Welte, Andrea

Farbe – Vorstel­lung – Atmo­sphäre

Zugänge zu impressionistischer Musik im Instrumentalunterricht anhand von Musik für Flöte von Claude Debussy

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 3/2011 , Seite 18

Wie kann es gelingen, Schülerinnen und Schüler für impressionistische Musik zu begeistern und eine persönlich bedeutsame, stimmige musikalische Darstellung anzubahnen? Eine große Rolle spielt neben der eigenen Faszination der Lehrkraft sicher der Zugang zur Musik. Welche Einstiegs­möglichkeiten sind sinnvoll und im Musikschulalltag praktikabel?

Die Musik […] ist eine Summe unterschied­licher Kräfte. Man macht daraus ein spekulatives Geschwätz! Mir sind die paar Noten lieber, die ein ägyptischer Hirte auf seiner Flöte bläst – er ist eins mit der Landschaft und hört Harmonien, von denen sich eure Schulweisheit nichts träumen lässt […]. Den Sonnenaufgang betrachten ist viel nützlicher, als die Pastoralsymphonie hören.1 (Claude Debussy)

Es gibt wenige Unterrichtseinstiege, an die ich mich so deutlich erinnere wie an einen Beginn einer Musikstunde in der 8. Klasse. Anstatt wie üblich mit uns zu singen, zeigte uns die Lehrerin am Anfang dieser Stunde verschiedene Bilder in großen, eigens mitgebrachten Kunstbänden. Was genau sie dazu erzählte, weiß ich nicht mehr – sicher einiges über impressionistische Malerei und Parallelen zur Musik. Aber die Wirkung der Gemälde in Kombination mit der später folgenden Musik – es handelte sich um Ausschnitte aus La Mer von Claude Debussy – war stark und nachhaltig.
Der Stilvergleich als universale Motivationshilfe und methodisches Rezept für den Unterricht? Sicher nicht. Der unvermittelte Analogieschluss wirkt abgestanden und ist fachlich umstritten. Doch trotz aller Differenzen und Phasenverschiebungen zwischen den Künsten und trotz der Kritik am Terminus „Impressionismus“,2 die so alt ist, wie der Begriff selbst, gibt es Berührungspunkte zwischen dem malerischen und dem musikalischen Impressionismus. So wird der Terminus „musikalischer ­Impressionismus“ u. a. gestützt durch die Neigung zu programmatischen, malerischen Titeln, die Vorliebe für naturhafte Thematik und durch eine raffinierte, differenzierte Klanglichkeit, die mit den mannigfaltigen Brechungen von Licht und Farbe verglichen werden kann. Und so wie der malerische Impressionismus ein neues Sehen lehrt, lehrt – und verlangt – der musikalische Impressionismus ein neues Hören.
Keine Frage: Die Musiklehrerin hätte im Zusammenhang mit der Musik von Debussy nicht nur Gemälde von Monet zeigen, sondern auch versuchen können, uns Art Nouveau, Präraffaeliten, literarischen Symbolismus, ­Positivismus oder auch das Phänomen der Synästhesie näher zu bringen. Das alles hat sie nicht einmal gestreift. Dennoch hat sie es geschafft, etwas in mir – und vielleicht auch noch in anderen – anzustoßen: meine Aufmerksamkeit zu schärfen, mich neugierig zu machen auf eine mir bis dato unbekannte Musik und auf Zusammenhänge zwischen den Künsten.

Impressionistische Musik ­vermitteln

Wenn ich an den Instrumentalunterricht denke, den ich seit meinem 6. Lebensjahr erhalten habe, bin ich erstaunt, wie selten dort stilistische Unterschiede und Besonderheiten explizit erörtert wurden. Das hatte den Vorteil, dass nichts „zerredet“ wurde; die Musik sprach aus sich heraus. Oder manchmal eben auch nicht – weil technische Prob­leme im Vordergrund standen, innere Bilder sich nicht einstellen wollten, theoretische Kenntnisse und kulturgeschichtliche Hintergründe nicht vorhanden waren, sodass Neues nicht eingeordnet werden konnte.
Während es mittlerweile in der flötistischen Fachliteratur und in Lehrwerken viele Anregungen zur Vermittlung Alter und Neuer Musik gibt, wird der Impressionismus interessanterweise meist ausgespart, vielleicht weil didaktische Bemühungen hier nicht nötig zu sein scheinen.3 Die Unterrichtspraxis zeigt jedoch, dass Schülerinnen und Schüler sich keineswegs automatisch für diese Musik begeistern: „Das gefällt mir nicht. Das klingt so schwammig“, so eine 14-jährige Flötenschülerin. Impres­sionis­tische Musik erschließt sich nicht unbedingt von allein, nicht selten muss erst ein Zugang geschaffen werden. Dabei gibt es kein allgemein gültiges Rezept, denn je nach Alter, Herkunft, Vorerfahrungen und Unterrichts­situation fallen die Reaktionen verschieden aus und müssen die Lernhilfen angepasst werden. Der direkte Weg jedenfalls ist nicht immer der beste.

1 Claude Debussy: Monsieur Croche. Sämtliche Schriften und Interviews, hg. von François Lesure, aus dem Frz. von Josef Häusler, frz. Originalausg. Paris 1971, dt. Ausg. Stuttgart 1974, S. 49.
2 Der Begriff „impressionistisch“ wurde ursprünglich – sowohl 1874 in Bezug auf Monets berühmtes Gemälde Impression, soleil levant als auch 1887 in Bezug auf Debussys Werk Printemps – im pejorativen Sinne verwendet; einige Jahre später war er dann aber kein Schimpfwort mehr. Debussy selbst hasste Schubladendenken und lehnte ihn darum ab. Wichtig war ihm jedoch der Begriff „Impression“ (frz. Eindruck).
3 Der nach Stilepochen gegliederte dritte Band der Flötenschule ­Magic Flute (Wien 2002) zum Beispiel enthält keinen Hinweis auf den musikalischen Impressionismus; weder Debussy noch andere, impressionistisch beeinflusste Komponisten werden erwähnt.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 3/2011.