© Sanchai_www.stock.adobe.com

Rudi-Körner, Nicole

Erfahrung der Tiefe

Koordination und Klanggefühl stärken im Unterricht mit ­SeniorInnen

Rubrik: Praxis
erschienen in: üben & musizieren 5/2025 , Seite 28

Was bedeutet es, im Alter Klavier­spielen zu lernen? Wenn musikalische Neugier auf veränderte körperliche Voraussetzungen trifft, entsteht ein Unterricht, der tief, individuell und oft überraschend lebendig ist. Zwi­schen biografischen Erinnerungen, klanglicher Neuentdeckung und motorischen Grenzen braucht es nicht weniger, sondern andere Formen des Lernens.

Viele SeniorInnen kommen zum Klavierunterricht mit einem Wunsch: Sich (wieder) musikalisch auszudrücken – aus Freude, Sehnsucht oder innerer Resonanz. Gleichzeitig wirken physiologische Veränderungen wie nachlassende Fingerbeweglichkeit oder verminderte Koordination hemmend. Klassische technische Übungen greifen hier oft zu kurz oder führen zu Frustration. Umso wichtiger ist ein Unterricht, der motorisch entlastet, kog­nitiv strukturiert und emotional motiviert – und der technische und musikalische Aspekte von Anfang an miteinander verwebt.

Warm-up: Vom Körper zum Klang

Im Unterricht mit SeniorInnen ist ein körperorientiertes Warm-up weit mehr als Aufwärmen: Es ist ein zentrales Element, um Körperbewusstsein, Präsenz und klangliche Vorstellung zu fördern. Die folgenden Übungen haben sich als ruhiger und konzentrierter Einstieg in meinem Unterricht mit SeniorInnen besonders bewährt und fördern nicht nur Beweglichkeit und Wahrnehmung, sondern bereiten auch mental auf das Spiel vor.
– Haptische Sensibilisierung: Die Klaviatur mit geschlossenen Augen und den Fingerspitzen zu ertasten – am besten ohne Ton –, fördert das Feingefühl und die taktile Orientierung.
– Überkreuzbewegungen: Das rhythmische Antippen des linken Oberschenkels mit der rechten Hand und umgekehrt aktiviert beide Gehirnhälften und fördert beidhändiges Spiel. Weitere rhythmische Variationen durch Klatschen und Schnipsen sind möglich.
– Fingerspreizen und -rollen: Diese sanften Mobilisationsübungen bereiten Hände mit eingeschränkter Beweglichkeit ohne Überforderung auf das Spiel vor.

Klangübungen statt Fingertechnik

Im Klavierunterricht mit SeniorInnen sind klang- und bewegungsfördernde Übungen ein wichtiger Bestandteil, um die Spieltechnik zu verbessern und gleichzeitig die körperliche Koordination zu fördern. Gerade im höheren Alter profitieren Lernende von gezielten Aufwärmübungen am Klavier, welche die Beweglichkeit und das Klangbewusstsein gleichermaßen ansprechen.
Eine effektive Möglichkeit, das Gefühl für die Tastatur und die Unabhängigkeit der Hände zu schulen, bietet das Spielen von Oktaven. Dabei schlagen die SchülerInnen mit getretenem Pedal gleichnamige Töne von unten nach oben und wieder zurück an, stets mit dem Anspruch einer guten Klangqualität. Die linke Hand übernimmt die tiefere Hälfte der Klaviatur, die rechte die obere. Ein passendes Bild kann das Ein- und Auftauchen der Hände sein, mit geschmeidigen und gelösten Handgelenken. Entscheidend ist, dass die Hände in einem gleichmäßigen Metrum wechseln, ohne den Spielfluss zu unterbrechen. Durch Variationen – etwa mit unterschied­lichen Fingern, Staccato oder Legato, unterschiedlichen Tempi, Dynamiken und der Ergänzung kleiner Intervalle – lässt sich der Schwierigkeitsgrad flexibel anpassen. In einem weiteren Schritt können die Töne im Oktavabstand durch Doppelgriffe und Dreiklänge ausgefüllt werden.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 5/2025.

Page Reader Press Enter to Read Page Content Out Loud Press Enter to Pause or Restart Reading Page Content Out Loud Press Enter to Stop Reading Page Content Out Loud Screen Reader Support