Schneider-Dominco, Matthias

epoche F

Meisterkurs mit dem Ensemble Modern für ­Bundespreisträger „Jugend musiziert“ in Göttingen

Rubrik: Bericht
erschienen in: üben & musizieren 5/2009 , Seite 38

„Man kann nicht neugierig werden auf etwas, von dem man nichts weiß“, schrieb der Komponist Moritz Eggert 2007 in einem Artikel über die Schwierigkeiten, Neue Musik populär zu machen. Zwar wird in den vergangenen Jahren erfreulicherweise mit wachsender Selbstverständlichkeit mehr Zeitgenössisches gewagt, die vorherrschenden Hörgewohnheiten des Konzertpublikums sind jedoch weiterhin in der Hauptsache dem 19. Jahrhundert verhaftet. Die Frage, an welcher Stellschraube man am effektivsten justieren kann, um ein entspannteres Verhältnis zur Moderne zu fördern, bleibt also virulent.
Einen aktiven Beitrag leisten kann die Musikpädagogik in diesem Zusammenhang durchaus, wenn sie selbstkritisch die Frage zulässt, wann denn angehende Musikerinnen und Musiker selbst an die Avantgarde herangeführt werden. Eggerts Diktum zeigt genau in diese Richtung. In der Regel wird die Moderne erst dann Bestandteil des Unterrichts, wenn die Teilnahme am Wettbewerb „Jugend musiziert“ ansteht. Dies bestätigt ein vielsagender O-Ton am Rande des Meisterkurses: „Ich habe vorher noch nie moderne Musik gemacht. Ich weiß nicht, ob ich da die einzige hier bin. Es ist ein ganz neuer Eindruck vom Hören und Spielen. Jetzt ist vor allem der Rhythmus total wichtig, Dynamik muss genau beachtet werden. Wenn man Brahms spielt, muss das natürlich auch sein; aber hier muss alles sehr akkurat sein. Das ist ganz neu für mich.“ (Cellistin Victoria Cons­tien, 1. Preisträgerin, Altersgruppe IV).
Genau hier setzt das Konzept von „epoche F – Neue Musik Göttingen“ an, das nicht zuletzt wegen des hochkarätigen Dozententeams zu den gefragtesten Fördermaßnahmen im Anschluss des Bundeswettbewerbs gehört. Uta Mittler von der Stiftung „Jugend musiziert Niedersachsen“ erläutert das Ziel des Meisterkurses: „Der Titel ist ganz bezogen auf den Wettbewerb ‚Jugend musiziert‘. Dieser unterteilt die Musikepochen ja chronologisch nach Musikstilen und bezeichnet sie mit Buchstaben. Buchstabe ‚F‘ steht für Musik nach 1950. Inzwischen ist dieser Titel zum Markenzeichen geworden, nun haben wird es dabei belassen. Die Idee, die dahinter steckt, ist, Bundespreisträger zu fördern, die zwar schon über ein recht anspruchsvolles instrumentales Niveau verfügen, meis­tens aber im Bereich Neuer Musik noch wenig Erfahrung haben, denn sie müssen natürlich erst einmal das andere Repertoire lernen. Außerdem stellt die Neue Musik ganz spezielle Anforderungen an Rhythmus, Klang und instrumentale Fähigkeiten. Um das zu lernen, muss es mich faszinieren. Und da kam ich auf den Gedanken, die Internationale Ensemble Modern Akademie zu engagieren, weil die diesem Anspruch gerecht werden können. Die Dozenten faszinieren die jungen Leute und die sind dann bereit, in diese Klang­welt einzusteigen. Da die Dozenten selbst ganz große Solisten der Neuen Musik sind und sich mit großer Liebe in die Detailarbeit mit den jungen Leuten begeben, kommen dann begeisternde Ergebnisse heraus.“
Für Dozent Michael M. Kasper (Violoncello) müsste die Begegnung mit Neuer Musik einfach früher erfolgen und er sieht gerade Inst­rumentallehrer von der Musikschule bis zur Hochschulebene in der Pflicht. Es sei weniger eine Frage der institutionellen Vernetzung, die zwar notwendige Arbeitsplattformen schaffe – „epoche F“ wird vorbildlich unterstützt von der Stiftung „Jugend musiziert Niedersachsen“ in Kooperation mit „Musik 21 Niedersachsen“ sowie einer nennenswerten Zahl von Sponsoren. Es gehe vielmehr um die konkret im Unterricht vermittelten ­Inhalte: eine ansprechende Stückauswahl kombiniert mit einer ansteckenden Begeisterungsfähigkeit.
Kasper jedenfalls weiß die Sprache der Jugendlichen zu treffen. „Bitte voller Panik Takt 11 spielen“, „Fang diese Synkope auf’m Kopp an“, lauten die Anweisungen während einer Probe zu den Zehn Skizzen für Streichquartett von Nikos Skalkottas. Dann geht es um rhythmische Summen, col-legno-Techniken und vor allem die richtige innere Haltung, um die dem Stück eigene nervös treibende Unruhe darzustellen.
Als kleine Sensation bezeichnet es Uta Mittler, dass in diesem Jahr Solisten des Ensemb­le Modern zusammen mit den Preisträgern das knapp vierstündige, umjubelte Abschlusskonzert bestritten. Nicht zuletzt aufgrund der innovativen Vermittlungsarbeit erhielt die IEMA am 20. August die höchste kulturelle Auszeichnung des Landes Niedersachsen, den Praetorius-Preis. „Wir hoffen auf eine Fortsetzung nächstes Jahr“, so Uta Mittler. „Ein Konzept mit einem Composer in Residence ist schon in Planung. Ich strebe an, nächstes Jahr auch Sänger von ‚Jugend musiziert‘ einzubeziehen. Die Leitung wird dann hoffentlich wieder in den Händen der IEMA liegen. Wir wollen noch weitere Sponsoren gewinnen und sind zuversichtlich, dass es in Göttingen auch weiterhin ein solches Konzert geben wird. Denn auch für die Stadt Göttingen wäre das eine neue Perspektive. Aber dreimal muss man es schon machen, damit es sich etabliert. Dann geht’s vielleicht von alleine.“

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