Herbst, Sebastian
Gefährliche Unzufriedenheit
Der Kommentar
Regelmäßig verfolge ich Berichte über aktuelle musizierpädagogische Projekte, Angebote, Themen und Diskussionen. Klar, dass meine Accounts in den sozialen Netzwerken mittlerweile meine Vorlieben kennen und entsprechende Anzeigen für mich bereithalten. Ein Beitragsformat ist mir in den vergangenen Wochen vermehrt begegnet und hat meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Es handelte sich um einen immer ähnlich aufgebauten und als gesponsorten, also als Werbung geschalteten Beitrag. Ich las jeweils individualisiert für verschiedene Instrumente: „Keine Energie für noch mehr Schüler? Kein Problem! Lerne, wie du aus dem Hamsterrad von zu viel Unterricht und zu wenig Geld aussteigst.“ Gespannt auf die Vorschläge informierte ich mich weiter.
Hinter dem Post steckte ein kostenloses Videotraining, in dem mir gezeigt werden sollte, wie ich mit meinem Unterricht mehr Geld verdiene und nur mit „tollen Schülern“ arbeite. Der Titel des Konzepts „The NEW WAY of Teaching Music“ versprach viel. Werde ich besser Unterrichten lernen und dadurch mehr Geld pro Unterrichtsstunde verdienen können? Ich entschied mich also, das 50-minütige Video anzuschauen, um den neuen Weg des Musiklehrens kennenzulernen.
Die didaktischen Tipps hielten sich jedoch in Grenzen: „Tipp Nummer 1 für dein Unterrichtsbusiness: Tu alles dafür, dass deine Schülerinnen und Schüler viel lernen. Nichts bringt dir mehr Erfolg als das. Das ist wirklich der Kern.“ Wow! Tipp Nummer 2 gab es dann doch nicht, aber ich erfuhr, was mir widerfährt, wenn ich der beste Lehrer bin: „Wenn du nämlich der beste Lehrer bist, dann wirst du nie Probleme haben, Geld zu verdienen.“ Und für diejenigen, die vielleicht nicht die besten Lehrer sind: „Falls der Unterricht von anderen besser ist – kleiner Tipp: Gib besseren Unterricht! Verbessere deinen Unterricht!“
Der Titel „The NEW WAY of Teaching Music“ erwies sich also als irreführend und wurde insbesondere mit drei Aspekten gleichgesetzt: „Genug Geld, tolle Schüler und genug Zeit für deine Musik“. Und die Prioritäten des Anbieters wurden deutlich formuliert: „Inzwischen habe ich genug Zeit für meine Musik, mehr als genug Geld und immer genug Zeit für alles, was mir wichtig ist.“
Um dieses Stadium zu erreichen, seien vier Schlüssel zu berücksichtigen. Einer davon beinhaltet die Arbeit mit der sogenannten PBJ-Methode. Dabei erfährt man dann auch recht schnell, was nach Ansicht des Anbieters „tolle Schüler“ sind. Die wichtigste Voraussetzung sei nämlich die Entwicklung eines Premiumangebots (P) für die engagiertesten SchülerInnen, die den besten Unterricht, erstklassigen Support, das ganze Paket und in kurzer Zeit viel lernen wollen. Wer also nicht das Premiumpaket bucht, bekommt folglich schlechteren Unterricht?
Es folgen spannende Hypothesen: Je niedrigpreisiger das Produkt, desto mehr Schwierigkeiten hast du; je mehr die SchülerInnen zahlen, desto zufriedener sind sie… Das „J“ steht dann für eine „jährliche Mitgliedschaft“ und das B für „begrenzte Plätze“, denn die Premium-SchülerInnen wollen Teil einer exklusiven Gruppe sein. Auf diese Weise kämen die „richtigen“ SchülerInnen von ganz alleine. Wird in der Begrenzung der Plätze noch ein Drängen deutlich („Potenzielle Schülerinnen und Schüler haben wirklich Interesse und den Drang zu buchen, weil sie denken, hoffentlich ist das nicht gleich weg“), erstaunt die Aufforderung im zweiten Schlüssel, Kunden im Verkaufsgespräch nicht zu bedrängen. Der Vorschlag: ein kostenloses Trainingsvideo und anschließend ein persönliches Zoom-Gespräch mit Aufbau einer E-Mail-Liste, um über die Passung der Angebote für die Schülerinnen und Schüler zu sprechen – ganz im Sinne des Vorgehens, an dem ich durch den Aufruf des Videos gerade teilhabe.
Worüber ich also etwas erfahren habe: einen „(New) Way of Selling Musiclessons“. Wichtig aus der Sicht des Anbieters ist das Bereithalten exklusiver und hochpreisiger Angebote, um meinen Umsatz zu erhöhen. Aus Erfahrungen berichtet er: Durch die Entwicklung eines Premiumangebots ohne 1:1-Unterricht konnte das Einkommen fast verdoppelt werden. Was ich jedoch nicht gelernt habe: einen „New Way of Teaching Music“ – schade eigentlich.
Noch Tage haben mich die Aussagen im Video beschäftigt. Welcher Eindruck wird dort von unserem Berufsfeld als Instrumental- und GesangspädagogInnen vermittelt? Welche pädagogischen Leitvorstellungen über guten Instrumental- und Gesangsunterricht liegen der Idee des Angebots zugrunde? Wie denkt der Anbieter über seine Identität als Künstler und Pädagoge? – Klar ist meines Erachtens: Gelingt es dem Anbieter tatsächlich, gute, aber unzufriedene Instrumental- und GesangspädagogInnen von seinen Leitvorstellungen zu überzeugen, so ist dies ein deutlicher Hinweis darauf, umso mehr an der Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu arbeiten, um das Angebot eines guten Musizierunterrichts für alle SchülerInnen nicht zu gefährden.
Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 1/2023.