© Inken Kuntze-Osterwind

Berg, Hans-Walter

Fit und lebensfroh

Seniorenorchester und -chöre haben sich als eigenständige Gattung etabliert

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 6/2017 , Seite 18

Der Begriff “Seniorenorchester” ist neueren Datums. In manchen Regio­nen Deutsch­lands sind musizierende Gemeinschaften mit Instrumenta­listInnen im Rentenalter noch unbekannt oder nur selten zu finden. Aber in Baden-Württemberg, dem Bundes­land mit der höchsten Anzahl von Laienorchestern in Deutschland, ­existiert bereits in jedem 15. Blas­musikverein neben Jugend- und Erwachsenenorchestern auch ein Seniorenorchester. Ähnlich sieht es bei Akkordeon- und Zupforchestern aus.

Älteren BlasmusikerInnen, denen das Tempo und die Ansprüche im heimischen Blas­orchester zu viel geworden sind und die in ihrem Verein kein eigenes Seniorenorchester finden, bieten inzwischen 19 Seniorenblas­orchester in der Trägerschaft von Kreisverbänden die Chance, mit Gleichaltrigen zu musizieren.
Bereits zweimal sind Seniorenorchester und EinzelmusikerInnen aus Seniorenorchestern einer Einladung zu einem Treffen auf Bundesebene nach Bad Kissingen gefolgt. 2013 hieß das erste Event „Deutsches Orchestertreffen 60+“, veranstaltet von der Bundesvereinigung Deutscher Orchesterverbände (BDO) mit Sitz in Trossingen. 2016 trug das Zusammenkommen den Namen „Deut­sches Musiktreffen 60plus“. Als Veranstalterin gesellte sich zur BDO die Bundesvereinigung Deutscher Chorverbände (BDC) hinzu, um auch Seniorenchöre zum Mit­machen zu gewinnen. Beide Male unternahmen mehr als eintausend musikfreudige Seniorinnen und Senioren aus ganz Deutschland die Reise ins Frankenland, um ihr Können zu zeigen und anderen zuzuhören, gemeinsam zu musizieren, neue Anregungen zu erfahren und sich mit Gleichgesinnten auszutauschen.
In den etwa 60000 kirchlichen und weltlichen Chören Deutschlands sieht die Seniorenquote anders aus als bei den ca. 30000 nichtberuflichen Orchestern. Schätzungen gehen davon aus, dass 70 bis 80 Prozent der Chöre einen Altersdurchschnitt von über 60 aufweisen. Diese Chöre tragen aber zumeist nur in großen Chorvereinen die Bezeichnung Seniorenchor, nämlich dann, wenn in einem Verein außer Kinder-, Jugend- und Erwachsenen­chor auch eine Chorgruppe vorhanden ist mit SängerInnen, die im ambitionierten Oratorienchor oder einer Kan­torei ausscheiden müssen oder stimmlich nicht mehr mithalten können. Deshalb erreichte die erwähnte Ein­ladung an Seniorenchöre nach Bad Kissingen nur wenige Chöre, denn ein Chor mit einer der üblichen Bezeichnungen wie Liederkranz, Eintracht, Concordia, Germania, Frohsinn oder Lyra fühlt sich als Seniorenchor nicht angesprochen. Dennoch waren trotz des kurzfristigen Aufrufs wenigstens elf Seniorenchöre dabei.
Die BDO war bei diesen beiden mehrtägigen Bundestreffen von Seniorenorchestern Vorreiterin und Impulsgeberin. Bisherige Orchestertreffen waren regional begrenzt, dauerten höchstens einen Tag und bestanden aus einer Aneinanderreihung von konzertanten Auf­tritten; dabei blieben die Orchestersparten immer unter sich. Anders in Bad Kissingen: Dort waren die Orchestersparten der Bläser, Streicher, Akkordeonisten und Zupfer gemeinsam vertreten und spielten nicht nur nach­einander, sondern auch miteinander. Der Ertrag für die MusikerInnen – und beim zweiten Treffen auch für die SängerInnen – war offenbar überwältigend. Hunderte äußerten sich danach schriftlich bei der BDO in euphorischen Tönen. Das Treffen muss also besondere Emotionen und Glücksgefühle ausgelöst haben und bestätigt: Musizieren im Alter macht stark.


Lesen Sie weiter in Ausgabe 6/2017.