Thalheimer, Peter

Fingerspiele

Die Fingerbewegung beim Spiel von Holzblasinstrumenten

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 5/2019 , Seite 22

Für Holzbläser ist eine gute und entspannte Koppelung von Finger- und Zungenbewegung besonders wichtig. Peter Thalheimer erläutert die Unterschiede der Fingerbewegung bei Holzblasinstrumenten im Vergleich zum Klavier und stellt Übungen zur Verbesserung der Koordination von Finger- und Zungenbewegung vor.

Die Literatur zur Fingerbewegung von Musikerinnen und Musikern und auch die Spielpraxis von Holzbläsern werden dominiert von den Verhältnissen beim Klavierspiel.1 Im Rah­­men einer Gewichts- oder Wurftechnik gilt der „Anschlag“ als übliches Muster für die Finger­bewegung. Für das Klavierspiel ist das sinnvoll, weil die beim Anschlag freigesetzte Ener­gie die Klaviermechanik in Gang setzt, die Sai­te angeschlagen wird und gleichzeitig Klangfarbe und Dynamik beeinflusst werden.
Die physiologischen Verhältnisse beim Spiel von Holzblasinstrumenten unterscheiden sich davon sehr grundsätzlich: Zum Abdecken ­eines klappenlosen Tonlochs ist kein „Anschlag“ nötig, und auch bei Instrumenten mit Klappen müssen die Finger lediglich den Druck der Klappenfeder überwinden, unabhängig davon, ob es sich um eine Klappe handelt, die im Ruhezustand offen oder geschlossen ist. Bei großen Klappen ist dieser Federdruck etwas größer als bei kleinen, er ist jedoch grundsätzlich anders und auch geringer als der Widerstand einer Klaviertaste beim Forte. Eine Bewegung im Sinn des „Anschlagens“ oder gar des Werfens oder des Klopfens ist also sinnlos.2 Hochgespannte, aktive Bewegungen zum Schließen von Tonlöchern oder zum Niederdrücken von Klappen führen vielmehr zu einer Erhöhung des Muskeltonus und damit zu einer Abnahme der Fingersensibilität. Durch die Steigerung der Grundspannung nimmt die Fähigkeit zur schnellen Bewegung und auch die Koordinationsfähigkeit ab. Klavier-Bewegungen beim Spiel eines Holzblasinstruments sind also kontraproduktiv.
Bei einer klappenlosen Blockflöte und den kleineren Holzblasinstrumenten mit Klappen3 genügt das Gewicht der Finger, um die Tonlöcher abzudecken bzw. den Federwiderstand der Klappen zu überwinden. Bei den meisten Instrumenten ergibt sich das Schließen der Löcher bzw. Klappen also passiv durch die Schwerkraft der Finger. Das Hochheben der Finger, also das Öffnen von Löchern und Klappen, wirkt der Schwerkraft entgegen und ist damit ein aktiver Vorgang. Leon Brunner4 stellte schon 1989 fest, dass bei Kindern der Greifreflex früher ausgebildet ist als die Fähigkeit, die Hand zu öffnen bzw. die Finger zu heben.
Auch beim Erwachsenen ist die Muskulatur zum Heben der Finger schwächer aus­ge­bil­det als die Muskeln zum Drücken und Klopfen. Unsere Aufmerksamkeit hat also dem Heben der Finger entgegen der Schwerkraft zu gelten, weil es mehr Aktivität benötigt. Zum Schließen der Tonlöcher und Klappen genügt das Loslassen der Aktivität und die Finger fallen nach unten.5

1 z. B. bei Christoph Wagner (unter Mitarbeit von Ulrike Wohlwender): Hand und Instrument. Musikphysiolo­gische Grundlagen. Praktische Konsequenzen, Wies­baden 2005.
2 Das gilt auch für die sogenannten „Klopfübungen“ in Blockflötenschulen, die das Treffen der Tonlöcher verbessern sollen, jedoch lediglich für eine Spannungssteigerung sorgen.
3 Wegen der anderen Instrumentenhaltung gilt dies nicht für Fagott und große Saxofone.
4 Leon Brunner: „Fingering and Psychomotor Development in the Child“, in: The Flutist Quarterly XIV, No. 1, Winter 1989, S. 31.
5 Die hier verwendeten Vorstellungshilfen „aktiv“ und „passiv“ entsprechen nicht ganz den physiologischen Tatsachen. Sie führen jedoch zu dem gewünschten Ergebnis, dem muskulären Minimalaufwand, und sind deshalb sinnvoll – wie viele andere Vorstellungshilfen in der Musikpädagogik.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 5/2019.