© Inken Kuntze-Osterwind

Krzyzynski, Udo

Familienintegration

Elternarbeit aus der Perspektive eines Musikschulleiters

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 3/2018 , Seite 24

Auch wenn es um den einzelnen Schüler oder die Schülerin geht: Die Familie ist immer „mit im Spiel“. Udo Krzyzynski blickt auf eine 38-jährige Zeit als Leiter von zwei VdM-Musikschulen zurück. In diesem Beitrag fasst er seine Erfahrungen mit Elternarbeit an der Musikschule zusammen.

Wenn wir uns dem Thema angemessen nähern wollen, müssen wir klarstellen, dass der Begriff „Eltern“ in diesem Zusammenhang zu kurz greift: Eltern ist ein Begriff für zwei Individuen, die sich im günstigsten Fall über die Methoden ihrer Erziehung einig sind – oft aber auch nicht. Hier liegt ein Fallstrick, der uns später noch beschäftigen wird. Gar nicht so selten gehört beim Thema Musikschulunterricht auch mindestens ein Großelternteil mit zum Setting. Teilweise ist auch die Rolle von Geschwistern im betreffenden Mikrokosmos zu berücksichtigen. Somit richtet sich unser Blick zwangsläufig auf die gesamte Familiensituation.
Wenn Geschwister in der Familie ebenfalls musizieren, kann eine hinderliche Konkurrenzsituation entstehen, die nur unterbewusst Wirkung entfaltet und selbst auf Nachfrage nicht wahrgenommen wird. Bei Geschwistern, die dasselbe Instrument lernen, habe ich zumeist eine unbewusste Blockade desjenigen Kindes erlebt, das das langsamere Lerntempo an den Tag legt. Es kann in der unmittelbaren Vergleichssituation auf Dauer ein „Verlierergefühl“ bekommen. Erst recht, wenn Eltern dies instrumentalisieren, um ver­meintlich Motivationshilfe zu geben: „Schau mal, wie schön deine Schwester das schon spielt – das schaffst du doch sicher auch!“ Hier kann die gut gemeinte Absicht eigentlich nur Schaden anrichten.
Ich habe Eltern immer geraten, Geschwisterkinder ein „komplementäres“ Instrument lernen zu lassen, weil dies den unmittelbaren Konkurrenzdruck mindert und zudem meist die Möglichkeit zum gemeinsamen Musizieren erheblich erleichtert. Allerdings steht dem oft eine vordergründige Ökonomiesicht entgegen. Besonders bei KlavierschülerInnen war diese Überzeugungsarbeit nicht immer leicht, weil die Eltern die Kosten für ein weiteres Instrument scheuten: „Jetzt haben wir mal das teure Teil, da können wir nicht auch noch eine Querflöte anschaffen.“

Beziehungssituation im Instrumentalunterricht

Viele Phänomene unterscheiden sich deutlich, je nachdem ob man aus der Sicht einer Früherziehungslehrkraft argumentiert oder aus der Sicht einer Instrumentallehrkraft. Auch innerhalb des Instrumentalunterrichts gibt es unterschiedliche Erfahrungs­cluster, je nachdem ob es sich z. B. um Geigenunterricht oder Schlagzeugunterricht handelt, um achtjährige oder 15-jährige SchülerInnen. Können Beziehungen im Bereich der Musikalischen Früherziehung von den Eltern oft noch auf dem Erfahrungshorizont der Kita-Praxis gespiegelt werden, müssen wir uns klarmachen, dass besonders die Einzelunterrichts­situation im Instrumentalunterricht für Eltern in der Regel die erste Erfahrung mit der teilweisen Verantwortungsdelegation für ihr Kind an eine einzelne externe Person darstellt, die man zudem meist noch nicht kennt. Welch ein Wagnis! Je nach Disposition der Eltern führt dies oft zum Wunsch eines Elternteils, zumindest in den ersten Stunden dabei zu sein. Der Wunsch ist verständlich und sollte auch respektiert werden. Es wäre jedoch klug, gleich darauf hinzuweisen, dass die Anwesenheit eines Elternteils kein Dauerzustand sein kann und dass, wenn genügend Vertrauen zwischen allen Beteiligten gewachsen ist, der Unterricht auch ohne elterliche Begleitung funktionieren muss.
Doch wie viel „Eltern“ soll sein? Damit sind wir bei einer zentralen Frage, die nicht pauschal beantwortet werden kann. Ist die Mitwirkung von Familienmitgliedern sinnvoll? Wenn ja, wann und wie viel und vor allem auf welchen Feldern und in welcher Art? Ich habe einmal eine Umfrage unter KollegInnen zu besonders schwierigen Situationen im laufenden Unterrichtsbetrieb gemacht. Interessanterweise wurden Konflikte mit dem Elternhaus signifikant häufiger genannt als Konflikte mit dem Schüler oder der Schülerin. Hierbei spielen Spannungen wegen unterschiedlicher Erwartungshaltungen der beiden Seiten eine große Rolle.
Die Lösung kann aber nicht lauten: „Am besten hat man mit den Eltern gar nichts zu tun.“ Wenn überhaupt etwas Grundsätzliches gesagt werden kann, dann allenfalls, dass eine Mitwirkung der Eltern bei kleinen Kindern wünschenswert, teilweise notwendig ist und dass sie sich mit zunehmendem Alter des Schülers oder der Schülerin relativiert. Was genau mit „Mitwirkung“ gemeint ist, soll später noch genauer beleuchtet werden.

Bedingungen an Musikschulen

Für die Lehrkräfte an einer Musikschule gelten andere Rahmenbedingungen als für Privatunterricht. Da der Vertrag zwischen Eltern und Musikschule geschlossen wird, gibt es für die Lehrkraft keine formale „Kunden-/ Dienstleister-Beziehung“ zu den Eltern. Man bewegt sich in den meisten Fällen nicht in Privaträumen (weder denen der Familie noch denen der Lehrkraft) und es gibt eine Infrastruktur, die diverse Alternativen und Ergänzungen anbietet (z. B. bei Instrumentenwech­sel, Lehrerwechsel, Mitwirkung in Ensemb­les). Auf der anderen Seite existieren für die Lehrkraft übergeordnete Instanzen (Fachgruppenleitungen, Schulleitung etc.), die auf die Erfüllung bestimmter Bedingungen achten müssen. Sofern an der Musikschule ein kollegialer Führungsstil gepflegt wird, sind dies Chancen, die den Bewegungsspielraum für pädagogisch verantwortliches Handeln weiter öffnen. Da es keine direkte wirtschaftliche Abhängigkeit zwischen Schülerfamilie und Lehrperson gibt, kann sich eine Lehrkraft rein auf die pädagogischen Notwendigkeiten konzentrieren und das „Geschäftliche“ der Ins­titution überlassen. Freilich muss die Lehr­kraft bei zu erwartenden Konflikten die Verantwortlichen der Institution – sei es die Verwaltung oder Leitungsebene – rechtzeitig kommunikativ einbeziehen.
Wie kann man sich hier als Lehrkraft positionieren? Besonders für BerufsanfängerInnen ist es nicht immer leicht, sich in diesem Geflecht aus Beziehungsansprüchen zu orientieren: SchülerInnen, Eltern, Fachgruppenleitungen, Musikschulleitung und Musikschulverwaltung wollen berücksichtigt sein, ohne dass das eigene pädagogische Profil preisgegeben wird. Da braucht es schon eine gewisse Virtuosität – nicht nur auf dem Instrument.
Da die „Chefetage“ in der Regel bei Konfliktsituationen ins Spiel kommt, gibt es wohl keine Krisensituation, die ich in meinen vielen Jahren als Musikschulleiter nicht schon erlebt hätte. Die größeren Krisen waren geprägt zum einen von unzureichenden Kompetenzen der betroffenen Lehrkräfte im Kommunizieren und in der Bewältigung von Krisen und zum anderen von unangemessenem und teilweise unehrlichem Verhalten der Eltern. Ich will zwei Extremfälle nur kurz er­wähnen, um mich dann konstruktiven Empfehlungen zuzuwenden: Bedingt durch die regulären Kündigungsfristen eines Musikschulvertrags und die damit verbundene Entgeltpflicht waren Eltern manchmal sehr einfallsreich im Erfinden von möglichen Gründen, früher aus dem Vertrag aussteigen zu können. Diese vorgeschützten Gründe waren – vorsichtig gesagt – nicht immer fair der Lehrkraft gegenüber. In einem anderen Fall gab es aber auch eine Lehrkraft, die sich ohne Bewusstsein für das vorhandene institutionelle Netzwerk, das sie hätte auffangen können, massiven Einmischungen von Eltern nicht mehr anders zu erwehren wusste, als den Unterricht von sich aus per SMS gegenüber den Eltern zu „kündigen“, was formal natürlich nicht geht und auch als Konfliktlösungsweg in keiner Weise taugt.
Ich nenne diese Beispiele nur, um zu untermauern, wie wichtig Elternarbeit von Anfang an ist, um letztlich für die Unterrichtssitua­tion die bestmögliche Grundlage zu schaffen und Eltern konstruktiv in das Unterrichtskonzept einzubinden – durch Information und Transparenz. Oft können wir Lehrpersonen uns gar nicht mehr in die Situation des Laien versetzen und unterstellen viel zu viel Hintergrundwissen. Tatsächlich müssen wir vieles erklären. Ich halte es deshalb für unverzichtbar, vor bzw. bei Aufnahme des Unterrichts eine möglichst weitgehende Kongruenz zwischen den Erwartungen herzustellen – im Falle von Kindern als SchülerInnen mit deren Vorstellungen und denen ihrer Eltern, im Falle von älteren SchülerInnen mindestens mit deren Erwartungen. Wenn der alte Gemeinplatz „den Schüler da abholen wo er steht“ Bestand haben soll, kann es nicht funktionieren, wenn eine Lehrkraft nur sendet („nur ich weiß, was gut für dich ist“), sondern (der Begriff „Kongruenz“ ist mit Bedacht gewählt) beide Seiten müssen auf Empfang schalten und sich in dieser bedeutsamen Phase der Unterrichtsaufnahme aufeinanderzubewegen und ein Konzept erstellen, das dann auch für eine bestimmte Zeit seine Verbindlichkeit behält.

Eltern ist ein Begriff für zwei Individuen, die sich im günstigsten Fall über die Methoden ihrer ­Erziehung einig sind – oft ­aber auch nicht.

Bei jugendlichen SchülerInnen kann das ein hochspannender Prozess für die Lehrkraft sein, im Falle von jüngeren Kindern müssen die Eltern mit ins Boot geholt werden. Es wäre erstaunlich, wenn der Abgleich der Erwartungshaltungen nicht Differenzen zutage fördern würde, die Verständigung brauchen. Lässt man diesen Schritt aus, ist der Konflikt früher oder später schon vorgezeichnet. In einem solchen Auftaktgespräch hat die Lehrkraft noch die Chance, abweichende Sichten emotionsfrei zu erklären und zu begründen und auf einer sachlich kompetenten Ebene Authentizität zu vermitteln. Treten solche Abweichungen erst später auf (entweder „Der lernt ja bei Ihnen nix“ oder „Hallo, mein Sohn soll doch kein Mozart werden“), kommt die Lehrkraft zwangsläufig in eine Defensivsituation mit all ihren Stresserscheinungen.
Doch selbst wenn dieser Aushandlungsprozess erfolgreich verläuft, ist man nicht un­bedingt auf der sicheren Seite. Hier gibt es „Fallstricke“. Meine Erfahrung aus der Praxis zeigt, dass zumeist nur ein Elternteil zum Unterrichtsbeginn kommt (meist die Mütter – Väter erfreulicherweise aber in zunehmendem Maße). Deshalb ist meines Erachtens in einem solchen Akquisegespräch durchaus die Frage erlaubt, ob man von gleichen Erwartungs- und Grundhaltungen beider Partner ausgehen kann. Ich habe erlebt, dass es erhebliche Abweichungen in den Interessens­lagen der Eltern gibt (Vater würde Sohn lieber zum Fußballer „machen“, Mutter möchte ihn lieber als feinfühligen Geiger sehen), die nicht transparent gemacht werden. Eine wohl erwogene „Zielvereinbarung“ kann hier Wunder wirken.
Selbst wenn solche Dinge nicht in aller Klarheit auf den Tisch kommen sollten: Ein ernsthaftes Auftaktgespräch vermittelt der aufmerksamen Lehrkraft ein Gefühl für die möglichen Strömungen, die subtil in der Familie wirken. Natürlich können und wollen wir nicht familientherapeutisch eingreifen, aber zum Verständnis der Verhaltensmuster des Kindes trägt es sicherlich bei, solchen familiären Dispositionen nachzuspüren. Inhaltlich macht es auch Sinn, über die häuslichen Übebedingungen zu sprechen. Zwar erwarten wir von den Familienmitgliedern auch bei kleineren Kindern nicht, dass sie mit meist unzureichender Fachkompetenz zuhause den Unterricht fortsetzen. Aber wir dürfen erwarten, dass Rahmenbedingungen hergestellt werden, die unnötige Hürden verhindern. Ein Klavier ist kein Statussymbol, das unbedingt im Wohnzimmer stehen muss. Und selbst wenn es dort steht – und nicht nur dann –, muss die Organisation des familiären Lebens darauf abgestellt werden, dass Zeitfenster zum Üben möglich sind (und zwar ohne dass der Bruder gleich daneben Computerspiele spielt oder andere Störungen oder Ablenkungen die Regel sind). Solche Klärungen gehören vor den Beginn eines Unterrichts, wenn spätere Kollisionen vermieden werden sollen.

Und wenn nicht…?

Aber was ist, wenn sich gar kein Elternteil blicken lässt oder die Oma kommt? Im letzteren Fall gilt das Gleiche: Eine höfliche Erkundigung, welche Vorstellungen wir auch seitens der Eltern zu erwarten haben, ist erlaubt. Und wenn das Kind unbegleitet kommt oder erkennbar wird, dass die gegenseitigen Erwartungen nicht zur Deckung zu bringen sind? Es sollte immer die Möglichkeit gesehen werden, auf die Chancen einer Entwicklung zu setzen, die eine Annäherung der Haltungen ergeben kann. Bei Eltern, die ihre Kinder ein Instrument erlernen lassen wollen, ohne selbst Erfahrung auf diesem Sektor zu haben, kann man auch auf einen gewissen Lerneffekt setzen. Und wie das Kind sich im Instrumentalunterricht verhalten und entwickeln wird, weiß man ohnehin erst später.
Sinnvoll ist es aber immer, eine Verabredung über einen Folgetermin zu treffen, zu dem man sich erneut austauscht und beiderseits Korrekturen vornehmen kann. Wenn Eltern sich komplett entziehen, muss man zu Tricks greifen. Ein Schülervorspiel schafft manchmal die Möglichkeit zur Begegnung, die man nutzen kann. Auf jeden Fall lassen sich zwischen die einzelnen Beiträge im Vorspiel allgemeine Botschaften zur eigenen Sichtweise auf Unterricht und Lernprozesse packen, die dann auch der hartnäckigste Ignorant hört. Manchmal ist die Situation auch nach dem Vorspiel so locker, dass man wie gewünscht kommunizieren kann.
Hier sei ein Ratschlag eines altgedienten Musikschulleiters erlaubt: Gespräche, die mit einer Empfehlung zum Lehrerwechsel, zum Inst­rumentenwechsel oder gar mit einer Abmeldung enden könnten, sollte man möglichst so terminieren, dass Kündigungsfristen der Institution nicht als zusätzliches Hindernis im Wege stehen. Es führt immer zu zusätzlichen Ärgernissen, wenn die Vertragsfristen – und damit die Entgeltpflicht – die Veränderungsbereitschaft der Eltern (wegen ihrer Rolle als „Zahlungspflichtige“) ausbremsen.

Grenzen ziehen

Es gibt Eltern, die ihre Kinder auf Wettbewerb trimmen und den Lehrer oder die Lehrerin „zum Jagen tragen wollen“. Man kann dieses Verhalten nicht losgelöst betrachten: Menschen, die im Verhalten zur Lehrkraft Grenzen übertreten, tun dies ebenso an anderer Stelle; als LehrerIn können wir sie nicht umerziehen. Aber wir können unsere eigenen Grenzen ziehen. Auch hier ist sehr sorgfältig auf einen professionellen Umgang zu achten. Grundsätzlich gilt: Die fachliche Verantwortung liegt einzig bei der Lehrkraft. Unmittelbare Einwirkung in das Unterrichtskonzept ist unzulässig und zu unterbinden (im Zweifel mit Unterstützung der Bereichs- oder Musikschulleitung).
Andererseits sollen Leistungsbereitschaft und Ehrgeiz nicht verteufelt werden. Man würde dem Schüler oder der Schülerin im Falle von tatsächlich vorliegender Hochbegabung nicht gerecht, wenn man wegen unterschied­licher Auffassungen zu Grundsatzfragen der Erziehung und als Reaktion auf das Verhalten des Erziehungsberechtigten den Unterricht gänzlich in Frage stellen würde. Das wäre eine Bestrafung des Schülers oder der Schülerin für das Verhalten der Eltern – keine gelungene Lösung. Ich gebe aber zu: Die Grenzen sind hier fließend und im Extremfall für manche Lehrkraft eine Gewissensentscheidung. Ein angemessenes und Lösungen ermöglichendes Verhalten liegt meines Erachtens auch hier nur im offenen Dialog zwischen den Beteiligten und in verbindlichen Verabredungen über Wege, die geeignet sind, den Schüler oder die Schülerin bestmöglich zu fördern.
Haben wir bisher fast nur vom aktiven Einbezug der Eltern gesprochen, kommen wir nun zu einer Phase, die – nicht minder heikel – erfordert, dass wir Eltern überzeugen können, sich rauszuhalten. Ablösung von den Eltern heißt auch Loslassen-Können der Eltern. Das ist – gerade im Falle von sorgenden Eltern – eine schwere Herausforderung der Pubertätsjahre. Meine Erfahrung lehrt: Wenn es LehrerInnen nicht gelingt, hier als Vermittler oder „Puffer“ zu fungieren, haben sie verloren (und letztlich damit auch der Schüler oder die Schülerin). Die Grundströmung der Entwicklung prädisponiert Kinder in dieser Phase dafür, ihre Eltern in Frage zu stellen und sich deren Wunsch und Willen auf jeden Fall erstmal zu widersetzen. Dadurch besteht ein beträchtliches Eskalationsrisiko. Die Abwehr gegen Musikunterricht wird umso stärker, je massiver die Eltern darauf bestehen.
Die Lösung kann nur darin liegen, dass wir „gemeinsame Sache“ mit unseren SchülerInnen machen und ihnen die Einsicht schenken, dass sie zum Musikunterricht kommen, weil sie es wollen und nicht, weil die Eltern das wollen. Das Kunststück besteht darin, sich mit ihnen zu solidarisieren, ohne Front gegen die Eltern zu machen. Je klarer diese die Beweggründe der Lehrperson verstehen, desto leichter ist ihre Einsicht zu erlangen. Schließlich arbeiten dann alle am gleichen Ziel.
Mitunter konnte ich SchülerInnen erfolgreich vermitteln, dass sie sich gerade damit unfrei machen, sprich: sich vom Elternwillen dominieren lassen, wenn sie sich dermaßen in eine Antireaktion treiben lassen. Sie sollten entschieden Musik machen, „obwohl die Eltern das so wollen“. Hilfreich ist hierbei natürlich, wenn unter anderem Repertoirewahl und „Chemie“ einen Konsens zwischen SchülerIn und Lehrkraft ermöglichen, der nicht unbedingt geschmacklich auf der Erwartungs­linie der Eltern liegt. Wenn man ihnen erklärt, dass dies notwendig sei, um den Jugend­lichen bei der Stange zu halten, gibt es in der Regel keine Intervention, denn genau das entspricht ja ihrem Wunsch und Willen.

Nachbetrachtung

Ich möchte die Bedeutung der elterlichen Haltung für eine nachhaltige Motivation des Kindes betonen. Insbesondere kleinere Kinder brauchen Interesse und Anerkennung für das, was sie tun. Eltern, die ihr Kind zum Klassenvorspiel bringen, um dann in der Zeit zum Einkaufen zu fahren, haben kein Recht, sich über Motivationsprobleme ihres Kindes zu beschweren.
Jenseits aller Präventions- oder Interventions­strategien für den Krisenfall sollte man die aufbauende konstruktive Elternarbeit im Blick behalten. Je besser die gesamte Familie in den Organismus Musikschule integriert ist, je stärker die Identifikation mit der Musikschule ist, desto eher entwickelt sich eine positive Eigendynamik, die dem Unterricht zuträglich ist. Mögliche Anknüpfungspunkte sind z. B. Fördervereine oder die aktive Beteiligung an Sommerfesten und Probenwochenenden. Das Beste ist, wenn es die Möglichkeit zum gemeinsamen Musizieren gibt, sei es im Elternchor, Erwachsenenorchester oder gar mit den Kindern zusammen. Nicht nur, dass Eltern, die sich darauf einlassen, ganz persönliche Erfahrung mit der Überwindung von technischen und/oder musikalischen Schwierigkeiten machen und so die Leistung ihrer Kinder noch authentischer einschätzen und anerkennen können. Auch für die Kinder gibt es einen enormen Bestätigungsimpuls, wenn sie mit Erwachsenen gemeinsam musizieren können. Wenn die Musikschule solche Möglichkeiten nicht bietet, kann man immer noch Anregungen für die gute alte „Hausmusik“ geben und sowohl Literaturvorschläge machen als auch Kammermusikproben in sein Unterrichtsgeschehen lebendig mit einbeziehen.
Und wo bleibt bei all der Elternarbeit der Schüler oder die Schülerin? Ich bestehe darauf, dass er oder sie bei all meinen Betrachtungen Zentrum, Dreh- und Angelpunkt war, ist und bleibt. Alle meine Überlegungen zielen im Ergebnis darauf ab, SchülerInnen möglichst reibungsfrei an die Musik heranzuführen und sie auch über längere Zeit dafür zu begeistern. So besonders auch die bilaterale Situation im (Einzel-)Unterricht sein mag, müssen wir immer bedenken, dass nicht nur eine Beziehung zum Kind, sondern zu seiner ganzen Familie entsteht – ob wir es wollen oder nicht.

Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 3/2018.