Chanson-Duo "Schonzeit": Reinhart von Gutzeit und Harald Schoneweg

Busch, Barbara

Gemeinsam gestalten

Gespräch mit Reinhart von Gutzeit über sein Berufsleben zwischen Musikschule und Hochschule, Musikpädagogik und Kulturpolitik

Rubrik: Gespräch
erschienen in: üben & musizieren 6/2019 , Seite 46

Lieber Herr von Gutzeit, welche Erlebnisse haben in Ihrer Jugend maßgeblich dazu geführt, dass Sie sich entschieden haben, Musik zu studieren?
Meine musikalische Laufbahn begann sehr „normal“ als Schüler der Düsseldorfer Jugendmusikschule. Dort fand ich schließlich zu meinem großen Glück mit Axel Gerhardt auch den entscheidenden Geigenlehrer. Er war gerade vier Jahre älter als ich, aber mit 20 schon ein unglaublich umsichtiger und inspirierender Mentor. Seit meinem 16. Lebens­jahr habe ich dann jeden Sommer an einem internationalen Musikcamp von Jeunesses Musicales in Belgien teilgenommen. Ich glau­be, es war nicht unwichtig, dass ich mir das erst einmal mühsam zusammengespart habe, indem ich ein Jahr lang die Kirchenzeitung austrug. Das waren unendlich erfüllende Sommerwochen mit Orchester- und Kammermusik. Vier Wochen wie auf einem anderen Stern! Schrecklich war danach jedes Mal die Rückkehr in den Schulalltag. Aber sehr früh wusste ich: Ich möchte in ähnlicher Weise dafür arbeiten, dass junge Menschen sich für Musik begeistern und mit Leib und Seele in diese Welt eintauchen.

Wo haben Sie dann Musik – und mit welchen Schwerpunkten – studiert?
Mein Musikstudium habe ich 1966 begonnen und zur Gänze an der Kölner Musikhochschule absolviert: Schulmusik mit dem künstle­rischen Hauptfach Violine, das mir wichtiger als alles andere war. Berta Volmer war meine Hauptfachlehrerin, eine respekteinflößende Dame, jahrzehntelang die rechte Hand von Max Rostal.

Wie beurteilen Sie rückblickend die Qualität Ihres Studiums?
An den künstlerischen Unterricht, den wir als Schulmusiker genossen haben, habe ich die allerbesten Erinnerungen. In den pädagogischen Fächern fühlten wir uns unterfordert und hatten damit wohl recht, wenn ich es mit den Ansprüchen vergleiche, die heute selbstverständlich geworden sind. „Überlegungen zum soziologischen Hintergrund“ als rituelle Introduktion eines jeden Unterrichtsentwurfs. Grau, teurer Freund, ist alle Theorie! Bei der Suche nach dem Grün des pädagogischen Lebensbaums fühlten wir uns ziemlich auf uns selbst gestellt.
Eher nebenbei und weder von der Hochschule noch von mir wirklich beabsichtigt erwarb ich wichtige Erfahrungen bezüglich Arbeitstechniken, Netzwerken, Gremienarbeit, „Auftreten“ (nicht nur im musikalischen Sinn) learning by doing als AStA-Chef an der Hochschule. Wir Studierendenvertreter waren – typisch Musiker – viel weniger politisch als unsere Kollegen an den Universitäten, aber dennoch eingebunden in den spannenden Aufbruch der 1968er Jahre. Und wir kämpften mit großem Einsatz für einen Neubau der Hochschule. Das alles hat ein zusätzliches Semester gekostet und sich doch in jeder Hinsicht gelohnt!
Wichtig ist es mir zu erwähnen, dass ich vom ersten bis zum letzten Semester durchgehend an der Meerbuscher Musikschule unterrichtet habe. Das hatte auch mit dem Streben nach ökonomischer Unabhängigkeit zu tun, aber vor allem haben mir die Arbeit und meine Schüler sehr viel Freude gemacht. Ich hätte keinesfalls damit bis zum Ende des Studiums warten wollen!

Welche beruflichen Stationen waren für Sie persönlich am bedeutsamsten?
Es waren, jedenfalls bezogen auf hauptberufliche Tätigkeit, ja nur vier Stationen. Die be­reits erwähnte Musikschule Meerbusch war gewissermaßen meine vorberufliche Früh­erziehung. Mit 19 Jahren, kurz vor Beginn des Studiums, kam das Angebot, dort tätig zu werden. Wir waren ein sehr junges, überaus engagiertes Team, das mutig die angebotenen Gestaltungsräume nutzte und Verantwortung übernahm. Es folgten fünf Jahre als Leiter der Musikschule Rheinbach – mit dem Auftrag, die erst drei Monate zuvor gegründete Schule systematisch zu entwickeln. Das waren Lehrjahre, vor allem hinsichtlich der Leitungsaufgaben mit ihren unterschiedlichen pädagogischen, künstlerischen, organisatorischen und politischen Aspekten.

In den pädagogischen Fächern fühlten wir uns ­unterfordert und hatten damit wohl recht, wenn ich es mit den Ansprüchen vergleiche, die heute selbstverständlich geworden sind.

Dann war ich 16 Jahre Direktor der Musikschule Bochum, eine der größten Musikschulen in Deutschland. Hier habe ich gründlich erfahren, was es bedeutet, für einen solchen Riesenapparat mit damals 8000 Schülern, etwa 180 Lehrenden, mehreren Abteilungen und allem, was logistisch dazugehört, verantwortlich zu sein. Wir bespielten die ganze Palette der damaligen Musikschularbeit von flächendeckender Grundausbildung bis zur „vorberuflichen Fachausbildung“, entwickelten den Modellversuch „Instrumentalspiel mit Behinderten und von Behinderung Bedrohten“ und pflegten zahlreiche Ensembles, manche mit durchaus ambitionierten künstlerischen Ansprüchen. Wir waren im Bochum der 1980er Jahre Teil einer sehr lebendigen städtischen Kulturszene; Claus Peymann war Intendant des Schauspielhauses. Mein eigentlich auf das typische Repertoire konzent­riertes Kammerorchester wurde von Peymann zur Mitwirkung bei einem hochpolitischen Musical über Claire Waldorff in der Nazizeit eingeladen und mit vogelwilder Zigeunermusik vertraten wir Bochum beim Wettbewerb der Kulturstädte.

In diesen Bochumer Jahren waren Sie zugleich Vorstandsmitglied und schließlich auch Vorsitzender des Verbands deutscher ­Musikschulen. Wie schauen Sie heute auf ­diese Jahre der Musikschulentwicklung zurück?
Es waren Jahre des Aufbruchs. Die Musikschulen hatten immer große Gestaltungsspielräume (was sie gegenüber der Schulmusik privilegiert) und haben sie genutzt. Aber es war und ist immer auch ein Kampf: ständig abwechselnde Phasen des Aufwuchses und der Sparzwänge; immer wieder die Notwendigkeit darzulegen, warum Musikschularbeit überhaupt ein gesellschaftlicher Auftrag ist und öffentlich gefördert werden soll.

Dass die Förderung (nicht nur) von Musikschularbeit auch ganz anders aussehen kann, haben Sie dann in Österreich erlebt.
In der Tat! 1995 übersiedelte ich nach Österreich, um elf Jahre lang die Linzer Bruckneruniversität und danach für acht Jahre die Universität Mozarteum in Salzburg zu leiten. Im Bundesland Oberösterreich sind das Landesmusikschulwerk und die Bruckner Universität eng miteinander verknüpft und das Land steht mit Entschlossenheit und Stolz hinter beiden Einrichtungen. Das gleiche gilt auch für das Verhältnis der Republik Österreich zur Universität Mozarteum, einer Institution, der im ganzen Land großer Respekt, sogar Zuneigung entgegengebracht wird – samt den Menschen, die darin arbeiten.
Die Umwandlung des traditionsreichen Bruck­ner Konservatoriums Linz in die Anton Bruckner Privatuniversität und die damit verbundene Neuausrichtung waren herausfordernde und schließlich sehr befriedigende Auf­gaben; das Rektoratsamt an der Universität Mozarteum war natürlich krönender Abschluss und Finale furioso meiner beruflichen Laufbahn. Dort habe ich noch einmal in maximaler Ausprägung erfahren, wie wichtig und inspirierend ein von allen Kräften des Hauses getragenes künstlerisches Leben einschließlich der Begegnungen mit Wissenschaft und Pädagogik für alle Studierenden ist. Die miterarbeiteten oder auch nur miterlebten Projekte laden die Absolventen quasi auf – mit Ideen, Anregungen und Erfahrungen für eigene Initiativen im zukünftigen Arbeitsfeld.

Ergänzend zu Ihren Hauptberufen waren Sie mit zumeist ehrenamtlichen, musikpädagogisch oder musikpolitisch wichtigen Nebentätigkeiten beschäftigt.
Vom VdM war schon die Rede; die Aufgabe als Vorsitzender von „Jugend musiziert“ hat zweieinhalb Jahrzehnte eine große Rolle gespielt und seit 1983 die Mitherausgeberschaft unserer Zeitschrift üben & musizieren, eine Tätigkeit, die ich nun nach 36 Jahren zufrieden beende.

Da drängt sich geradezu die Frage auf, womit Sie sich in Ihrer Freizeit gern beschäf­tigen. In welchem Verhältnis standen bzw. stehen Freizeit und Beruf?
In jungen Jahren war ich eine Leseratte. Aber Lesen als erfüllende Freizeitbeschäftigung, das muss ich jetzt erst wieder lernen. Skifahren, auf dem Wasser sein, (Berg-)Wandern würde ich, wie so viele, in den berühmten Fragebogen schreiben. Die Wahrheit ist aber, dass ich sogar im Ferienhaus immer magisch vom Schreibtisch angezogen werde und damit die Familie oft frustriert habe. Die Work-Life-Balance ist ziemlich katastrophal. Was allerdings – zumindest für einen selbst – nicht so schlimm ist, wenn man seine Arbeit liebt.
Ein großes Freizeitvergnügen, in das sehr viel Herzblut geflossen ist, war das Chanson-Duo „Schonzeit“ gemeinsam mit meinem Freund Harald Schoneweg: Schoneweg + Gutzeit = Schonzeit. Harald ist eigentlich ein „Klassiker“ wie ich, war lange Jahre Mitglied des Cherubini-Quartetts und ist heute Professor für Kammermusik in Köln. Wir lernten uns vor beinahe 50 Jahren im Landesjugendorchester kennen, haben irgendwann unsere gemeinsame Zuneigung zu diesem ganz anderen Genre entdeckt und uns – wenn auch mit manchmal jahrelangen Pausen – immer wieder zum Arrangieren, Komponieren und Spielen getroffen. Wir spielen beide Geige, Bratsche und Gitarre, singen beide und mischen das alles immer wieder anders.
Ach ja: Gute Gespräche mit guten Freunden schätze ich sehr. Zählt das auch als Freizeitgestaltung?

Mit welchen Argumenten würden Sie heute musikversierten Schülern raten oder auch abraten, ein Musikstudium aufzunehmen?
Eine allgemeine Antwort könnte ich nicht geben. Wer stellt die Frage? In der Regel sind es nicht die „Überflieger“, die sich schon seit ihrer frühen Kindheit auf die Musik konzent­rieren, vielfache Erfolge gefeiert und oft gar keine Alternativen vor Augen haben. Denen, die vielleicht zweifelnd abwägen, würde ich versuchen, Prüfkriterien an die Hand zu geben: Bin ich künstlerisch weit genug? Bei der Beantwortung dieser Frage kann unter anderem „Jugend musiziert“ als ein gutes System zur Selbsteinschätzung dienen. Oder: Würde mich auch eine Tutti-Rolle zufrieden stellen, also eine, bei der ich für die künstlerische Gestaltung nur mitverantwortlich sein werde? Aber auch: Kann ich mit einem voraussichtlich durchschnittlichen bis bescheidenen Einkommen leben? Am Ende läuft es wohl auf eine schlichte, aber leider alles andere als einfache Frage hinaus: Muss ich? Möchte ich unbedingt (im Wortsinn gemeint!) Musik und Musizieren in den Mittelpunkt meines Lebens stellen? Wer so „gepolt“ ist, die Musik liebt, gerne übt und darin aufgeht, gemeinsam mit anderen künstlerische Projekte zu verwirklichen, der hat eine gute Chance, im künstlerischen Beruf glücklich zu werden; wer vor allem vom Gedanken an den persönlichen Erfolg angetrieben wird, eher nicht.
Mit Blick auf ein künstlerisch-pädagogisches Studium sind es eigentlich die gleichen Prüffragen, aber es kommt noch eine weitere als conditio sine qua non hinzu: Wie groß ist meine Freude am Umgang mit Kindern und jungen Menschen?

Gibt es Publikationen, die Sie Studierenden und Kollegen ans Herz legen möchten?
Gerade, weil die Förderung junger Künstler und Künstlerinnen uns allen so viel bedeutet, möchte ich auf ein Buch verweisen, das geeignet ist, die Idealisierung der „großen Karriere“ zu relativieren: die Autobiografie der japanischen Geigerin Midori. Ganz untypisch für ein Künstlerporträt beschreibt sie neben den Erfolgen aufrichtig und ungeschönt auch die Härte ihres Weges seit der Kindheit, mit allen Krisen und Nöten. Das Buch heißt schlicht: Einfach Midori. Keine musikpädagogische Fachliteratur im engeren Sinn, aber viel Stoff zum Nachdenken!

Was sind Qualitätsmerkmale eines geglückten instrumentalen Einzelunterrichts mit Kindern und Jugendlichen?
Ich denke, dass es sehr darauf ankommt, von Anfang an auf „Musizierfähigkeit“ abzuzielen. Das schließt aus, sich sehr lange ausschließlich darauf zu konzentrieren, technische Voraussetzungen herzustellen. Technische und musikalische Entwicklung sind immer Hand in Hand zu denken und werden sich gerade dann mit großer Sicherheit gegenseitig befruchten. Und es schließt genauso aus, das Zusammenspiel mit anderen allzu lange vor sich her zu schieben. Wer das Instrumentalspiel als eine Praxis kennenlernt und über lange Zeit betreibt, die sich allein mit dem Instrument in häuslicher Einsamkeit abspielt, tut sich später oft schwer, in den Modus des lebendigen, partnerschaftlichen Musizierens zu wechseln. Dieses Problem wirkt bis in die Hochschule hinein, wo wir in mancher „Solistenschmiede“ Instrumentalisten begegnen, die in der Kammermusik und im Orchester nicht gut zurechtkommen.
Ein weiterer Aspekt ist wichtig: Ich finde nicht, dass Instrumentalunterricht schon dann geglückt ist, wenn mein Schüler viele meiner Ideale, Vorstellungen und Ratschläge angenommen hat. Es muss immer auch zu den Zielen gehören, ihn bei der Entwicklung zu einer autonomen Persönlichkeit zu unterstützen.

Mögen Sie dies mit einem Beispiel illustrieren?
Viele Lehrende haben sich im Laufe ihres Berufslebens ein Repertoire von Stücken erarbeitet, die besonders geeignet sind, um bestimmte Themen zu behandeln, und arbeiten diese Liste in festgelegter Reihenfolge mit ihren Schülern systematisch ab. Aber ein Schüler, der nicht seinerseits irgendwann mit dem heißen Wunsch kommt und darum kämpft, ein bestimmtes Stück spielen zu dürfen, das ihn begeistert hat, wäre mir suspekt. Neugierde, Forschergeist und eigener Wille sind doch auch ganz entscheidende Faktoren im Spiel!
Guter Instrumentalunterricht ist vielfach eine Gratwanderung. Es gibt so viele „Schulen“, für ein jeweiliges Instrument entwickelte, über Generationen bewährte Systeme, in denen Details der Instrumentenbeherrschung bis in feinste Einzelheiten definiert sind. Aber: Die Schüler allzu eng nach einem solchen Muster zu schnitzen, ist gefährlich im Hinblick auf das eigene, individuelle Gesicht, auf den eigenen, höchstpersönlichen Ton.
Und schließlich: Guter Unterricht erwartet etwas vom Schüler. Nichts zu erwarten, kann ja nur als Zeichen mangelnden Interesses oder mangelnden Zutrauens verstanden werden – beides verheerende Signale. Ganz wichtig ist allerdings, worauf die Leistungserwartung sich gegründet: Sie ist nicht der Lehrkraft, ihrem Niveau und ihren „Ansprüchen“ geschuldet, sondern den Schülern selbst und ihrem Talent.

Das sind Aspekte, die für den Instrumentalunterricht an der Musikschule ebenso gültig sind wie im Hochschulbereich. Worauf ist bei der Besetzung von künstlerischen Professuren an Musikhochschulen besonders zu achten?
Unsere Berufungsverfahren sind eigentlich perfekt konzeptioniert: ein Präsentationskonzert, um die künstlerischen Qualitäten und die künstlerische Persönlichkeit kennen zu lernen; ein oder zwei Unterrichtsdemonstrationen, um die pädagogischen Fähigkeiten einzuschätzen.
Das gelingt in aller Regel gut. Aber es darf eben noch nicht alles sein. Von größter Bedeutung ist auch die gesamte Persönlichkeit, der Mensch, der uns da gegenübertritt. Und ich habe den Eindruck, dass die Möglichkeiten, diese Dimension auszuloten, in der dritten Phase des Verfahrens, dem Kolloquium mit der Kommission, nicht immer genutzt werden.

Worum sollte es in einem solchen Kolloqium genau gehen?
Um recht unterschiedliche Fragen. Ist da ein echtes Interesse an den Studierenden spürbar und ist die Bereitschaft vorhanden, eine neue Aufgabe in den Mittelpunkt des Lebens zu stellen? Wird die Kandidatin ihre Studierenden im positiven Sinne fordern? Kann sie „hinter die Kulissen schauen“, hat sie Gespür für andere Menschen? Das braucht es ja – ­etwa, um zu erkennen, warum bestimmte Entwicklungen blockiert scheinen, und erst recht, um Studierenden in einer Krise behilflich sein zu können.
Ist jemand selbst noch auf der Suche oder prall gefüllt mit unanfechtbaren Gewissheiten? Wird sich jemand als guter Kollege zur Verfügung stellen – seinen Studierenden, aber auch dem Haus für künstlerische Projekte, für Teamteaching, Gremienarbeit und die Wahrnehmung akademischer Aufgaben?

Welche Unterschiede existieren zwischen dem deutschen und österreichischen Musikausbildungssystem?
Der größte Unterschied liegt in den Rahmenbedingungen. Das habe ich eben ja bereits angedeutet. Einfach gesagt: Die österreichischen Musikuniversitäten sind ausfinanziert, in Deutschland aber ist wohl ein großer Teil chronisch unterfinanziert. Das führt beispielsweise dazu, dass Lehrende vieler Nebenfächer (was heißt schon Nebenfächer?) oder für den sehr ernst genommenen Bereich der Korrepetition in Österreich ganz überwiegend hauptamtlich angestellt sind und als Lehrkräfte, nicht als „Servicepersonal“ behandelt werden. Zudem führt es zu einer viel größeren Zahl an wissenschaftlichen Stellen, die auch Forschungsaufgaben wahrnehmen können.
Dieser bedeutende Unterschied hängt weniger damit zusammen, dass die Musikhochschulen in Österreich von der Republik getragen und als Universitäten geführt werden, die deutschen Hochschulen hingegen in der Trägerschaft der Bundesländer sind. Er beruht vor allem darauf, dass die Kultur und die Musik in Österreich generell eine höhere Wertschätzung genießen und als wesent­liche gesellschaftliche Aufgabe verstanden werden.
Vor dem gleichen Hintergrund ist auch die deutlich bessere Ausstattung der Musikschulen zu sehen. In der inhaltlichen Ausgestaltung sind sich die Ausbildungssysteme auf Musikschulebene und auf Hochschulebene nach meinem Eindruck sehr ähnlich.

Wenn Sie frei von äußeren Vorgaben und Zwängen denken, wie sieht die optimale Musikhochschule für Sie aus?
Oh, da gäbe es so vieles zu bedenken und zu erträumen. Mein Ideal lässt sich in dem Bild zusammenfassen, das vorher schon anklang: die Musikhochschule als Begegnungsstätte von Künstlern und Ideen. Und mit Künstlern meine ich in diesem Fall nicht nur die „Ausübenden“, sondern auch die Musikwissenschaftler und Musikpädagoginnen, die sich ja der Kunst keineswegs in geringerem Maß verschrieben haben und selbstverständlich den gleichen Respekt verdienen!
Denn ohne die Arbeit der Musikwissenschaften wären viele Komponisten und viele musikalische Werke unentdeckt, wüssten wir viel weniger über deren innere Gesetze und über die Art und Weise, wie sie in der Zeit ihrer Entstehung aufgeführt wurden, hätten wir für ganze Epochen vielleicht noch immer das scheußlich „übermalte“ Notenmaterial, aus dem sich die eigentliche Absicht der Komposition nur schwer entschlüsseln lässt.
Und ohne die Arbeit der Musikpädagoginnen und -pädagogen hätten die künstlerischen Hauptfachlehrenden an den Hochschulen keine Studierenden und die Musiker auf der Bühne kein kundig-interessiertes Publikum. Lauter Gründe für Dankbarkeit, gegenseitigen Respekt und das Bemühen um optimale Zusammenarbeit!

Aber sind es nicht doch die ausübenden Künstler, die für uns alle die Musik lebendig machen?
Ja, sicher. Sie sorgen dafür, dass wir die Musik „haben“, dass aus den Partituren Musik wird. Und die deshalb zurecht im Fokus des Musiklebens stehen und an den Hochschulen mit besonderer Aufmerksamkeit bedacht werden. Allerdings beschränken sich die künstlerisch Lehrenden an der „idealen“ Musikhochschule nicht auf die Arbeit mit den Studierenden ihrer jeweiligen Klasse, sondern gestalten gemeinsam das künstlerisch-pädagogische Leben am gesamten Haus. Sie sorgen für offene Türen zwischen den Klassenzimmern, lassen den Austausch zu und können sich vielleicht sogar Formen des Teamteachings vorstellen. Sie unterstützen eine „forschende Haltung“ ihrer Studierenden – das meint die Beschäftigung auch mit Randgebieten des Repertoires, ein Interesse für Neue Musik, vielleicht auch die Entwicklung neuer Konzertformate oder auch Zusammenarbeit mit Künstlerinnen und Künstlern aus anderen Sparten.

Was könnte der besondere Beitrag der Musikpädagogik im Kontext Musikhochschule sein?
Für die Musikpädagogik wünsche ich mir zunächst einen höheren Forschungsanteil. Und dies in einem Sinn, der sich deutlich von der gegenwärtigen Forschungspraxis absetzt: entwickelnde Forschung, Erarbeitung von pädagogischen Modellen. Betrachtet man die Innovationen, die die Musikschullehre in den letzten Jahrzehnten prägend verändert haben (wie Musikalische Früherziehung, Gruppen- und Klassenunterricht, Instrumentalspiel mit Behinderten, inklusiver Unterricht, Erwachsenenarbeit etc.), so stellt man fest, dass sie allesamt von den Musikschulen und ihrem Verband entwickelt und verbreitet wurden. Die Hochschulen waren daran so gut wie überhaupt nicht beteiligt und haben diese Unterrichtsmodelle allenfalls im Nachhinein in ihre Lehre integriert.
Eine neu verstandene Forschungsarbeit setzt freilich voraus, dass Forschungsstellen eingerichtet werden, die den Stelleninhabern neben einer geringen Lehrverpflichtung ausreichend Zeit für Forschungsaufgaben lassen – eine unabdingbare Voraussetzung für wissenschaftlichen Fortschritt.

In welche Richtung muss sich das öffentliche Musikschulwesen in Deutschland entwickeln, um attraktiv zu bleiben?
Ich finde, dass es inhaltlich recht gut aufgestellt ist. Die Balance zwischen der Pflege unseres kulturellen Erbes (Feuer bewahren!) und der Erschließung neuer Möglichkeiten, neuer Formen und neuer Bedeutungen von „Musik machen“ muss immer wieder neu austariert werden; unter sehr verschiedenen Rahmenbedingungen – etwa in Stadt und Land.
Oft denke ich, dass den Musikschulen (wie dem ganzen Musikleben) in naher Zukunft ungeahnte neue Aufgaben zufallen könnten. Dann nämlich, wenn Roboter und künstliche Intelligenz immer mehr die bisher von Menschen erledigten Arbeiten übernehmen und es vielleicht überlebenswichtig wird, dass wir uns sinnstiftende Tätigkeiten suchen, um nicht im Meer des Medienkonsums zu ertrinken. Natur und Kultur bieten sich da besonders an. Und gerade dann, bei ständig fortschreitender Digitalisierung des Lebens, dürfen und werden die Menschen ihr Grundbedürfnis nach analogem Handeln nicht verlieren. Wo ließe es sich besser erfüllen als in der Musikschule?

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