Röbke, Peter

Für Elise

Anmerkungen zu einem der populärsten Stücke Beethovens

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: üben & musizieren 5/2011 , Seite 24

“Für Elise” ist das vielleicht beliebtes­te Stück der leichteren Klavier­litera­tur. Da hier wohl kein elementares Bewegungsbedürfnis – wie etwa im “Floh­walzer” – befriedigt wird und auch außermusikalische Assoziatio­nen kaum eine Rolle spielen – wer hätte sich je Gedanken über die Person “Elise” und Beethovens vermeintliches Verhältnis zu ihr ge­macht –,1 liegt die Vermutung nahe, dass es das musikalische Potenzial des Stücks selbst ist, das die immer wieder erneuerte Zuneigung auslöst.

Das Lieblingsstück Für Elise wird wohl schlicht auch ein „gutes“ Stück sein. Aber das, was in der Faktur liegt – einer Faktur, die gut durchgearbeitet ist, in der das Detail sich zwanglos ins Ganze fügt und in der Einheit in der Mannigfaltigkeit herrscht –, diese strukturell bewältigte Dichte und Komplexität berührt sich zugleich mit komplexen affektiven Bedürfnissen von Spielenden und Hörenden: Musikalische Logik konvergiert mit Psycho-Logik.
Wenn – nach Schönbergs Wort – Analyse bedeutet, die Geschichte eines Themas zu erzählen, so sollen im Folgenden drei Geschichten erzählt werden: in einem Duktus, der die musikalische Struktur (also die Form) immer auch auf die affektive Situation (Schiller hätte gesagt: den „Stoff“) bezieht. Ich berichte also vom – letztlich scheiternden – Versuch, sich von einer fixen Idee zu lösen (hier kommen vor allem melodische und harmonische Aspekte ins Spiel), ich beschreibe Beethovens Umgang mit Verunsicherung und Geborgenheit (hier wird von der Metrik die Rede sein), ich erzähle vom Gegensatz zwischen freiem Schwingen und insistierendem Bohren, aber auch von Klarheit und Unklarheit der Bewegungen (hier geht es um satztechnische Fragen). Und schon jetzt deutet sich an, dass Für Elise wohl deshalb ein gutes Stück ist, weil es diese Polaritäten zugleich ausleuchtet und zusammenhält.

I. Die fixe Idee

Wenn das Klavierstück mit jenen seltsam leeren und tiefen A-Oktaven endet, kommt es einem manchmal so vor, als klänge noch ein e nach, jener Ton, um dem sich in Für Elise so vieles dreht, dass man ihn für den eigent­lichen Zentralton des Stücks halten könnte: Die Folge
e-dis-e-dis-e ist nicht nur der Ausgangspunkt, sondern das geheime melodische Zentrum; und Beethoven kommt so konsequent immer wieder auf den Quintton in a-Moll zurück, dass dieser wie eine fixe Idee wirkt.2

1 Das Nachdenken über die Widmungsträgerin kann man getrost der historischen Musikwissenschaft überlassen. Ludwig Nohl entdeckte das Stück, das er im Jahr 1867 veröffentlichte, zwei Jahre zuvor bei ­Babette Bredl in München, deren Sohn die Musikalien von Therese von Malfatti geerbt hatte, jener Frau, die Beethoven um 1810, also in jenem Jahr, in dem auch das Klavierstück entstand, heiraten wollte. Nohl transkribierte aus dem Autograf Für Elise, Max Unger aber vermutete 1923, dass die Transkription fehlerhaft sein könne und das Stück in Wahrheit Für Therese heiße. 2010 dann legte der Beethoven-Forscher Klaus Martin Kopitz eine Studie vor, in der er den Nachweis versuchte, dass das Stück Elisabeth Röckel, der späteren Frau Johann Nepomuk Hummels, zugeeignet sei (Beethoven, Elisabeth Röckel und das Albumblatt „Für Elise“, Köln 2010). Kopitz’ Ansatz wurde aber ­wenig später vom Wiener Musikwissenschaftler Michael Lorenz energisch bestritten („Die enttarnte Elise“: Elisabeth Röckels kurze Karriere als Beethovens „Elise“; vgl. den spannenden Forschungsbericht http://homepage.univie.ac.at/michael.lorenz/beethovens_elise).
2 Meinem Wiener Kollegen Alfred Litschauer verdanke ich den Hinweis auf die Sonate D-Dur K 436, L 109 von Domenico Scarlatti, in der sich – vor dem Erreichen des dominantischen Teils – ein ähnlich auffälliges und das Metrum außer Kraft setzendes Spiel mit den Tönen dis und e findet.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 5/2011.