 VST = Virtual Studio Technology, ein Software-Protokoll für die Musik- und Tonproduktion, entwickelt 1996 von der Firma Steinberg für das Sequenzer-Programm Cubase. Es etablierte sich einige Jahre später als Industriestandard. Wenn ein Entwickler ein Plug-in für ein großes Audioprogramm herstellt, stattet er es typischerweise mit dem VST-Protokoll aus.
4 https://lmms.io
5 ASIO = Audio Stream Input/Output, ein von der Firma Steinberg entwickeltes, mehrkanalfähiges Audiotransfer-Protokoll. Mittels ASIO wird es einer entsprechenden Software ermöglicht, auf die Multichannel-Fähigkeiten vieler (professioneller) Sound- und Recordingkarten zuzugreifen.
6 Dies kann jedoch behoben werden, indem die Datei portaudio-2.dll im LMMS-Programmverzeichnis durch die passende (32 oder 64 Bit) Portaudio-Datei von https://github.com/spatialaudio/portaudio-binaries ersetzt wird. Dazu muss die Originaldatei gelöscht und die neue Datei dann in portaudio-2.dll umbenannt werden.
7 https://ardour.org
8 Es ist unter Umständen sinnvoll, die deutsche Übersetzung der Oberfläche zu deaktivieren, um die Menü-Bezeichnungen leichter mit der Dokumentation in Übereinstimmung zu bringen. Die entsprechende Einstellung findet sich im (deutschen) Menü unter „Bearbeiten“ > „Globale Ein­stellungen“ > „Benutzerinteraktion“ > „Benutze Übersetzung der Ardour-Oberfläche“.
9 www.steinberg.net/de/products/cubase/line_up/ cubase_elements_8.html
10 www.magix.com/de/samplitude-music-studio
11 www.ableton.com/de/live
12 Ableton bietet keine Testversion von Live Intro, sondern nur eine 30-Tage-Testversion der ca. 600 Euro teuren Vollversion Ableton Live 9 Suite.