Gutzeit, Benjamin von
Exot mit klobigem Kasten
Jazz auf Streichinstrumenten – eine Einführung
Streichinstrumente sind im Jazz eine Rarität. Und Streicher, die swingen, mit einer Rhythmusgruppe spielen können und dabei auch noch gut klingen, sind noch seltener. Kein Wunder also, dass die meisten JazzmusikerInnen Streichern zunächst mit Skepsis begegnen.
Eine typische Szene aus meiner Anfangszeit in New York: Mit Bratschenkoffer auf dem Rücken und Verstärker unter dem Arm betrete ich spät nachts einen Jazzclub, um dort auf der Session zu spielen. Ich bin zum ersten Mal in diesem Schuppen, einem von vielen Jazzclubs in der Jazzmetropole der Welt. Mein klobiger Bratschenkoffer wird von den hippen New Yorker Jazzmusikern wie so oft für einen Tenorsaxkoffer gehalten. Als ich den Kasten öffne, werde ich mit zweifelndem Blick gemustert: „Yo man, ya wanna play on the violin?“ – „It’s a viola… but sure, yes! Let me quickly set up my amp…“
Streicher im Jazz sind eigensinnige Charaktere. Gegen den Strom zu schwimmen und etwas Ungewöhnliches zu machen, das waren wohl auch in meinem Fall Aspekte, die mich motivierten, Jazzbratscher zu werden. Ich habe, wie fast alle Streicher in Europa, mit klassischer Musik begonnen. Mit vier Jahren erster Unterricht beim Vater, auf einer Sechzehntel-Geige, mit Bratschensaiten bespannt. Als ich zehn war, kam es zum ersten Kontakt mit Jazz auf einem Workshop des Modern String Quartets. Kurz darauf fragte ich den Komponisten Eduard Pütz, Jazzpianist und Freund der Familie, ob er mir nicht ein jazzig-bluesiges Stück für die Bratsche schreiben könnte, da mir das moderne Standardrepertoire für die geplante Teilnahme bei „Jugend musiziert“ zu langweilig erschien. Zwei Wochen später hatte ich das Stück im Briefkasten und ein halbes Jahr später war ich tatsächlich Bundessieger mit Eddies Blues for Benny.1
Mit der aufkommenden Pubertät wurden die Zweifel immer größer, ob ich wirklich den Weg weitergehen und klassischer Musiker werden wollte. Alle meine vier Geschwister hatten Streichinstrumente gelernt und zwei von ihnen waren zu der Zeit schon auf dem besten Weg, mit ihrem Instrument Karriere zu machen.
Ich hingegen fühlte mich in der klassischen Musik nicht recht zuhause. Von Kindesbeinen an war ich fasziniert von amerikanischer, groovebasierter Musik – meine ersten Platten waren von Prince und Michael Jackson. Und als ich mit 14 merkte, dass man die Mädels in der Schule mit Bratschespielen überhaupt nicht begeistern konnte, hängte ich mein Instrument an den Nagel und legte eine musikalische Pause ein.
Mit 16 entdeckte ich dann den E-Bass für mich und hoffte, dass man damit auch ohne zu üben reich und berühmt werden könne – was leider nicht funktioniert hat. Dafür brachte mich die Zeit mit dem E-Bass via Rock und Funk wieder zum Jazz.
Schnell merkte ich, dass meine musikalischen Reflexe auf der Bratsche trotz der Pause bedeutend schärfer ausgeprägt waren als auf dem Bass; und die Idee, mit meinem Instrument unerforschtes Terrain zu betreten, gefiel mir sehr. Ich schrieb mich daher am Linzer Konservatorium bei Jazzgeiger Andi Schreiber ein. Von Linz ging es ans Conservatorium van Amsterdam, zugleich mitten in die Amsterdamer Jazzszene. Und im Jahr 2010 erfüllte sich für mich der Traum aller europäischen JazzstudentInnen: Ich ging nach New York und begann, mit diversen Stipendiengeldern ausgestattet, an der Manhattan School of Music ein Masterstudium in Jazz – als erster Bratscher überhaupt.
In NYC lernte ich auch das Turtle Island Quartet kennen: Jedem Jazzstreicher (und vielen Klassikern) ist dieses Quartett ein Begriff als Urgestein der Jazzstreichquartette. Ich hatte das Ensemble schon vor langer Zeit in Linz erlebt – ohne zu ahnen, dass ich neun Jahre später Bratscher bei den „Turtles“ werden würde…
Jazzgeschichte – durch die Streicherbrille betrachtet
Die Geige hatte im Jazz nicht immer die Rolle des Underdogs: In den afro-amerikanischen Stringbands des 19. und frühen 20. Jahrhunderts war sie ein beliebtes Instrument. Auch im Blues wurde die Geige, unter anderem aufgrund ihrer Möglichkeit, dem Ton durch Verwendung von Glissandi vokale Qualitäten zu geben, bis in die 1920er Jahre von schwarzen Musikern häufig verwendet. Ab den 1930er Jahren wurde sie im Blues jedoch von der Gitarre verdrängt, was sicherlich auch damit zu tun hatte, dass es ungleich schwieriger war, die Geige elektrisch zu verstärken und dabei einen angenehmen Klang zu produzieren. Im Jazz hatte die Geige noch in der gesamten Swing-Ära – also bis Anfang der 1940er Jahre – eine wichtige Rolle und in den USA waren Geiger wie Eddie South, Stuff Smith und Joe Venuti Stars ihrer Zeit. In Europa brachte es Stéphane Grappelli in den 1930er Jahren zusammen mit Django Reinhardt im Quintette du Hot Club de France zu großer Berühmtheit.2
1 Eduard Pütz: Blues for Benny für Viola und Klavier, Mainz 1991.
2 Nur wenigen ist bewusst, wie sehr dieses legendäre Geigen-Gitarren-Duo aus Frankreich von dem schon in den 1920er Jahren in den USA erfolgreichen Duo von Joe Venuti und Eddie Lang inspiriert war.
Lesen Sie weiter in Ausgabe 4/2016.