Christ, Pat

Griegs Trollen auf der Spur

Ein Kongress des Verbands Bayerischer Sing- und Musikschulen widmete sich in Würzburg dem Spielen als musikpädagogischer Herausforderung

Rubrik: Bericht
erschienen in: üben & musizieren 3/2012 , Seite 34

Cosima zieht die Stirn kraus. Öffnet den Mund zu einem Fauchen. Blickt finster drein. Spreizt die Finger gefährlich. Einen Troll, wie er in Edvard Griegs Komposition „In der Halle des Bergkönigs“ sein Unwesen treibt, stellt das neunjährige Mädchen dar. Zuvor hatte Cosima mit 15 anderen Kindern Griegs Musik gelauscht. Mit geschlossenen Augen. Voll Konzentration. Und dabei die norwegischen Wälder gesehen. Die Naturwesen, die darin wohnen. Die Elfen. Die Trolle. Und deren König. Die Trennlinien zwischen Musik, Tanz und Theater verflossen in der Modellstunde, die Eva Rautenberg von der Musikschule Ebersberg beim Kongress „Spielraum Instrument und Stimme“ Ende März in Würzburg anbot. Kinder einer zweiten und dritten Grundschulklasse nahmen an ihrem Projekt „Ausdruck erfinden“ teil. Auf expressiv-spielerische Weise näherten sie sich, beobachtet von 14 erwachsenen KongressteilnehmerInnen, Edvard Griegs Orchesterstück an. Peer Gynt, diesen Taugenichts, lernten sie dabei kennen. Was ein Taugenichts eigentlich ist? „Einer, der macht, was er will. Und keine Lust zum Arbeiten hat“, wusste Cosima.
Es gibt unzählige Möglichkeiten, Kindern und Jugendlichen Musik auf spielerische Weise zu vermitteln. Ganz so einfach ist das mit dem im Unterricht eingesetzten Spiel letztlich allerdings nicht. Das Spiel lebt von Freiheit. Wenn es nun aber einem Zweck unterworfen wird, nämlich dem der unterricht­lichen Vermittlung, der Bewertung und des Lernens – ist es dann noch Spiel? Streng genommen nicht, räumt Corina Nastoll von der Würzburger Musikhochschule ein. Und doch vermag das Spiel den Unterricht zu bereichern – allerdings nur, wenn es gut vorbereitet ist: „Es muss genügend Zeit sein, es muss einen geeigneten Raum sowie geeignete Spielmaterialien und sinnvolle Spielregeln geben.“
Noten wie Vokabeln zu lernen, macht wenig Spaß. Und hat nicht das Geringste mit Spiel zu tun. Voller Eifer hingegen waren fünf Kinder in der Modellstunde von Eva Erben, Klavierlehrerin an der Musikschule Kitzingen, dabei, das, was ein imaginärer Maler an abst­rakter Kunst auf Kärtchen festgehalten hat, in Melodien umzusetzen. Da gab es ein Kärtchen voller kleiner Punkte. Eines mit zwei Linien, die sich kreuzten. Und eines mit Linien und Punkten. Kein Problem, dies nachzusingen! Dann ging es ans Klavier. Amelie schlug einzelne Tasten an. Das waren die Punkte, die der Maler über das Kärtchen streute. Dann ein Handstrich über die Tas­tatur. Das war die gezeichnete Linie.
Spielen bedeutet, innerhalb eines Regelsystems, das immer wieder reflektiert werden muss, Freiheiten zuzulassen. Was für PädagogInnen vor allem dann eine Herausforderung darstellt, wenn sie sich entscheiden, nicht nur die Rolle des Beobachters, sondern die des Mitspielers einzunehmen. Gar nicht so einfach. Sich einem Spiel hinzugeben, heißt, Vorwissen über Bord zu werfen. „Als Lernpartner müssen Lehrer von ihrem Erfahrungsschatz zurücktreten“, so Nastoll. In ihren Modellstunden schafften dies Eva Erben und Eva Rautenberg hervorragend. Rautenberg entdeckte gemeinsam mit den Kindern die Welt der Trolle, Erben die der „gemalten“ Töne und Akkorde.
Alles andere als leicht ist es, die musika­lische Spiellust von Jugendlichen anzuschüren. Am ehesten gelingt dies noch mit neuen Medien. Wie musikalisch mit Computer und Smartphones gespielt werden kann, demonstrierte Musik- und Medienpädagoge Matthias Krebs von der Berliner Universität der Künste. In dem von ihm gestalteten „Spielraum“ lernten die Kongressteilnehmer, mithilfe des Apps ThumbJam ein Ostinato
für acht Smartphones aufzuführen. Ein Smartphone war als Kontrabass eingestellt, die anderen als Geige, Flöte, Bratsche oder Cello. Flach gehalten, gibt das „Instrument“ eher verhaltene Töne von sich. Je höher der Spieler es hält, desto lauter wird es.
Wie klassische Spiele Kinder ganz nebenbei zum musikalischen Lernen anspornen können, das demonstrierten Sina Horn und Nora Meyer von der Musikhochschule Würzburg. Das Gesellschaftsspiel Tabu zum Beispiel lässt sich sehr gut als spielerische Einlage in den Musikunterricht integrieren. Bei diesem Spiel treten zwei Teams gegeneinander an. Ziel ist es, einen gesuchten Begriff möglichst rasch zu erraten. Auf den Spielkärtchen stehen jedoch nicht nur Suchbegriffe wie „Mozart“, „Klavier“ „presto“ oder „Fuge“, sondern auch jeweils drei Tabuwörter, die beim Erklären des gesuchten Begriffs auf keinen Fall verwendet werden dürfen. Das macht die Begriffssuche so spannend.
Spielerische Brücken zur Musik lassen sich schließlich auch durch musikalische Puzzles bauen. Corina Nastoll hat solche Puzzles kreiert und ausprobiert. Dabei wird eine Komposition in verschiedene Puzzleteile zerlegt, die demjenigen, der das Puzzle zusammensetzen soll, in bunt gemischter Reihenfolge präsentiert werden. Der Anfang einer Komposi­tion taucht also irgendwo mittendrin auf. Das Ende ist an die zweite oder dritte Stelle geschmuggelt. Je nach Alter der SpielteilnehmerInnen kann ein einfaches Kinderlied wie Alle meine Entchen erpuzzelt werden – oder eine anspruchsvolle Komposition von Johann Sebastian Bach.

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