Möbius, Gert

Halt dich an deiner Liebe fest

Rio Reiser

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Aufbau, Berlin 2016
erschienen in: üben & musizieren 6/2016 , Seite 51

Den Sänger und Pianisten Ralph Möbius kennt man besser unter seinem Künstlernamen Rio Reiser. Mit der Band Ton Steine Scherben wurde er zum Kult­musiker, sein Lied König von Deutschland wirkte weit über das linke Berliner Alternativ- und Hausbesetzermilieu der frühen 1970er Jahre hinaus als Persiflage auf politische und gesellschaftliche Allmachtsfantasien. Die musikalische Spannbreite Reisers lässt sich am besten ermessen, wenn man die Platte IV von Ton Steine Scherben hört, erschienen 1981, nachdem die Band sich aus der Berliner Szene ins norddeutsche Fresenhagen auf einen Hof zurückgezogen hatte. Die „Schwarze“, wie sie aufgrund ihres Covers genannt wird, ist ein akustischer und intellektueller Kompass ins Zent­rum eines künstlerischen Schaffens, das sich über Konventionen und Normen hinwegsetzte, in dem menschliche Schwächen einen Ort fanden, wo Dinge auf den Kopf gestellt wurden und Gleichgültigkeit kein akzeptabler Zustand war.
So stellt sich auch Rio Reisers Leben dar in der Biografie, die sein älterer Bruder Gert Möbius zwanzig Jahre nach Reisers frühem Tod geschrieben hat. Halt dich an dei­ner Liebe fest erzählt – bei geschwisterlicher Nähe kein leichtes Unterfangen – eine vom Wunsch nach gesellschaft­licher Veränderung und von künstlerischer und erotischer Leidenschaft geprägte Lebensgeschichte. Und obwohl Rio Reisers Pseudonym auf Karl Philipp Moritz’ Roman Anton Reiser zurückgeht, ist auch das Reisen programmatisch für sein Leben.
Unruhe und Umtriebigkeit prägten schon die Eltern Möbius. Der  Zweite Weltkrieg erfasste auch diese Familie. Es ging raus aus Berlin im Jahr 1943, als der Bombenkrieg der Alliierten begann; „Wir müssen hier raus!“ wird Rio Reiser später mit Ton Steine Scherben singen. Zurück in Berlin fiel das Haus, in dem die Familie nun wohnte, einer Bombe zum Opfer. In dieses unruhige, zerstörte Berlin, das ihm im Kielwasser der Studentenbewegung später zum Kraft- und Entfaltungsfeld werden sollte, wurde Ralph Möbius 1950 im Januar geboren, ehe die Familie die Stadt erneut Richtung Süddeutschland verließ. Dort fing er mit dem Klavierspielen an, ehe er wieder in die Stadt, später wieder aufs Land weiterzog.
Es kann einem beim Lesen so vorkommen, als sei der selbstvergessene, kindliche Modus, in dem sich Reiser aneignete, was ihm lieb war, der glücklichste gewesen. Zahlreiche Tagebuchaufzeichnungen, die zu veröffent­li­chen sich Gert Möbius entschieden hat, sprechen eine andere, melancholische, einsame Sprache. Man hätte sich ihre bisweilen etwas langatmige Alltäglichkeit nicht unbedingt in epischer Breite gedruckt gewünscht.
Lesenswert ist das Buch allemal durch die gelungene Verbindung von zeitgeschichtlichem Kontext und Reisers Weg zum kompromisslosen, an kommerziellem Er­folg wenig interessierten Künstler.
Beate Tröger