Humperdinck, Engelbert

Hänsel und Gretel

Das Liederspiel mit 4 Liedern für 2 Singstimmen und Klavier, Text des Liederspiels von Adelheid Wette

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2018
erschienen in: üben & musizieren 6/2018 , Seite 55

Dass eine der meistgespielten Opern nach Mozarts Zauberflöte eine eher intim-häusliche Vorgeschichte hat, ist vielleicht nicht allen bekannt, zumal Engelbert Humperdinck für seine märchenhaften Stoffe eine Tonsprache wählte, die eher mit Wagner und Strauss verbunden ist als mit klein besetzten Kammerspiel-Vertonungen. Mit dieser Veröffentlichung ist nun die Geschichte des Stoffs und sein allmäh­liches Wachsen bis zur spätromantischen Oper vollständig dokumentiert. Die Ausgabe bereichert die schon länger zugängliche „Singspielfassung“ von Hän­sel und Gretel um eine weitere Möglichkeit einer vereinfachten Aufführung.
Die Entstehungsgeschichte wird im Vorwort ausführlich dargestellt. Es handelt sich bei diesem Werk um eine Gelegenheitsarbeit zu einer Geburtstagsfeier für den Mann von Humperdincks jüngerer Schwester (Adelheid Wette) in Form eines durchgehend gereimten Textes einschließlich Szenen- und Regieanweisungen. An vier markanten Stellen werden Lieder eingestreut: das Tanz­lied Brüderchen, komm tanz mit mir, ein Schlummerliedchen In den Zweigen die Vögelein, der Morgenweckruf Tirelireli, ’s ist nicht mehr früh und das Echo im Walde Wer ruft mir im Walde doch alles nach. Dabei sind zwei dieser Lieder – das Tanzlied und der Morgenweckruf – auch in die endgültige große Opernfassung eingegangen.
Die Ausgabe enthält den komp­letten Text und alle vier Lieder mit Klavierbegleitung, die nicht ohne Anspruch ist, aber schon viele klangliche Ausblicke auf die endgültige Opernfassung beinhaltet. Fragt man nach den Realisierungsmöglichkeiten dieser „Miniaturfassung“ dramatisierten Märchenstoffs, so wird man am ehesten an eine Einführung und Hinführung zum Besuch des abendfüllenden Stücks denken. Doch könnte auch eine Erarbeitung nur mit Kindern reizvoll sein. Allerdings setzt dies viel Textarbeit voraus und verlangt Freude an gereimter Bühnensprache.
Die Lieder könnten auch chorisch mit Kinderchor realisiert und der Text eventuell gekürzt – ohne szenische Darstellung –, jedoch mit verteilten Rollen präsentiert werden, sozusagen konzertant. Dass die Sprache des ausgehenden 19. Jahrhunderts noch zahlreiche Anklänge an die eher biedermeierliche Vorstellung von Kindern enthält, dürfte nicht verwundern, lädt aber auch ein, sich über die Veränderungen hinsichtlich der Sichtweise von Kindern bewusst zu werden, und kann dazu beitragen, historische Perspektiven im Umgang mit künstlerischen Mitteln einzunehmen.
Thomas Holland-Moritz