Herbst, Sebastian

FlexTicket statt Zugausfall

Der Kommentar

Rubrik: Kommentar
erschienen in: üben & musizieren 3/2024 , Seite 33

Als Teil des Maßnahmepakets „MusikPlus“ und des „Handlungsplans Lehrkräftegewinnung“ der Landesregierung Schleswig-Holstein bietet die Musikhochschule Lübeck ab dem kommenden Wintersemester Absolvierenden künstlerischer und künstlerisch-pädagogischer Bachelorstudiengänge einen neu eingerichteten Masterstudiengang an, der mit dem „Doppelfach Musik“ (neben einer Grundbildung in Deutsch und Mathematik) für das Lehramt Musik an Grundschulen qualifiziert. Die Musikhochschule ergänzt so ihren „Umstiegsmaster – Gymnasium“ mit einer „Umstiegs“-Option hin zum Lehramt an Grundschulen. Zugleich erwerben die Studierenden „eine berufsbefähigende Bachelorqualifikation im Bereich ‚Elementare Musikpädagogik‘“, was hinsichtlich der Breite auch dieses Fachs und Berufsfelds auf den ersten Blick verwundert.
Die Musikhochschule reiht sich damit ein in die Reihe der wenigen Musikhochschulen, die sich über das Lehramt an Gymnasien hinaus auch um die Ausbildung von Musiklehrkräften für die Grundschule kümmern. Angesichts des enormen Nachwuchs- und Fachkräftemangels ist das begrüßenswert und eine Initiative, die gemeinsam mit Projekten anderer Hochschulen und Universitäten den Mangel zu bekämpfen versucht. Dass im Rahmen der Pressekonferenz überraschend weitere 250000 Euro des Landes zur Einführung eines zusätz­lichen regulären Bachelor- und Masterstudiengangs für das Lehramt an Grundschulen bekanntgegeben wurde, ist besonders erfreulich.
Die grundlegende Datenbasis zur Notwendigkeit der Lübecker „Umstiegs“-Initiative bildet unter anderem eine Simulation des Bildungsministeriums Schleswig-Holstein, die für den Zeitraum 2021 bis 2032 einen Bedarf an Neuanstellungen von 973 Musiklehrkräften allein für das Bundesland berechnet hat. Mit Blick auf die 65 Personen, die laut eigenen Angaben an den schleswig-holsteinischen Hochschulen ausgebildet werden, sowie dem bundesweit zu verzeichnenden Rückgang an StudienbewerberInnen, ergibt sich eine drastische Situation.
Sicher wird der Bedarf nicht allein mit den Absolvierenden des „Umstiegsmasters“ gedeckt werden können, sodass die Lübecker Initiative nur eine neben anderen sein kann und muss. Dennoch: Bereits ab 2026 werden die ersten Absolvierenden des „Umstiegsmasters“ für Schulen bereitstehen. Die Bildungsministerin des Landes ist daher stolz auf die Musikhochschule Lübeck, die als „starker Motor gegen den Fachkräftemangel im Fach Musik […] neuen Zielgruppen einen Einstieg in den Lehrkräfteberuf“ eröffnet. „Die Kombination aus vertieften künstlerischen Kompetenzen, die die Studierenden in ihrem Grundstudium erworben haben, und die intensive pädago­gische Ausbildung im ‚MusikPlus‘-Master […] birgt ein großes Potenzial, um Kinder an den Grundschulen mit Musik zu erreichen“, so Annette Ziegenmeyer, die den Studiengang mit Anna Unger-Rudroff entwickelt hat.
Auch wenn die Verantwortlichen beteuern, keine Konkurrenz erzeugen zu wollen, stellt sich dennoch die Frage, inwiefern die Werbung für eine Umorientierung zum Lehramt Auswirkungen auf künstlerisch-pädagogische Berufsfelder z. B. an Musikschulen haben wird – Berufsfelder, die ebenfalls vom Nachwuchs- und Fachkräftemangel betroffen sind. Der finanzielle Vorteil der Tarifgruppe A13 im Lehramt wurde in der Pressekonferenz jedenfalls deutlich herausgestellt. Er stellt gewiss nur einen unter vielen weiteren Entscheidungsfaktoren dar, ist aber auch kein unwesentlicher. Noch relevanter dürfte er werden, wenn die Anzahl dualer Lehramtsstudienplätze mit monatlichem Gehalt und die möglichen Fächerkombinationen ausgeweitet würden, mit denen Thüringen und Baden-Württemberg an einzelnen Standorten für ausgewählte Fächer noch in diesem Jahr an den Start gehen.
Flexibilität und Durchlässigkeit in Studiengängen, so wie es auch im Pressegespräch der Lübecker Musikhochschule mehrmals formuliert wurde, ist künftig sicher entscheidend, um flexibel auf Anforderungen reagieren zu können. Zugleich dürften ausgeprägte „Onboarding-Offensiven“, wie Ziegenmeyer sie wunderbar bezeichnet, relevant sein, um mit gezielten Angeboten Kontakt zu möglichen BewerberInnen aufzubauen.
Um in der Bahnreise-Metaphorik des „Umstiegsmasters – Grundschule“ zu verbleiben: Man darf gespannt sein, wie viele in den nächsten Jahren ein- bzw. umsteigen, ob die Zugbindung gar aufgehoben wird oder werden muss, welchen Effekt das auf den außerschulischen Musikunterricht haben wird und ob zu erwerbende FlexTickets dazu beitragen, dass der Zug für den Musikunterricht nicht abgefahren ist.

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