Behschnitt, Rüdiger

Erfolgreiche Annäherungsversuche

Das Symposium „Musikunterricht(en) im 21. Jahrhundert“ vermittelte Einblicke und Perspektiven für Unterricht an Schule und Musikschule

Rubrik: Bericht
erschienen in: üben & musizieren 6/2012 , Seite 42

Schulmusik und Instrumentalpädagogik waren jahrzehntelang voneinander getrennte Bereiche – nicht nur im Denken vieler Lehrkräfte, sondern sogar zeitlich: Morgens wurden den Kindern in der Schule Musiktheorie und die klassischen Meisterwerke nähergebracht, nachmittags erfolgte bei einigen die Unterweisung am Instrument in der Musikschule oder im Privatunterricht. Die Ganztagsschule jedoch und auch zunehmende Einschränkungen von außen – Wegfall des Musikunterrichts im Stundenplan, Schließungen von Musikschulen – brachten diese „Ordnung“ ins Wanken und führten dazu, dass beide Bereiche mehr und mehr auf­einander zugehen.
Womöglich kann das Symposium „Musik­unterricht(en) im 21. Jahrhundert“, das Mitte September an der Hochschule für Musik Basel stattfand, als ein Ergebnis der Erkenntnis angesehen werden, dass man nur gemeinsam auf Dauer wird bestehen können. Die Fragen, die den Ausgangspunkt der Tagung markierten – „Wird ,Musikalische Bildung‘ von morgen eine ,Musizierbildung‘ sein?“, „Was sind Möglichkeiten und Grenzen von Unterrichtsformen wie Team Teaching und Gruppenmusizieren?“, „Was ist ,gelungener‘ Unterricht?“ –, richten sich an Lehrkräfte an Regelschulen wie InstrumentalpädagogInnen gleichermaßen. Ziel des Symposiums war es vor allem, Lehrkräfte aller Schularten, WissenschaftlerInnen wie PraktikerInnen mit­einander ins Gespräch zu bringen und einen fachlichen Austausch herbeizuführen.
In seinem einführenden Vortrag betonte der Journalist und Filmemacher Reinhard Kahl, wie wichtig es sei, Schulen zu einem besseren Lernort für unsere Kinder werden zu lassen. „Zukunft entsteht durch hellwache Gegenwart, nicht durch Verweis auf die Zukunft“, so sein Plädoyer für einen Unterricht, der das „Da-sein“ der SchülerInnen zum Mittelpunkt macht. Wer meint, dass diese Forderung durch das aktive Tun der SchülerInnen im Instrumentalunterricht per se erfüllt sei, vergisst die anhaltenden Diskussionen rund um instrumentalen Klassenunterricht (im Speziellen JeKi), ja, eine der grundlegenden Fragestellungen jedes instrumentalen Anfangsunterrichts: Müssen AnfängerInnen sich erst eine gewisse Summe an Fertigkeiten aneignen, bevor sie „richtige Musik“ machen können (= Vertröstung auf die Zukunft) oder gelingt ein Musizieren von Anfang an, ein musikalisches „Da-sein“ im Jetzt? Welche Rolle Musik bzw. Musizieren auf dem Weg zu einer „besseren“ Schule einnehmen könnten, wurde von Kahl leider nicht näher ausgeführt. Wie auch insgesamt sich seine Sichtweise auf das deutsche Bildungssystem ­zuweilen in einer recht undifferenzierten Schwarz-weiß-Malerei erschöpfte.
Im zweiten Vortrag gab Martin Losert, Professor für Instrumental- und Gesangspädagogik am Mozarteum Salzburg, Einblicke in das Forschungsprojekt „Die Kunst zu unterrichten“. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die Überzeugung, dass eine grundlegende Kompetenz von Lehrenden darin bestehen müsse, Unterricht auf verschiedenen Ebenen zu beobachten und zu analysieren – und im Anschluss daran zu verbessern. Ein möglicher Zugang zur Unterrichtsbeobachtung sind Hospitationen oder Videoaufnahmen des (eigenen oder fremden) Unterrichts. Wie schwierig eine solche Videoanalyse ist, zeigte ein vertiefender Workshop: Vor der Beurteilung des Unterrichts von KollegInnen ist die Bewusstmachung der eigenen pädagogischen Grundüberzeugungen unabdingbar. Leicht gerät man sonst in Gefahr, andere Unterrichtsabläufe von vornherein abzulehnen, weil ihnen andere pädagogische Überzeugungen zu Grunde liegen.
„Musikunterrichten im Spannungsfeld von Schule und Musikschule“ war das Thema des den zweiten Tag eröffnenden Podiumsgesprächs zwischen Ulrich Mahlert (Leiter des Studiengangs Pädagogische Ausbildung des Instituts für Musikpädagogik an der UdK Berlin und Mitherausgeber dieser Zeitschrift), Andreas Lehmann-Wermser (Professor für Musikpädagogik an der Universität Bremen), Helga Boldt (Schulleiterin der Neuen Schule Wolfsburg und verantwortlich für den Aufbau des „Netzwerks innovative Schulen“) und Beat Hofstetter (Studiengangsleiter des Masterstudiengangs Musikpädagogik an der Hochschule für Musik Basel). Eine mögliche Antwort auf die bislang unbeantwortet gebliebene Frage, welche Rolle speziell die Musik für die Schule spielen könnte, lieferte Helga Boldt mit ihrer Vorstellung von Musik als Vermittlerin zwischen Lehrkräften und SchülerInnen, die des Zu- und Aufeinander-Hörens bedarf, dem oftmals lärmenden Schul­alltag Konzentration und Stille hinzufügen kann und auch das Aushalten von Differenz erfordert. Für die Zukunft der musikalischen Bildung an Schule und Musikschule in den kommenden zehn Jahren prognostizierten die DiskutandInnen einen Anstieg der Schülerzahlen insgesamt, der künftig mehr denn je die Fähigkeit erfordert, Großgruppen- und Klassenunterricht zu erteilen. Für eine Kooperation von Schule und Musikschule sei eine größere gegenseitige Wertschätzung von SchulmusikerInnen und Instrumentallehrkräften grundlegend. Zumindest in Deutschland steht jedoch einem gemeinsamen Handeln auf Augenhöhe noch immer die extrem unterschiedliche Honorierung entgegen.
Die Diskussion lieferte viele Denkanstöße, die Anlass zu intensiver weiterer Diskussion sein sollten: Wie kann das musikalische Erleben von MigrantInnen im Instrumental- und Musikunterricht berücksichtigt werden? Sollten nicht grundsätzlich KünstlerInnen statt LehrerInnen Musikunterricht an Schulen erteilen? Müsste nicht auch das Studium ein lebenslanges sein, sodass etwa nach einigen Jahren Unterrichtserfahrung weiterstudiert wird? Sollten die Musikschulen an den allgemein bildenden Schulen Zweigstellen einrichten?
Überraschend einig waren sich die Podiums­teilnehmerInnen in ihrem Widerspruch zur Sichtweise des VdM-Vorsitzenden Winfried Richter, der in der September-Ausgabe der neuen musikzeitung eine zunehmende Polarisierung auf der Werteskala konstatiert hatte: „die Funktionalisierung des Menschen, also seine Leistung in Bezug auf wirtschaftlich nutzbare Prozesse, steht oben in der Skala, während die Leistung der [musisch-kulturellen] Bildung […] auf dieser Skala nach unten rutscht“. Der Zugang zu Musik und zur Musikschule sei doch kontinuierlich gewachsen, so die fast einhellige Meinung. Einzig ­Ulrich Mahlert blieb es vorbehalten, der (allzu?) positiven Sichtweise mit dem Hinweis zu begegnen, dass Musikschulschließungen Fakt seien und die unzureichende Honorierung von Musikschullehrkräften ein nicht hinnehmbares Ärgernis. Vielleicht können die zunehmenden Bemühungen um eine Annäherung von Schule und Musikschule auch diesem Ärgernis ein Ende bereiten.

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