Herbst, Sebastian
„Eigentlich doch alles wie immer, oder?“
Inklusiver Instrumentalunterricht: Was sagen die Lehrenden?
Inklusion bzw. inklusiver Instrumentalunterricht spielt im Musikschulkontext eine immer größere Rolle und stellt eine neue Herausforderung für Instrumentallehrende dar. Um die Erfahrungen, Herausforderungen und Wünsche der realen Praxissituation zu erfassen, ist es wichtig, die Lehrenden selbst zu Wort kommen zu lassen. Denn sie sind es, die unterrichten.
In den beiden vorherigen Ausgaben von musikschule )) DIREKT diskutierte ich die Verwendung von Assoziationen bei der Vermittlung elementarer instrumentaler Fertigkeiten sowie den Einsatz von Videografie und Hospitation in Fort- und Weiterbildungen und stellte dies jeweils auch in den Kontext eines inklusiven Instrumentalunterrichts. Bei meiner Beschäftigung mit dem Thema drängte sich jedoch immer mehr die Notwendigkeit in den Vordergrund, die Erfahrungen von praktizierenden Instrumentallehrkräften sowie ihre Wünsche hinsichtlich von Fort- und Weiterbildungsangeboten zu sammeln. Um die Herausforderungen und Wünsche zu erfassen, wurden daher zunächst 15 Instrumentallehrkräfte befragt.
Die teilnehmenden LehrerInnen unterrichten in unterschiedlichen instrumentalen Fächern sowie in Ensembles, Orchestern und JeKits-Angeboten an städtischen Musikschulen. Ihr beruflicher Ausbildungshintergrund ist dabei sehr unterschiedlich, sodass Lehrende ohne Studienabschluss, Lehrende mit Abschluss in Instrumentalpädagogik, BewegungspädagogInnen, Lehrende mit absolvierter künstlerischer Reifeprüfung, Lehrende mit einem Master of Education sowie DiplompädagogInnen der Rehabilitationswissenschaften und Lehrende mit Staatsexamen in Sonderpädagogik mit Fach Musik teilgenommen haben. Die große Heterogenität in der beruflichen Ausbildung lässt bereits ganz unterschiedliche Erfahrungen, Herausforderungen und Wünsche der Lehrenden vermuten, sodass die Ergebnisse dieser Befragung wahrscheinlich ein sehr reales Bild der Erfahrungen und Wünsche inklusiv unterrichtender Instrumentallehrkräfte widerspiegelt. Zudem geben neun der Befragten an, noch keine Erfahrungen im inklusiven Instrumentalunterricht zu haben.
Es ist dennoch besonders spannend, die Vorstellungen und eventuellen Ängste dieser Lehrenden hinsichtlich eines inklusiven Instrumentalunterrichts zu erfassen sowie zu fragen, welche Fort- und Weiterbildungsangebote sie bräuchten, um sich auf inklusiven Instrumentalunterricht gut vorbereitet zu fühlen. Inwieweit jedoch berufliche Ausbildung und Erfahrungen mit den genannten Antworten zusammenhängen, kann hier nicht diskutiert werden und ist aufgrund der geringen Anzahl an Befragten auch nicht sinnvoll.
Herausforderungen
Um Schwierigkeiten bzw. Herausforderungen bezüglich eines inklusiven Instrumentalunterrichts zu erheben, wurden die TeilnehmerInnen gefragt, welche Herausforderungen ihrer Meinung nach in einem inklusiven Instrumentalunterricht auftreten könnten. Der größte Teil der Antworten beschäftigt sich mit Herausforderungen im Bereich der Differenzierung in heterogenen Gruppen und individueller Förderung. Genannt werden
– „Integration der verschiedenen individuellen Voraussetzungen“,
– „Differenzierung nach Bedürfnissen und Kompetenzen“ sowie
– die Herausforderung, sowohl „den Starken als auch den Schwächeren gerecht zu werden“.
Es wird als schwierig erachtet, „allen SchülerInnen gleich viel Zeit und Aufmerksamkeit zu geben“, sodass die schnellen „genug ‚Futter‘“ und die langsameren ausreichend „Wiederholungsmöglichkeiten“ erhalten. In diesem Zusammenhang werden zudem eine geringere bzw. kürzere Konzentrationsfähigkeit der Inklusionskinder sowie Aspekte von Unterrichtsstörungen genannt, „wenn ein Kind statt auf dem Instrument zu spielen lieber turnt oder andere Kinder beim Spielen stört“. Große Gruppen und verschiedene Förderbereiche innerhalb einer Gruppe verstärken diese Herausforderungen zusätzlich.
Unterschiedliche Förderbedarfe spielen zudem eine wichtige Rolle bei der Beschäftigung mit Fragen nach Unterrichtsmethoden und Unterrichtsmaterial. Genannt werden hier „Anpassung der Noten“ (beispielsweise bei Sehbehinderung), Entwicklung von behinderungsspezifischen Spieltechniken sowie Erstellung geeigneter Arrangements.
– „Im Gruppenunterricht (Kammermusik) bestimmt die Homogenität des Ensembles den ‚Erfolg‘. Ins Orchester lassen sich auch ganz schwache SchülerInnen integrieren.“
Gefordert wird jedoch auch, „um die Ecke denken zu lernen“, denn:
– „Man kann das Instrument anders lernen/ spielen, als man es selbst gelernt hat!“
Schließlich wird noch angesprochen, dass Lehrende mit den hohen Leistungserwartungen umzugehen haben, die die Eltern an ihre Kinder stellen. Von (Musik-)Schulen und ihren Schulleitungen wünschen Lehrpersonen sich zudem ernsthaftes Interesse und Unterstützung.
Voraussetzungen
Die Teilnehmenden wurden gefragt, welche grundlegenden Voraussetzungen es ihrer Meinung nach brauche, um inklusiven Instrumentalunterricht erteilen zu können. Die Antworten setzen dabei einen Fokus auf die Rahmenbedingungen.
Neben dem Wunsch nach Informationen zu den Beeinträchtigungen der SchülerInnen mit Förderbedarf werden der Wunsch nach längeren Unterrichtsstunden (beispielsweise 60 statt 45 Minuten) sowie in diesem Zusammenhang die Forderung nach kleineren Gruppengrößen genannt. Möglichst helle Unterrichtsräume sollten dabei ausreichend Platz bieten und geeignetes Material sowie entsprechende Instrumente bereithalten. Bei motorischen Beeinträchtigungen sei außerdem eventuell eine Anpassung des Instruments erforderlich.
Vor allem wird eine zweite Lehrperson oder zumindest eine Begleitperson („die auch musikalisch helfen kann“) für sinnvoll erachtet, damit sich die Lehrerin oder der Lehrer auch den anderen Kindern zuwenden könne. Als grundlegende Voraussetzung könne schließlich ein organisierter Fahrdienst besonders wichtig sein, um manchen SchülerInnen die Teilnahme an einem Instrumentalunterricht überhaupt erst zu ermöglichen.
Ein großer Teil der Antworten beschäftigt sich mit Aspekten der Motivation und dem Umgang mit Menschen mit Behinderungen. „Auch ein Kind mit Downsyndrom kann ohne Üben nicht lernen zu spielen“ – so eine der genannten Antworten. Gefordert wird ein „klarer Wille zum Instrumentalspiel“ sowie der „Wille der Eltern, beim Aufbau einer Übestruktur und beim Üben zuhause zu assistieren“.
Die Zusammenarbeit mit den Eltern und deren Unterstützung durch Hospitationen im Unterricht und positive Bestärkung beim häuslichen Üben scheinen ganz zentrale und wichtige Aspekte zu sein. Aber auch motivationale Aspekte der Lehrenden selbst werden nicht ausgelassen, sodass als grundlegende Voraussetzungen „Geduld“, „Flexibilität“ und „Neugier“ sowie ein „Gespür für Menschen mit Behinderungen“ und eine „intensivere Vorbereitung der Lehrperson“ genannt werden. Zudem seien Lehrende gefragt, motivierende Methoden einzusetzen und in einem vertrauensvollen Umgang die Fortschritte jedes Einzelnen wertzuschätzen. Nötig seien in diesem Zusammenhang das „Vertrauen in meine Fähigkeiten als Lehrerin“ und eine „Abkehr vom Elitedenken“.
Viele der genannten Dinge sind grundlegende Voraussetzungen für jede Art von Instrumentalunterricht. Im inklusiven Setting scheint uns die Notwendigkeit jedoch besonders deutlich zu sein, sodass eine der Antworten abschließend feststellt:
– „Eigentlich doch alles wie immer, oder?“
Fort- und Weiterbildungen
Die Fragen zu Herausforderungen und Voraussetzungen eines inklusiven Instrumentalunterrichts geben schon Informationen für sinnvolle Fort- und Weiterbildungen. Dennoch wurden die Teilnehmenden noch einmal konkret befragt, welches Fort- und Weiterbildungsangebot sie sich wünschen würden bzw. welche Themen diese in den Blick nehmen sollten.
Zunächst werden in den Antworten zu einem großen Teil methodische Aspekte angesprochen, die die Erstellung von Unterrichtsmaterial betreffen, die Verwendung von Notation sowie von anderen Spiel- und Notationsweisen, den Umgang mit dem Instrument, die Förderung der Motivation sowie Differenzierung und individuelle Förderung berücksichtigen, um jedes Kind optimal fördern zu können. Darüber hinaus geht es um die Fähigkeit, den Unterrichtsstoff in viele kleine Schritte zu zerlegen, um fundierte Kenntnisse über die Förderbedarfe, den Umgang mit Störungen und um richtiges Verhalten in Elterngesprächen.
Viele weitere Antworten fordern zudem die Möglichkeit zu einem regelmäßigen Erfahrungsaustausch sowie einer „Ideenschmiede“, sowohl zwischen Lehrenden als auch zwischen Lehrenden und SchülerInnen. Ideen des Teamteachings spielen
in diesem Zusammenhang natürlich auch eine Rolle und werden in der Befragung genannt. Dabei werden zudem Fragen danach gestellt, welche Leistungen man von inklusiven Gruppen erwarten kann und welche musikalischen Möglichkeiten Kinder hinsichtlich verschiedener Behinderungen haben.
Eine weitere Forderung betrifft etwas weniger die direkte Unterrichtspraxis, nämlich die Forderung, die Frage nach der Aufgabe von Bildung zu thematisieren und zu fragen, warum bei manchen gesellschaftlichen Prozessen manche Menschen ausgeschlossen sind. Aus der grundlegenden Beschäftigung mit dem inklusiven Gedanken kann und soll „sich eine fundierte Motivation ableiten“.
Ein letzter Punkt beschäftigt sich schließlich mit der Thematik der „Findung und Umsetzung geeigneter Arbeitsbedingungen“, sodass dort vor allem noch einmal die Rahmenbedingungen in den Blick genommen werden sollen.
Diese kleine Befragung bietet nur einen ersten Einblick in die reale Praxissituation. Dennoch zeigen sich sehr deutlich die Fragen und Unsicherheiten von Instrumentallehrenden hinsichtlich des inklusiven Instrumentalunterrichts und des Unterrichtens im inklusiven Setting. Eine systematische Befragung mit einer größeren Stichprobe wäre sinnvoll und notwendig, um die Praxissituation zu erfassen, geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen und bedarfsgerechte Fort- und Weiterbildungsangebote zu konzipieren oder bereits Bestehende zu modifizieren.