Rampe, Siegbert

Händel im Klavierunterricht?

Die Sarabande d-Moll

Rubrik: Praxis
erschienen in: üben & musizieren 5/2009 , Seite 34

Warum Händel und nicht Bach? Im Händel-Jahr 2009 wird sich ­mancher Pädagoge fragen, weshalb der ­keineswegs geringe Bestand an Händel’scher Klaviermusik im Unterricht nicht jenen Stellenwert besitzt, der seinen Blockflöten-, Querflöten- und Violinsonaten zukommt, ganz abgesehen von den Klavierwerken Bachs.

Drei wesentliche Ursachen sind es, die Händels Musik bislang einen festen Platz im Klavierunterricht verstellen:1 Viele Kompositionen rechnen mit einer Wirkung im Konzert, fallen technisch wesentlich anspruchsvoller aus als jene von Bach und verlangen zudem einen Spieler, der sich in der Lage fühlt, den Notentext mit Verzierungen und freier Improvisation anzureichern. Dies mag man eher einem Cembalisten zutrauen. Ich möchte jedoch zeigen, wie sich die Grundprobleme auf dem Klavier bereits im Anfängerunterricht lösen lassen.
Zunächst erscheint es wenig ratsam, mit einem der größeren Werke zu beginnen, etwa den so genannten Acht Großen Suiten HWV 426-433, welche der Komponist 1720 unter dem Titel Suites de Pieces pour le Clavecin herausgab, darunter auch die berühmten „Grobschmied“-Variationen („The Harmo­ni­ous Blacksmith“). Im Schwierigkeitsgrad zu anspruchsvoll und daher für AnfängerInnen ebenfalls ungeeignet sind ferner die meisten Chaconnes, obgleich manche davon zum ­Inhalt bewährter Anthologien zählen, beispielsweise die beiden G-Dur-Werke HWV 435 und 442 aus der so genannten Zweiten Sammlung HWV 434-442. Diese wurde unter demselben französischen Titel erstmals um 1730 veröffentlicht, zwar ohne Händels Mitwirkung, doch lohnt sich ein Blick auf den Band, weil er gut zugänglich und allgemein bekannt ist und außerdem Relikte der eigenen pädagogischen Tätigkeit des Komponis­ten einschließt.2 Der Halbwaise trug durch Unterrichten nämlich bereits seit 1697, also im Alter von zwölf Jahren, spätestens seit 1700 zum Lebensunterhalt seiner Familie in Halle an der Saale bei. In den Hamburger Jahren von 1703 bis 1706 lebte er sogar hauptsächlich von Klavierstunden und seit 1718 oder 1719 ließ es sich selbst der erfolgreiche Opernkomponist nicht nehmen, mindestens 25 Jahre lang Verantwortung für die musikalische Ausbildung der britischen Prinzessinnen zu tragen.
Der Unterricht fand in London auf dem Cembalo statt, in Deutschland hingegen überwiegend auf dem Clavichord – ein Hinweis, der Beachtung verdient, bietet dieses Instrument doch ähnliche dynamische Gestaltungsmöglichkeiten wie das moderne Klavier, obgleich es naturgemäß nicht dessen Fonzahlen zu erreichen imstande ist. Händel spielte und komponierte noch in späteren Jahren auf einem Clavichord, das er 1729 vom Kontinent mitbrachte.3
Unter den Kompositionen der Zweiten Samm­lung, entstanden für jenen Klavierunterricht, den Händel zwischen 1703 und 1706 in Hamburg erteilte, seien zunächst die drei Suiten Nr. 3 d-Moll HWV 436, Nr. 4 d-Moll HWV 437 und Nr. 5 e-Moll HWV 438 erwähnt, da es sich um hochwertige Literatur handelt, deren Qualität Bachs Französischen Suiten BWV 812-817 in nichts nachsteht, wogegen ihre spieltechnischen Anforderungen geringer ausfallen und für einzelne Sätze sogar An­fängerniveau erreichen. Indessen sind die Suiten Nr. 6 g-Moll HWV 439 und Nr. 7 B-Dur HWV 440, anscheinend noch aus Hallenser Zeit, pianistisch anspruchsvoller und musikalisch unreifer, entsprechend dem, was man von einem 14- bis 16-jährigen Komponisten erwarten mag.

1 ausführlich hierzu Siegbert Rampe: „Händels Klaviermusik – ein unbekanntes Terrain (Teil 1)“, in: Piano News 4/2009, S. 34-36.
2 Empfehlenswert sind die mehrbändigen Editionen von Händels Klaviermusik im Rahmen der Wiener Urtext Edition (hg. von Peter Williams) und der Hallischen Händel-Ausgabe (hg. von Terence Best) im Bärenreiter-Verlag.
3 Für sämtliche Angaben zu Händels Unterrichtspraxis, Instrumenten und Klaviermusik sowie deren Ausführung vgl. Siegbert Rampe (Hg.): Händels Instrumentalmusik (= Das Händel-Handbuch, Band 5), Laaber 2009.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 5/2009.