Eötvös, Peter

Fünf frühe Klavierstücke

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2016
erschienen in: üben & musizieren 1/2017 , Seite 55

Der 1944 in Siebenbürgen geborene Peter Eötvös gehört als Dirigent und Komponist zu den bedeutendsten zeitgenössischen Musikern. Bereits im Alter von 14 Jahren wurde er von der Budapester Musikakdemie aufgenom­men, wo er bis 1965 studierte. Danach suchte er Anschluss an die westeuropäische Avantgarde, arbeitete am Studio für Elektronische Musik des WDR in Köln mit und war von 1979 bis 1991 Leiter des Ensemble intercontemporain. Allmählich trat Eötvös neben seinen Dirigenten- und Lehrtätigkeiten auch als Komponist in die Öffentlichkeit. Den internationalen Durchbruch erzielte er mit der Lyoner Uraufführung der Oper Drei Schwes­tern nach Anton Tschechow im Jahr 1998.
Die vorliegende Publikation von Klavierstücken erlaubt einen Blick in die Zeit der Ausbildung des Komponisten an der Budapester Musikakademie. Es handelt sich durchweg um frühe Werke aus den Jahren 1959 bis 1961, die nicht im engeren Sinn pianistisch anmuten. Taktelang ist der Klaviersatz von einfacher, geringstimmiger Faktur, obwohl er nicht immer leicht in der Hand liegt und bisweilen bei der rhythmischen Koordination der Hände Ansprüche stellt.
Man begegnet hier den ersten tastenden Versuchen von Peter Eötvös auf dem Weg zu einer eigenen Musiksprache, die unvermeidlich noch an jenen formalen und klangsprachlichen Vorbildern orientiert sind, die dem jungen Musikstudenten zugänglich waren. Bartóks „barbarischer“ Stil schlägt sich etwa im Rondo von 1961 nieder, wo auch der „bulgarische Rhythmus“ mit seinen Gruppierungen aus 3 + 3 + 2 Achteln fröhliche Urständ ­feiert.
Mit Quartenmelodik und Quartenakkorden experimentiert Eötvös in einem Scherzo, während eine in den Oktavlagen weiträumige Improvisation die Farbwerte von parallel geführten großen Septimen auslotet. Enge Akkorde in tiefer Lage und clusternahe Satzdichten begegnen einem mehrfach, doch erweist sich Peter Eötvös in diesem Anfangsstadium nicht nur als „junger Wilder“: Mit einem Adagio gelingt ihm auch ein Nachtstück voller subtiler Klangvaleurs.
Ein besonders witziges Werk ist die Hommage à Haydn, die wohl entstand, als Peter Eötvös ein Band mit Haydn-Sonaten in die Hände fiel. In den drei Sätzen seiner Haydn-Reminiszenz von 1959 wird anfangs jeweils zitiert: der Allegro-Kopfsatz aus Haydns D-Dur-Sonate Hob. XVI/37, das Larghetto aus dem F-Dur-Werk Hob. XVI/47 und das Presto-Finale der Es-Dur-Sonate Hob. XVI/28. Doch es ist nicht auf eine sanfte Verfremdung des alten Stils abgesehen wie in Prokofieffs Sinfonie classique, sondern die Originale werden von Beginn an harmonisch denaturiert und dann eigenständig weitergeführt. Das äußere Satzbild der Haydn’schen Klaviermusik bleibt zwar bewahrt, doch verlagert sich etwa die Durchführung des Allegro-Satzes in extrem tiefe Lagen, sodass dort geradezu geräuschhafte Effekte entstehen.
Gerhard Dietel