Stippler, Renate
Eine Pionierleistung der Musikpädagogik
Yamaha und der Verband deutscher Musikschulen lieferten sich Ende der 1960er Jahre ein Wettrennen um die beiden ersten Konzepte musikalischer Früherziehung in Deutschland
1967/68 wurden die ersten beiden Konzepte musikalischer Früherziehung von Yamaha und dem Verband deutscher Musikschulen initiiert. Diese Art von Kursen für Vorschulkinder war gänzlich neu,1 sie hatten in Deutschland keine direkten Vorbilder und waren erstaunlich gut durchorganisiert. Wie kam es zum fast zeitgleichen Erscheinen zweier konkurrierender Konzepte? Ein historischer Rückblick von Renate Stippler.
„In dieser bewegten, auch in der Forschung besonders aktiven Phase machte 1967 die japanische Firma Yamaha erste Vorstöße in Richtung auf den deutschen Markt, um dort ihr in Japan schon länger mit breiter, wenn auch nicht uneingeschränkt positiver Resonanz praktiziertes frühpädagogisches Material einzuführen. Dies führte zu schnellen Reaktionen sowohl des VdM wie des Fachverbandes der deutschen Klavierindustrie, die mit der pädagogischen eine kommerzielle Konkurrenz befürchteten, da die Firma Yamaha keinen Zweifel an dem verkaufsstrategischen, nämlich auf den Absatz von Tasteninstrumenten zielenden Hintergrund ihrer pädagogischen Maßnahmen ließ.“2
Wilhelm Twittenhoff umreißt hier die virulente Situation Musikalischer Früherziehung Ende der 1960er Jahre. Neben neuen gesellschaftlichen und pädagogischen Forderungen an die moderne Vorschulerziehung bestimmten auch kommerzielle Interessen die Entwicklungen. Der Großkonzern Yamaha versuchte, nach dem Vorbild seines asiatischen Geschäftsmodells den deutschen Markt für seine Produkte zu gewinnen nach dem Motto: „Erst unterrichten, dadurch Käufer werben!“3 Der VdM reagierte schnell und sah seine Chance gekommen, die seit den 1950er Jahren geplante „Grundstufe“ an Musikschulen zu etablieren. Finanzielle Unterstützung erhielt er von der deutschen Klavierindustrie, die sich von Yamaha bedroht sah und das „Modellprojekt“ unterstützte. Die kommerzielle Ausrichtung auf das „Produkt Tasteninstrument“ lässt sich auch daran festmachen, dass in beiden fast zeitgleich entstandenen Konzepten zur Musikalischen Früherziehung völlig neue Tasteninstrumente entwickelt wurden und zum Einsatz kamen: Bei Yamaha das so genannte „Regal“, ein elektronisches Tasteninstrument, ähnlich einer vereinfachten Heimorgel; beim VdM hieß es „Tastenspiel“ und stellte eine eigens entwickelte Kombination von Klaviatur und Glockenspiel dar. Doch schon bald wurden diese Tasteninstrumente im Unterricht durch Stabspiele ersetzt.
Yamaha organisierte seine ersten Kurse musikalischer Früherziehung im Rahmen der so genannten Kindermusikschulen, die 1954 in Japan gegründet worden waren und dann in sprunghafter Entwicklung international ausgeweitet wurden (USA, Thailand, Mexiko, Kanada). Mit dem Einrichten von Kindermusikschulen begann der Konzern 1967 in Deutschland Fuß zu fassen.4 Die Expansionsabsichten der japanischen Firma, von Werner Probst später als „Sputnikschock der Musikpädagogik“ bezeichnet,5 setzten den VdM und die deutsche Klavierindustrie unter einen gewissen Zugzwang, möglichst schnell zu handeln.6
Eine Kontaktaufnahme zwischen Yamaha und dem VdM brachte zwar keine Zusammenarbeit, aber wichtige Einblicke und Anregungen, vor allem, was die Unterrichtsmaterialien betraf. Werner Probst, selbst Teilnehmer an den Verhandlungen, beschreibt die Situation folgendermaßen:
„Wir hatten die – utopische – Absicht, Yamaha anzubieten, ihr Programm an den Musikschulen mit ihrer ,Hardware‘ (den Begriff gab es allerdings noch nicht) einzuführen, das inhaltliche, methodische Konzept wollten wir entsprechend unseren Vorstellungen erstellen. Der Vorschlag stieß ins Leere. Nach drei Tagen trennten wir uns, ohne eine Einigung erzielt zu haben. Wir beschlossen, ein eigenes Konzept in schnellstmöglicher Zeit zu entwickeln, und zwar – da wir eine Menge vom Konkurrenten gelernt hatten – wie dieser mit Lehrerband, Schülerheften, […], mit Elterninformationen und einem Tasteninstrument.“7
1 Renate Stippler: Musikalische Früherziehung. Entwicklungen und Aspekte eines Faches im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts, unveröffentlichter Dokumentationsband (2009), Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, Dissertationen Dekanat FB 09, darin: Interview mit Edda Puhlmann, S. 24 f.
2 Wilhelm Twittenhoff: „Musikalische Früherziehung. Zu einem Plan des Verbandes deutscher Musikschulen“, in: Kontakte. Zeitschrift für Musik in der Jugend, Bd. 6/1967, S. 232 f.
3 ebd.
4 Stippler, S. 48 f.
5 Werner Probst: „Früher Beginn in der Musikschule“, in: Kinder brauchen Musik. Dokumentation zum Musikschulkongress 1979, Regensburg 1980, S. 33 f.
6 Stippler, S. 49, 65, 70.
7 Stippler, S. 144.
Lesen Sie weiter in Ausgabe 6/2012.