Revel, Sandrine

Glenn Gould

Leben Off-Beat

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Knesebeck, München 2016
erschienen in: üben & musizieren 4/2016 , Seite 52

Vor einem roten Theatervorhang fällt ein Mann im Frack von oben herunter, sein Körper zerbricht auf der Bühne in mehrere Teile. Direkt daneben steht sein geliebter Steinway-Flügel samt berühmtem Holzstuhl. Eine surreale Bilderfolge, die mehr sagt als tau­send Worte. Es geht um Glenn Gould (1932-1982): Dessen Flügel fiel 1957 beim Transport vom Lastwagen und stürzte den Besitzer in eine tiefe Krise.
Mit solchen Szenen erzählt und malt die Französin Sandrine Revel das Leben des berühmten kanadischen Pianisten. Ihr Comic reiht sich ein in eine Serie des Knesebeck-Verlags, der Künstler, große Persönlichkeiten oder auch Romane in „Graphic Novels“ kleidet. In diesem Band, von Anja Kootz aus dem Französischen übersetzt, stammen Text und Bild aus einer Hand, und Autorin Revel hat als einstige Pianistin einen innigen Zugang zu Gould.
Ihre Erzählung springt zwischen den Zeiten. Der späte Krankenhausaufenthalt nach einem Schlag­anfall, das erste Konzert des Knaben in Toronto, der Schallplattenvertrag des 23-Jährigen beim Label Columbia für Bachs „Goldberg-Variationen“ werden geschildert und anschaulich bebildert. Goulds Psychosen, seine Passion für die Musik und seine Eigenheiten finden Eingang in dieses Buch. Immer wieder werden auch seine Hände an den schwarzen und weißen Tasten porträtiert.
Es macht Freude, mit diesem Comic das Leben dieses ebenso genialen wie einsamen Musikers nachzuerleben. Dabei taucht man ganz ein in die geschlossene Welt des Ausnahmetalents Gould, der nur als junger Mann Konzerte gab und danach in die abgeschlossene Welt des Aufnahmestudios flüchtete. „Im Studio kann ich Gott sei Dank höchst konzentriert und mit großer Freude arbeiten, ich kann so oft neu anfangen wie nötig und vor allem dem Essenziellen nachgehen, nämlich der Version eines Werkes, die mir die Geheimnisse seiner Komposition erschließt“, wird der Pianist ­zitiert. Gerade seine insgesamt vier Versionen der „Goldberg-­Variationen“ sind ein Beweis, mit welcher Hingabe und Akribie sich Gould zeitlebens ein und demselben Werk widmete, seine Interpretation dabei immer neu überdachte, bestimmte Details aber auch beibehielt.
Außer von den legendären Bach-Aufnahmen wurde die Autorin bei ihrer Arbeit von folgenden Gould-Platten inspiriert: Schönbergs zweitem Klavierstück aus op. 11, Brahms’ Intermezzi, Brahms’ erstem Klavierkonzert unter Leonard Bernstein und dem „Silver Jubilee Album“. Wer mag, kann diese CDs bei der Lektüre im Hintergrund mitlaufen lassen. Eine Auswahl-Diskografie, knapp und prägnant kommentiert vom Musikwissenschaftler Michael Stegemann im Auftrag vom Label Sony, ergänzt diese schöne „Graphic Novel“ für Jugend­liche und Erwachsene.
Am Anfang und Ende malt Revel die von Gould geliebten „vergangenen Himmel“ in herbstlicher und winterlicher Stimmung. Zuletzt wird der weiße Schal des Pianisten selbst zum Wolkenband. Ein Weg zurück ins Universum, aus dem er kam.
Matthias Corvin