Czerny, Carl

Erster Lehrmeister

für Klavier op. 599

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2006
erschienen in: üben & musizieren 1/2007 , Seite 62

Die Etüden Carl Czernys gehören nach wie vor zum Standardrepertoire in der technischen Ausbildung jedes Pianisten, allerdings hat in den vergangenen Jahren ihr Ruf deutlich gelitten: Grete Wehmeyer hat mit ihren Büchern Czerny und die Einzelhaft am Klavier sowie Prestißißimo wesentlich zu dessen Diskreditierung in der Klavierpädagogik beigetragen. Blickt man in jüngere Schulwerke, so scheint die Tendenz zu spielerischem, improvisatorischem Beginn den Aspekt der technischen Schulung der SchülerInnen in den Hintergrund gedrängt zu haben.
Somit gebührt der vorliegenden Neuausgabe des Ersten Lehrmeisters op. 599 das Verdienst, mit Nachdruck auf das Etüdenwerk Czernys hinzuweisen und ein wichtiges Opus in seiner Gesamtheit sehr preiswert anzubieten. Diese Sammlung von hundert Übungen und kurzen Etüden „behandelt die wichtigsten Spielabläufe für den Anfänger in aufsteigender Schwierigkeit, vom Beginn des Notenlesens im Fünftonraum bis hin zu etwas anspruchsvolleren, aber immer überschaubaren Übungen“, so der Herausgeber Wilhelm Ohmen im Vorwort.
Die kürzesten Stücke der Sammlung umfassen gerade einmal acht Takte und sind bereits einsetzbar, sobald die SchülerInnen das Spiel mit allen fünf Fingern kennen; allerdings beginnt die linke Hand hier, alter Pädagogik entsprechend, im Violinschlüssel. Es folgen Übungen zum Unter- und Übersatz (sehr sinnvoll!), dann solche, „welche den Umfang einer Oktave überschreiten“, schließlich ab Nr. 32 Übungen mit dem Bass-Schlüssel, mit Vorzeichen, mit Pausen, in anderen leichten Tonarten und so fort. Alles in allem geht Czerny so systematisch vor, dass einzelne Etüden dieser Sammlung stets begleitend in den ersten Jahren des Unterrichts eingesetzt werden können. Sie klingen immer angenehm und harmonisch und der knappe Umfang von durchschnittlich einer halben Seite hat den angenehmen Vorteil, dass in sehr kurzer Zeit gezielt die jeweilige technische Problemstellung geübt werden kann.
Als eine seiner Schule der Geläufigkeit op. 299 vorgeschaltete Sammlung lässt sich in Czernys Erstem Lehrmeister praktisch zu jeder Problemstellung der klassischen Unterstufen- und leichteren Mittelstufenliteratur eine Übung finden, um Spielprobleme etwa in Sonatinen zu vertiefen; dazu muss der Band noch nicht einmal chronologisch durchgearbeitet werden. Czerny fasst ein weites Feld der Spieltechnik zusammen: nicht etwa nur Skalen und Dreiklangsbrechungen, sondern auch Akkordspiel, Terzen und Sexten, Treffsicherheit oder kantables Spiel.
Fingersätze und Metronomzahlen stammen vom Herausgeber Wilhelm Ohmen. Die Fingersätze sind vielleicht zu Anfang etwas zu detailliert ausgefallen, aber es ist mit Dankbarkeit zu verzeichnen, dass nicht, wie vielfach in neueren Veröffentlichungen auch der Anfängerliteratur üblich, darauf verzichtet wird; gerade für das eigenständige Üben der SchülerInnen sind Fingersätze eine unschätzbare Hilfe. Bei den gut gewählten Metronomzahlen wird natürlich je nach Schülerniveau gegebenenfalls eine Modifizierung durch die Lehrkraft notwendig sein.
Fertigung und Druck haben die gewohnte Schott-Qualität, wenn auch gegen Ende das Notenbild aus Platzgründen zunehmend dicht gedrängt ist. Es sollte und kann gewiss nicht jede der kurzen Etüden behandelt werden. Czernys Erster Lehrmeister ist jedoch ein Kompendium aller nur denkbaren Spielprobleme und somit als Ergänzung für die ersten Unterrichtsjahre nicht zu unterschätzen. Eine Anschaffung von bleibendem Wert, die dauerhaft genutzt werden kann – und das zu einem sehr günstigen Preis!
Christian Ubber