Berg, Hans-Walter
Fit und lebensfroh
Seniorenorchester und -chöre haben sich als eigenständige Gattung etabliert
Der Begriff “Seniorenorchester” ist neueren Datums. In manchen Regionen Deutschlands sind musizierende Gemeinschaften mit InstrumentalistInnen im Rentenalter noch unbekannt oder nur selten zu finden. Aber in Baden-Württemberg, dem Bundesland mit der höchsten Anzahl von Laienorchestern in Deutschland, existiert bereits in jedem 15. Blasmusikverein neben Jugend- und Erwachsenenorchestern auch ein Seniorenorchester. Ähnlich sieht es bei Akkordeon- und Zupforchestern aus.
Älteren BlasmusikerInnen, denen das Tempo und die Ansprüche im heimischen Blasorchester zu viel geworden sind und die in ihrem Verein kein eigenes Seniorenorchester finden, bieten inzwischen 19 Seniorenblasorchester in der Trägerschaft von Kreisverbänden die Chance, mit Gleichaltrigen zu musizieren.
Bereits zweimal sind Seniorenorchester und EinzelmusikerInnen aus Seniorenorchestern einer Einladung zu einem Treffen auf Bundesebene nach Bad Kissingen gefolgt. 2013 hieß das erste Event „Deutsches Orchestertreffen 60+“, veranstaltet von der Bundesvereinigung Deutscher Orchesterverbände (BDO) mit Sitz in Trossingen. 2016 trug das Zusammenkommen den Namen „Deutsches Musiktreffen 60plus“. Als Veranstalterin gesellte sich zur BDO die Bundesvereinigung Deutscher Chorverbände (BDC) hinzu, um auch Seniorenchöre zum Mitmachen zu gewinnen. Beide Male unternahmen mehr als eintausend musikfreudige Seniorinnen und Senioren aus ganz Deutschland die Reise ins Frankenland, um ihr Können zu zeigen und anderen zuzuhören, gemeinsam zu musizieren, neue Anregungen zu erfahren und sich mit Gleichgesinnten auszutauschen.
In den etwa 60000 kirchlichen und weltlichen Chören Deutschlands sieht die Seniorenquote anders aus als bei den ca. 30000 nichtberuflichen Orchestern. Schätzungen gehen davon aus, dass 70 bis 80 Prozent der Chöre einen Altersdurchschnitt von über 60 aufweisen. Diese Chöre tragen aber zumeist nur in großen Chorvereinen die Bezeichnung Seniorenchor, nämlich dann, wenn in einem Verein außer Kinder-, Jugend- und Erwachsenenchor auch eine Chorgruppe vorhanden ist mit SängerInnen, die im ambitionierten Oratorienchor oder einer Kantorei ausscheiden müssen oder stimmlich nicht mehr mithalten können. Deshalb erreichte die erwähnte Einladung an Seniorenchöre nach Bad Kissingen nur wenige Chöre, denn ein Chor mit einer der üblichen Bezeichnungen wie Liederkranz, Eintracht, Concordia, Germania, Frohsinn oder Lyra fühlt sich als Seniorenchor nicht angesprochen. Dennoch waren trotz des kurzfristigen Aufrufs wenigstens elf Seniorenchöre dabei.
Die BDO war bei diesen beiden mehrtägigen Bundestreffen von Seniorenorchestern Vorreiterin und Impulsgeberin. Bisherige Orchestertreffen waren regional begrenzt, dauerten höchstens einen Tag und bestanden aus einer Aneinanderreihung von konzertanten Auftritten; dabei blieben die Orchestersparten immer unter sich. Anders in Bad Kissingen: Dort waren die Orchestersparten der Bläser, Streicher, Akkordeonisten und Zupfer gemeinsam vertreten und spielten nicht nur nacheinander, sondern auch miteinander. Der Ertrag für die MusikerInnen – und beim zweiten Treffen auch für die SängerInnen – war offenbar überwältigend. Hunderte äußerten sich danach schriftlich bei der BDO in euphorischen Tönen. Das Treffen muss also besondere Emotionen und Glücksgefühle ausgelöst haben und bestätigt: Musizieren im Alter macht stark.
Lesen Sie weiter in Ausgabe 6/2017.