© Gesa Riedel

Riedel, Gesa

Gemeinsam musizieren über Distanz

Die Open-Source-Software „Jamulus“ ermöglicht Echtzeitproben im virtuellen Raum

Rubrik: Digital
erschienen in: üben & musizieren 6/2021 , Seite 42

Simultanes Proben über das Internet funktioniert – nicht erst seit der Corona-Pandemie. Volker Fischer entwickelte bereits 2006 das Programm „Jamulus“.1 Es handelt sich um eine Open-Source-Software, die durch eine Serverinstanz und Equipment unterstützt  werden muss. „Jamulus“ komprimiert die Audiosignale auf unter 1 MBit/s. Das macht das Programm auch in Regionen mit schlechter Internetqualität nutzbar.2 Dieser Artikel soll  Lehrkräfte bei den ersten Schritten zu Echtzeitproben im Internet begleiten.

Für mein Kinder- und Jugendensemble Coole ElbStreicher aus Hamburg suchte ich nach einer geeigneten Lösung, um gemeinsam digital zu proben. Viele Monate hatten wir in Zeiten des Social Distancing mit der Videokonferenzsoftware Zoom gearbeitet. Durch Probleme mit einer hohen Latenz waren die Kinder und Jugendlichen schließlich müde, nicht zeitgleich musizieren zu können. Eine bessere Probenalternative musste her, die ich dann im zweiten Lockdown realisiert habe. Die Lösung hieß für mich Jamulus und die Suche danach brachte mich mit Hannes Dietrich und Konrad Hermann vom Ensemble Swing Liner aus Hannover und mit dem Musiklehrer für Bläserklassen Michael Immer aus Hildesheim zusammen. Sie hatten im Sommer 2020 alternative Probenmöglichkeiten mit Jamulus geprüft. Im Sinne einer Online Community wollen wir unsere Erfahrungen praxisnah weitergeben: „Das liegt in der DNA eines Open-Source-Programms“, so Dietrich.

Voraussetzungen

Jamulus als Open-Source-Programm darf verändert und von jedermann kostenfrei verwendet bzw. heruntergeladen werden.3 Jamulus läuft auf den Systemen Windows 10, macOS und Linux. Zur Nutzung sind folgende Ergänzungen nötig:
1. Eine Serverinstanz, da die Signale in Echtzeit an einen gemeinsamen Server übertragen werden. Die Coolen ElbStreicher verwenden dafür z. B. www.vultr.com.
2. Ein Interface als externe Soundkarte für jeden Teilnehmer und jede Teilnehmerin.
3. Ein Mikrofon sowie ein Kopfhörer für jeden Teilnehmer und jede Teilnehmerin, die mit dem Interface verbunden werden.
4. Eine LAN-Verbindung zum Internet, da WLAN zu langsam oder instabil ist. Alternativ könnte auch eine 5G-Technologie genutzt werden.
Das hört sich zunächst einfach an, trotzdem möchte ich einzelne Punkte näher erläutern. Der Informatikstudent Konrad Hermann hat den Server für die Coolen ElbStreicher eingerichtet: „Das Einrichten gestaltet sich eigentlich unproblematisch, allerdings ist der Prozess nicht intuitiv und insofern für eine Person, die sich nicht explizit mit Informatik beschäftigt, kompliziert.“ Das Anschließen eines Interfaces funktioniert innerhalb der Betriebssysteme unterschiedlich. Das Interface muss einerseits vom Computer und der Software Jamulus erkannt werden, was bei macOS automatisch erfolgt. Bei Windows 10 ist für diese Erkennung die Installation eines entsprechenden Treibers notwendig. Hierfür kann beispielsweise ein ASIO4ALL-Treiber4 installiert werden, der für den Down­load von Jamulus auf Windows 10 ebenfalls nötig ist. Oder man verwendet einen Treiber, der direkt vom Interface-Hersteller zur Verfügung gestellt wird.
Unsere Erfahrung zeigt: Das Interface darf einfach und muss nicht teuer sein, da dies keine Auswirkung auf Klang oder Latenz hat. Mikrofone können den Klang und die Latenz hingegen sehr verbessern. Die Tonabnahme von Streichern durch Kondensatormikrofone, die uns die Firma Sennheiser für das Proben mit Jamulus empfohlen hat, gefällt mir persönlich sehr gut. Diet­rich, Hermann und Immer, alles Bläser, sind auch mit günstigeren Tonabnehmern z. B. von Behringer sehr zufrieden. Wichtig ist, dass das Mikrofon mit Ständer oder Clip nah zum Schallloch der Instrumente ausgerichtet wird. Auch dadurch kann sich Verzögerung minimieren. Elektrische Klaviere oder Schlagzeuge können direkt per Kabel verbunden werden. Ein akustisches Schlagzeug müsste für eine gute Abnahme nach der Erfahrung von Michael Immer mindestens zwei Mikrofone bekommen.

Probleme vermeiden

– Beim Arbeiten mit Jamulus liegt die optimale Pingrate zwischen 10 und 20 ms. Sie sollte von jedem Mitspieler und jeder Mitspielerin über einen Speedtest zu unterschiedlichen Tageszeiten ermittelt werden. Unter Ping versteht man den Zeitraum, den Daten vom eigenen Rechner zum Server und zurück benötigen (Latenz).5
– Wenn der LAN-Anschluss genutzt wird, ist das WLAN auszuschalten!
– Das Mikrofon vom Computer ist auszuschalten, sobald das externe Mikrofon, welches an das Interface angeschlossen ist, genutzt wird.
– Es hat sich als nützlich erwiesen, die Audiokanäle „mono in“ und „stereo out“ zu nutzen. Diese Einstellung ist für die Ohren und das Proben angenehm.
– Ein Neustart des Routers sollte regelmäßig durchgeführt werden. Wenn in der Probe technische Schwierigkeiten auftreten, lohnt sich der Neustart eventuell auch während der Probe.
– Alle Mitspielenden sollten genügend Zeit bekommen, die Lautstärkeeinstellungen der Instrumente in Ruhe auspegeln zu können. Die Bedien-Oberfläche von Jamulus stellt ein kleines Mischpult dar. Dort können auch Stimmgruppen angelegt werden – mit dem Vorteil, dass die gesamte Stimmgruppe über einen Schieberegler ausgesteuert werden kann. Auch SolistInnen kann man auf dem Mischpult definieren. Ein zusätzliches Auspegeln der eigenen Tonspur kann am Interface durchgeführt werden.
– Bei der Nutzung von Mikrofonen, die eine 48-Volt-Phantomspeisung benötigen, muss der entsprechende Schalter des Interfaces für die Stromversorgung des Mikrofons eingeschaltet werden. Dies sollte erst geschehen, nachdem das Mikrofon angeschlossen ist. Der Schalter sollte ausgeschaltet sein, wenn das Mikrofon abgezogen wird. Es könnte sonst beschädigt werden.
– Die Phantomspeisung funktioniert nur mit einem dreiadrigen XLR-Kabel. Bei Phantomspeisung kann in der Regel kein Klinkenanschluss verwendet werden, da dieser nur zweiadrig ist!

Verhalten während der Probe

– Vorab wurde vereinbart, dass bei Störgeräuschen eines Teilnehmers oder einer Teilnehmerin (z. B. Lüftergeräusche des Rechners) sich der oder die eigenständig stummschaltet, um die Probensituation nicht zu stören.
– Das Hineinsprechen in die Probe ist untersagt. Kommentare und Anregungen der SchülerInnen können in den Chat geschrieben und von der Leitungsperson aufgenommen werden. Diese kann die MitspielerInnen direkt ansprechen und um Kommentare bitten.
– Als hilfreich hat sich die Verwendung eines „Klicks“ für das Spieltempo herausgestellt. Die einfachste Variante ist, ein Met­ronom direkt an das Mikrofon zu halten, um den Klick für alle hörbar zu machen. Auch ein Schlagzeug-Loop über YouTube ist denkbar. Konrad Herrmann hat über einen zweiten Eingang einen Mac Mini angeschlossen, auf dem die Software Drumbeats plus läuft.
– Für den Beginn ist ein Einzählen auf dem Beat nötig. Die Coolen ElbStreicher zählen ein bis zwei Takte vor.
– Durch hochwertige Mikrofone ist auch das Proben an Klangfarben, Artikulation und Dynamik möglich. Hier sind klare und einfache Absprachen vorweg förderlich. Insgesamt sollten die musikalischen Anweisungen nicht zu ausschweifend und gut verständlich sein.

Fazit

Jamulus wird auch in Zukunft meine Arbeit mit den Coolen ElbStreichern begleiten. Die Kinder und Jugendlichen waren insgesamt glücklich, auf diese Weise wieder gemeinsam Musik machen zu können. Der Weg dorthin war spannend und faszinierend. Trotzdem hat uns diese Art des Probens vor viele neue Herausforderungen gestellt. Wie geschildert, sind im virtuellen Raum neue Aspekte der Probengestaltung und -didaktik zu bedenken. Aus meiner Sicht kann es eine Chance sein, sich beim digitalen Proben ausschließlich auf das Hören zu konzentrieren. Dies erfordert gute Aufmerksamkeit der MitspielerInnen, was sehr anstrengend ist. Deshalb sollten die Einheiten nicht zu lang sein.
Derzeit verzichten die Coolen ElbStreicher auf ein zusätzliches Videotool. Die Datenmenge soll ausschließlich der Audioqualität zugute kommen. Für die Zukunft wäre eine zusätzliche Videokonferenzsoftware denkbar.

1 vgl. Holger Kurtz: „Synchronizität in Zeiten des Streamings. Wie ein Quartett die Entfernung München – England überbrückt“, in: neue musikzeitung 2/2018.
2 vgl. Peter Mall: „Jamming online live – JackTrip und Jamulus. Jamulus – Erste Erfahrungen“, 26.2.2021, www.petermall.de/jacktrip/jamulus-erste-erfahrungen (Stand: 29.9.2021).
3 https://jamulus.io/de (Stand: 29.9.2021).
4 www.asio4all.org (Stand: 29.9.2021).
5 www.rtr.at/TKP/service/rtr-nettest/help/test_ result/netztestfaq_testergebnis_0300.de.html (Stand: 29.9.2021).

Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 6/2021.