Sommerfeld, Jörg

Dreitonräume

Motivisches Improvisieren mit reduziertem Tonvorrat

Rubrik: Praxis
erschienen in: üben & musizieren 5/2015 , Seite 28

Einige der großartigsten Solos der Jazzgeschichte basieren auf einem minimalistischen Vorrat an Motiven. Miles Davis etwa verfolgte in seiner berühmten Improvisation über “So What” 1959 den ersten musikalischen Gedanken über insgesamt 64 Takte. Also sollte es doch möglich sein, auch für junge SpielerInnen Methoden zu entwickeln, mit denen sie trotz ihrer noch eingeschränkten instrumen­talen Möglichkeiten gute Melodien erfinden können. Das folgende Kon­zept zeigt einen solchen Weg, mit dem schon Kinder musikalische Ideen ordnen und weiterentwickeln können.

Vermutlich werden die meisten Lehrkräfte ihren ImprovisationsschülerInnen zu Beginn ein bestimmtes Material zur Verfügung stellen (etwa eine Bluestonleiter, eine Penta­tonik oder eine diatonische Skala) und sie dann auffordern, sich mit ihrem Instrument innerhalb dieses Materials melodisch improvisierend zu bewegen. Doch selbst wenn eine Schülerin oder ein Schüler das fehlerfrei kann, klingen deren Melodien meist ganz anders als die der Lehrkraft.
Die Ursachen dafür sind klar, denn ein erfahrener Improvisator nutzt natürlich außer dem vorgegebenen Material auch seine Kenntnisse über Sound und Phrasierung. Er hat eine viel weitreichendere rhythmische Vorstellungskraft als ein Anfänger oder eine Anfängerin. Vor allem aber ist ein erfahrener Spieler gegenüber einem Novizen in der Lage, seine Improvisa­tion motivisch zu struktu­rieren, also vorauszuplanen und gerade gespielte Ideen weiterzuentwickeln.
In der Unterrichtsstunde selbst ist es noch verhältnismäßig leicht, die melodische Wahrnehmung der SchülerInnen zu schärfen. Lehr­kräfte arbeiten hier nach dem Prinzip der Meisterlehre1 oder des Modelllernens:2 Es wird abwechselnd gespielt, die Lehrkraft gibt musikalische Impulse vor, paraphrasiert oder erweitert musikalische Schülerideen improvisierend, diskutiert die Qualität des gerade gespielten Solos mit dem Schüler oder der Schülerin und macht Vorschläge für die nächs­ten Entwicklungsschritte. Wenn die Schü­le­rIn­nen das Improvisieren jedoch alleine üben, fehlt ihnen ein Konzept, mit dem sie an ihren Ideen auch selbstständig arbeiten können.

1 s. Andreas Helmke: Unterrichtsqualität und Lehrer­professionalität, Seelze-Velber 52014, S. 210, Stichwort „Lehrlingslernen“.
2 s. Anselm Ernst: Lehren und Lernen im Instrumentalunterricht, Mainz 32008, S. 81.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 5/2015.