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Dunkel, Mario

„Echte“ Männer

Ästhetische Auseinandersetzungen mit autoritärer Männlichkeit in populärer Musik

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 1/2023 , Seite 16

Viele SchülerInnen sind gegenwärtig mit Inszenierungen toxischer und autoritärer Männlichkeit in populärer Musik konfrontiert. Solchen Darstellungen kann durch die Einbindung künstlerisch-ästhetischer Kritik, die aus der populären Musik selbst hervorgeht, begegnet werden. Gezeigt wird dies beispielhaft an­hand eines Musik­videos des Chemnitzer Rappers Kummer, das als Antwort auf Inszenierungen ­autoritärer Männlichkeit im Deutsch-Rap (u. a. bei Kollegah) gelesen wird.

Die Inszenierung von Geschlecht und Männlichkeit ist in gegenwärtigen Musikkulturen omnipräsent. Dies trifft auf die sogenannte Kunstmusik und den Jazz ebenso zu wie auf Genres, die tendenziell zur populären Musik gezählt werden. Man denke an die Inszenierung des Dirigenten Teodor Currentzis als autoritär-genialen Künstler oder an die Performances einer männlich-konnotierten Radikalität und Unangepasstheit des Jazz-Saxofonisten Peter Brötzmann.
Auch im Feld aktueller populärer Musik betrifft die Inszenierung von Geschlecht und Männlichkeit sämtliche Genres. Männlichkeitsbilder nehmen dabei unterschiedlichste Formen an, die von der Performance einer verletzlichen Crooner-Männlichkeit (beispielsweise bei Ed Sheeran) über die Inszenierung einer stets freundlichen, familienbedachten „Schwiegersohn-Männlichkeit“ (z. B. bei Giovanni Zarella) bis zum Zelebrieren einer heroisch-rebellischen Männlichkeit (etwa bei Andreas Gabalier) reichen. Auch das Spiel mit Geschlechterrollen und das Verwischen von Geschlechteridentitäten sind fester Bestandteil verschiedener Genres. Beispielhaft seien hier Conchita Wurst im Schlager, Dorian Electra im Pop, FaulenzA im Hiphop oder das italienische Duo La rappresentante di lista im Indie Rock genannt.
In diesem Artikel soll es um eine bestimmte Ausprägung von Männlichkeitsinszenierungen gehen, die derzeit ebenfalls weit verbreitet ist: „autoritäre Männlichkeit“. Mit dem Begriff haben die Soziologin Anna Schwenck und ich in einer kürzlich erschienenen Studie versucht, das Phänomen zu fassen, dass Männlichkeitsperformances und künstlerische Politiken in vielen Fällen miteinander verwoben sind. „Autoritär“ leiten wir von den Studien ab, die Else Frenkel-Brunswik, Theodor W. Adorno und andere in den späten 1940er und 1950er Jahren in den USA durchführten. Demnach zählen zu Autoritarismus Eigenschaften wie „die Überzeugung, dass es in der Welt Führer und ihnen Unterworfene geben müsse; eine Faszination für Herrschaft und Autorität; die Überzeugung, dass die Gesellschaft verderbt sei; verschwörungsideologisches Denken; sowie Anti-Int­razeption, eine innere Haltung, die sensible (wir würden ergänzen, gemeinhin als feminin konnotierte) Regungen nicht duldet“.1

Autoritäre Männlichkeit in der Musik

Auch das Konzept der autoritären Männlichkeit ließe sich auf unterschiedlichste Genres übertragen. So wird das Verhältnis zwischen Teodor Currentzis und den MusikerInnen in seinem Orchester musicAeterna immer wieder in Analogie zu einer sektenhaften bzw. bruderschaftsähnlichen Verbindung zwischen einem Führer und seinen Anhängern beschrieben, die ihm „bedingungslos“ folgten.2 Wie Anke Charton herausstellt, werden autoritäre Verhaltensweisen im Klassikbetrieb nicht nur geduldet, sondern sie sind auch eng mit Konzepten und Mythen verstrickt, die für die Branche zentral sind. Dazu zählt unter anderem die Inszenierung als (männlich konnotiertes) Genie, welche weiterhin die Funktion eines wichtigen Distink­tionsmerkmals im Wettbewerb um Aufmerksamkeit und Marktanteile einnimmt.3
Wenn im Folgenden autoritäre Männlichkeit im Rap diskutiert wird, dann soll dies also vor dem Hintergrund geschehen, dass Autoritarismus in keinem Fall auf den Rap beschränkt ist, sondern als ein genreübergreifendes Phänomen betrachtet werden muss. Auch im Rap gibt es eine große Vielfalt an Inszenierungen von Geschlecht, die von queer-feministischen, experimentellen Auseinandersetzung mit nicht-binären Geschlechterbildern bis zur affirmativen Inszenierung einer heroischen Hypermaskulinität reichen, welche sich durch Gewalt und das Durchsetzen gegen Widerstände bzw. Gegner authentisiert. Soziale, kulturelle, ökonomische und medienspezifische Mechanismen tragen jedoch dazu bei, dass nur ein Bruchteil dieser Inszenierungspraktiken weit sichtbar, populär und kommerziell sehr erfolgreich wird. Dazu zählte in den vergangenen Jahren insbesondere eine Spielart des sogenannten Gangsta-Rap.4
Gangsta-Rap ging in den USA in den 1980er Jahren aus Praktiken des Hiphop und Rap hervor. Als Genre lässt er sich nicht von der US-amerikanischen Sozialgeschichte und dadurch bedingten rassifizierten sozialen Ungleichheiten trennen. Gangsta-Rap setzt sich mit Herrschaftsverhältnissen auseinander und hat dabei das Potenzial, tatsächliche soziale Konflikte kunstvoll zu sublimieren.5 Das Genre lässt sich nicht immer eindeutig von anderen Bereichen des Rap oder Hiphop (wie etwa Battle Rap) trennen.6 Grundsätzlich zeichnet es sich aber nicht nur musikalisch durch eine oft düstere und bedrohliche Grundstimmung aus, sondern es greift auch auf die Inszenierung eines Settings bzw. einer imaginierten Welt zurück, die nicht selten dystopische Züge aufweist und in der die Persona des Rappers – oft gemeinsam mit Verbündeten – Widerstände überwindet.
Damit verbunden kommt der Inszenierung des Rappers als Rebell eine zentrale Funk­tion zu, denn nur wer sich erhebt, kann in dem inszenierten sozialen Milieu zu Respekt und Erfolg gelangen. Das inszenierte soziale Milieu kann dabei Ähnlichkeiten mit dem Erleben realer, prekärer Milieus aufweisen, es ist aber, spätestens seit Gangsta-Rap in den frühen 2000er Jahren auch im deutschsprachigen Raum seinen kommerziellen Durchbruch erfuhr, gleichzeitig zu einem klischeehaften Genremerkmal geworden. Das Rebellische ist dabei ethisch ambivalent: Einerseits bietet es Potenzial für die Artikulation ungleicher sozialer Verhältnisse und damit verbunden auch für Emanzipation und den Kampf gegen soziale Ungleichheit. Andererseits schlägt es häufig in Diskriminierungsformen um, die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit bekräftigen, darunter Sexismus und Misogynie, Homofobie und Antisemitismus.

1 Dunkel, Mario/Schwenck, Anna: „Autoritäre Männlichkeit als (musik-)pädagogische Herausforderung. Eine qualitative Studie zur Kollegah-Rezeption“, in: Wilke, Thomas/Rappe, Michael: HipHop im 21. Jahrhundert, Wiesbaden 2022, S. 98. Vgl. Theodor W. Adorno et al.: The Authoritarian Personality, New York 1950.
2 DW Euromaxx: „Teodor Currentzis, conductor and ­rebel“, 16. September 2016, https://youtu.be/ ddB2g80Xdo4 (Stand: 2.1.2023).
3 Charton, Anke: „‚Meine Lippen sie küssen so weiß‘. Gender, Race und Class in der Klassikindustrie“, in: Charton, Anke/Dornbusch, Björn/Knaus, Kordula: Marginalisierungen – Ermächtigungen. Intersektionalität und Medialität im gegenwärtigen Musikbetrieb, Hildesheim 2019, S. 83-100.
4 vgl. Rademacher, Max: „Hip Hop und Empowerment – Erkenntnisse aus dem halleschen Versuchslabor ‚Breathe in Break out!‘“, in: Wilke, Thomas/Rappe, Michael: HipHop im 21. Jahrhundert, Wiesbaden 2022, S. 239.
5 Marshall, Wayne: „Hip-Hop’s Irrepressible Refashionability, Phases in the Cultural Production of Black Youth“, in: Patterson, Orlando: The Cultural Matrix: Understanding Black Youth, Cambridge 2015, S. 167-198.
6 Seeliger, Martin/Dietrich, Marc: „G-Rap auf Deutsch. Eine Einleitung“, in: Dietrich, Marc/Seeliger, Martin: Deutscher Gangsta-Rap. Sozial- und kulturwissenschaftliche Beiträge zu einem Pop-Phänomen, Bielefeld 2012, S. 21-40.

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