Ein Männlein steht im Walde

Zwanzig Kinderlieder für Klavier, gesetzt von Peter Mai

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Friedrich Hofmeister, Leipzig 2010
erschienen in: üben & musizieren 3/2011 , Seite 63

Umschlag und Titel erinnern an den gleichnamigen Band – dort allerdings mit dem Untertitel „Die schönsten Kinderlieder für Klavier“ – von Horst Irrgang und Rudolf Schultz-Debowski aus dem Jahr 1978 (VEB Deutscher Musik Verlag). Doch bieten Peter Mais Arrangements von 20 Kinderliedern für Klavier neben altbekannten tradierten Weisen viele für heutige Kinderohren weniger geläufige, volksliedartige Melodien wie beispielsweise Will ich in mein Gärtchen geh’n, Was macht der Fuhrmann oder Vöglein im hohen Baum. Dass Mai überhaupt traditionelle Kinderlieder verarbeitet, ist wohl dem Gedanken geschuldet, die heutige Generation auch durch das Klavierspiel an sie heranzuführen.
Das Spektrum der Stückauswahl reicht von Stücken für AnfängerInnen bis hin zu komplexeren Bearbeitungen für Fortgeschrittene, die bereits seit mehreren Jahren Klavier spielen. Wie der Autor im knapp gehaltenen Vorwort erwähnt, ist es eine besondere Herausforderung, die leichter zu spielenden Lied-Arrangements um einen Ton nach oben oder unten zu transponieren, um sie besser zu beherrschen und um sich (auf der Klaviatur) harmonisch flexibel weiterzuentwickeln. An dieser Stelle spricht er jedoch mehr die erfahreneren „kleinen Musikanten“ an.
Ein weiterer nennenswerter Vorzug ist, dass Mai die Melodien der bekannten Kinderlieder nicht – wie gewohnt – ausschließlich der rechten Hand zuordnet, sondern diese auch konsequent der linken Hand anvertraut. So verteilen sich auch die gelungen gesetzten Kontrapunkte grundsätzlich gleichermaßen auf beide Hände. Diese zweistimmige polyfone Struktur trainiert sehr intensiv die Unabhängigkeit beider Hände.
Mais Arrangements stellen insgesamt betrachtet eine sehr sinnvolle Ergänzung zur progressiv angelegten Klavierschule dar, auch weil die technischen Anforderungen zunehmen, je weiter die SchülerInnen in dieser Sammlung vorstoßen. Dies zeigt sich unter anderem in der Stimmführung in beiden Händen, die sich nicht in akkordischer Begleitung erschöpft, sondern von der Ein- bis hin zur Dreistimmigkeit reicht, wobei ein fließender Stimmverlauf – oft verbunden mit enger Lage – organische Finger- und Handbewegungen ermöglicht.
Angesichts der Tatsache, dass es sich hier um traditionelle (Kinder-)Lieder handelt, verwundert es, dass der Autor keinerlei Lied- und Begleittexte ergänzt hat. Diese würden über das Klavierspiel hinaus zum (Mit-)Singen animieren und zudem den ein oder anderen Wiedererkennungseffekt mit sich bringen. So ist auch der Titel des Bandes – trotz der ansprechenden Gestaltung des Umschlags – mehr eine „leere Hülle“ als eine thematische oder inhaltliche Orientierung. Eine grundlegende, zumindest unterstützende Orientierung böte auch die Angabe von Fingersätzen, auf die hier gänzlich verzichtet wird.
Christoph Guddorf