Matteis, Nicola

First book of Ayrs

für Violine und Basso continuo

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Edition Walhall, Magdeburg 2016
erschienen in: üben & musizieren 6/2016 , Seite 58

Nicola Matteis war ein erfolgreicher Violinvirtuose in London. Er stammte aus Neapel, wo er um 1650 geboren wurde. Sein Publikum fand er im gehobenen ­Bürgertum und Adel. Wie faszinierend sein Spiel gewesen war, spiegelt die folgende Tagebuchnotiz des Architekten John ­Evelyn: „Ich hörte den Geiger Signor Nicholao, den sicher kein Sterblicher auf diesem Instrument übertreffen kann. Er hatte einen so süßen Strich, und ließ die Geige sprechen wie eine menschliche Stimme…“
Das in der Edition Walhall neu erschienene First book of Ayrs erschließt die Musik eines der wichtigsten Geiger des 17. Jahrhunderts. Der nun vorliegende erste Band der von Carlo Maria Scandolo herausgegebenen Aus­gabe hält sich eng an den Notentext des Erstdrucks im Jahr 1676. Er besteht aus der Partitur mit Violin- und Generalbass-Stimme, der Violinenstimme, in der zur besseren Orientierung auch die Bassstimme abgedruckt ist, und der alleinigen Bassstimme für das Continuo.
Der Bass ist beziffert, aber nicht ausgeschrieben, wie es der Praxis im 17. Jahrhundert entspricht. Triller werden mit zwei Diagonalstrichen angegeben, entsprechend dem Notentext der Erstausgabe. Diese puristische Ausgabe scheint auf den ersten Blick den Zugang zur Musik zu erschweren, muss doch der Violinspieler Verzierungen, Artikulationseinheiten, Einteilungen des Bogenstrichs sich selbst zurechtlegen und der Cembalist selbst den Generalbasspart ausführen. Aber auf diese Weise zwingt das Notenbild dazu, so zu musizieren, wie es im 17. Jahrhundert üblich war. Musiker hatten damals mehr Spielvarianten; diese heute zu erfahren und auszufüllen, macht die Herausforderung und den Reiz von früher Barockmusik aus.
Die Kompositionen von Nicola Matteis fordern im Grunde nicht mehr als das Spiel in der ersten Lage, wobei Lagenwechsel aus klanglichen Gründen sicher an der einen oder anderen Stelle sinnvoll sind. Doch deshalb zu glauben, diese Musik wäre einfach, ist ein Irrtum. Vielmehr erfordert sie eine flexible und ­differenzierte Bogenführung. Die einzelnen Sätze sind ein Kosmos barocker Affektdarstellung. Die langsamen Sätze erfordern ein sprechendes Spiel, also ein Singen auf dem Instrument analog zum Belcanto. In den schnellen Sätzen ist große Geläufigkeit in der linken Hand und ein blitzschnelles Umschalten der Stricharten und Artikulation in der Bogenhand gefordert. Der Charakter verschiedenster Tänze wie Alemanda, Sarabanda, Gavotta muss aus der Kenntnis der ­Bewegungsabläufe erschlossen werden.
Wer diesen Weg beim Musizieren geht, wird von einer Musik belohnt, die musikantisch, rhyth­misch mitreißend, voller eingängiger Melodien ist und von einer plastischen Charakterisierungskunst geprägt wird. Die Ausgabe ist gleichermaßen für den Violinunterricht und das Musizieren und Konzertieren geeignet. Sie ermöglicht den Einstieg in das Spiel von Barockmusik vor Bach und Händel.
Franzpeter Messmer