Guttmann, Moritz

Erhebe deine Stimme!

Der Aufbau eines Knaben- oder Männerchors bedarf der ­besonderen Sorgfalt

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 2/2014 , Seite 18

Seit zehn Jahren ist es in Salzburg wieder selbstverständlich, dass Jungen und junge Männer singen. Nationale und internationale Wett­bewerbe werden von Vokalensembles aus Salzburg wachgerüttelt und Chornationen wie Südafrika und die nordischen Länder Europas suchen den Kontakt zu den Salzburger Männerstimmen. Man will sie hören. Wie ist es in Salzburg gelungen, den Trend im Chorwesen zu durchbrechen?

Keimzelle der Arbeit mit jungen Männern ist das Privatgymnasium Borromäum, eines der wenigen noch existierenden Knabengymnasien in Österreich. Die Tradition dieses Gymnasiums reicht weit in das 19. Jahrhundert zurück, es wurde ursprünglich von der Salzburger Erzdiö­zese als „Kleines Seminar“ zur Priesterausbildung eingerichtet. Die Zeiten haben sich geändert und das Borromäum wurde ein modernes Gymnasium mit christlich-humanistischer Prägung. Die alltäglichen Aufgaben, die eine Musikpädagogin oder ein Musikpädagoge dort zu erfüllen hat, sind neben dem regulären Unterricht die musikalische Gestaltung zahlreicher weltlicher und liturgisch geprägter Feierlichkeiten im Laufe eines Schuljahres – eine umfangreiche Feierkultur, die sich von vielen anderen öffent­lichen Schulen deutlich unterscheidet. Es müssen daher Strategien entwickelt werden, dass der gut gefüllte Terminplan des Musiklehrerteams nicht zur kaum zu bewältigenden Belastung wird, sondern als Chance in der pädagogischen Arbeit gesehen wird.

Bestandsaufnahme und erste Anfänge

Als ich mich als junger Absolvent der Universität Mozarteum plötzlich in diesen Rahmenbedingungen wiederfand, wurde eine schnelle Bestandsaufnahme der Ressourcen in der Schule zur Ernüchterung: Der Direktor trommelte für den Weihnachtsgottesdienst für das Bass­solo des Transeamus usque Bethlehem von Joseph Schna­bel eine Gruppe junger Männer aus oberen Klassen zusammen und ein Knabenchor mit 20 Sängern sang merkbar freudlos zur Eröffnung der Feier das Volkslied Jetzt fangen wir zum Singen an. Dies war der Startschuss zu Überlegungen, meine Schule mit neuen Ideen zu konfrontieren. Überlegungen wie zu Beginn einer Expedition: Welches Material steht zur Verfügung, welche Ausrüstung brauche ich, welche Route wähle ich und welches Team nehme ich mit? Vor allem aber: Welches Ziel habe ich vor Augen?
Zum „Material“: 300 Schüler zwischen zehn und 19 Jah­­ren mit verschiedensten musika­lischen Voraussetzungen. Aufgrund der in unserer Gesellschaft nachhaltig vorhandenen Geschlechterrollen sind gerade bei Jungen Vorbehalte gegenüber musisch-kreativer Äußerung deut­lich spürbar. Zudem befinden sich Jungs bzw. junge Männer einen beträchtlichen Zeitraum der Schulzeit in der stimm­lichen Umbruchphase der Mutation.
Zur „Ausrüstung“: Wegen des angeschlossenen Internats standen erstaunlich viele Räumlichkeiten zur Ver­fügung. Vom Musiksaal bis zu Übezimmern, einem Veranstaltungssaal, einem Schulbandraum und Leihinstrumenten war an materiellen Ressourcen einiges vorhanden. Zu Zeiten, als noch etwa 250 Internatsschüler im Schulgebäude wohnten, gab es als Freizeitangebot zahlreiche Aktivitäten im musikalischen Bereich. Vor 14 Jahren war es bereits eine überschaubare Gruppe von 20 Schülern und heute ist das Internat völlig aufgelöst.
Es stellte sich also die Frage nach einer neuen „Route“: Welcher Weg würde unter diesen Rahmenbedingungen zu möglichst vielen motivierten und qualitätvoll singenden Jugendlichen führen, die Musik im Herzen tragen? Interessante Herausforderungen müssen zu diesem Zweck geschaffen werden, erreichbare Herausforderungen, die Jugendliche reizen und die eine gewisse Besonderheit darstellen. Es muss erstrebenswert sein, im Chor oder in einem Ensemble zu singen oder eine wichtige Aufgabe in einem Projekt zu übernehmen. Es soll das Gefühl bei den jungen Menschen entstehen, mit ihren Fähigkeiten gebraucht zu werden.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 2/2014.