Edler, Arnfried
Geschichte der Klavier- und Orgelmusik
3 Bände
Das Opus magnum eines der besten Kenner der Geschichte der Tasteninstrumente! Arnfried Edler hat sein 1997 erschienenes Standardwerk Gattungen der Musik für Tasteninstrumente erweitert und bietet eine wirklich umfassende Schau des solistischen Spiels in der Entwicklung der abendländischen Musik. Nicht berücksichtigt werden Ensemblebesetzungen von der Klavierkammermusik bis zum Klavierkonzert oder sinfonischen Repertoire.
Die Einteilung der drei Bände verrät die Gewichtung: Band 1 (613 Seiten) erstreckt sich von den Anfängen bis 1750, Band 2 von 1750 bis 1830 (435 Seiten), Band 3 von 1830 bis zur Gegenwart (490 Seiten) mit einem stattlichen Anhang (87 Seiten) voll Quellen, Sekundärliteratur und Registern. 150 Abbildungen und 450 Notenbeispiele lockern nicht nur das grafische Bild auf, sondern werden auch mit kurzen Texten kommentiert.
Der Begriff der Gattung wird knapp diskutiert, Edler bezieht sich letztlich auf ein durch den russischen Formalismus der Siebziger Jahre geprägtes dynamisches Verständnis. Viel wertvoller sind die meist im konkreten Kontext auf ihre begriffliche Problematik hin untersuchten Gattungen und Bezugssysteme, besonders im dritten Band: Das 19. und 20. Jahrhundert stellt Edler unter das einleitenden Gesamtmotto des Zerfalls der Gattungsstruktur im kulturellen Zusammenhang, z. B.: „Sonaten oder Phantasien – was liegt am Namen?“ Das weit gefasste Verständnis des Autors subsumiert auch sonst nur am Rande berücksichtigte Gattungen wie die Intavolierung des 14. und 15. Jahrhunderts. Den Bereich der Improvisation erfasst Edler hauptsächlich aufgrund notierter Fantasien (sehr informativ ist das Kapitel über Carl Philipp Emanuel Bach und sein Umfeld), weniger über schriftliche Anleitungen zur Improvisation. Themen der Instrumentenkunde werden kurz, aber aufschlussreich einbezogen, z. B. die Frage der Besetzung mit Cembalo, Clavichord oder Hammerklavier in einer stilistisch sich wandelnden Phase Mitte des 18. Jahrhunderts.
Zwar geht Edler von Gattungen aus, erfasst aber auch detailliert und fundiert den jeweiligen funktionellen Zusammenhang und ordnet dabei Klavierliteratur in ihren sozial- und geistesgeschichtlichen Zusammenhang ein. Sprachlich elegant und klar formuliert orientiert er sich außerdem nicht nur am pianistischen Mainstream, sondern bereitet dem Leser geradezu eine Fundgrube für die reiche kompositorische Umgebung, in der anerkannte Meisterwerke des heute üblichen Kanons geschaffen wurden. Man findet thematisch viele scheinbare Exkurse und gleichzeitig anregende Diskurse zu ausgefallenen Themen wie z. B. „Glockenstücke“ des Frühbarock, „Das musikalische Reisebild“ der Romantik, „Klaviertänze zwischen sakraler Welt und Folklore“ im 20. Jahrhundert. Ein Nachschlagewerk, mehr noch: ein spannend-vergnügliches Lesebuch.
Wolfgang Brunner