© D. Hölbling

Hölbling, Daniela

Herz und Verständnis für Musik öffnen

Im „Vivaldi-Projekt“ Graz erhalten acht Kinder kostenfrei Einzelunterricht an der Violine von Studierenden der Musikuniversität

Rubrik: Bericht
erschienen in: üben & musizieren 4/2023 , Seite 44

Antonio Vivaldi, der berühmte venezianische Geiger und Komponist, der als Pionier des Solokonzerts in die Musikgeschichte einging und mit seinen Quattro Stagioni eines der weltweit populärsten Stücke schrieb, zeigte in Venedig noch eine ganz andere Facette seines Wirkens: Mit großer Hingabe unterrichtete er am Ospedale della Pietà, einem Waisenhaus für Mädchen, meist mittellose Kinder und Jugendliche, denen er die Musik als eine Perspektive aus der unverschuldeten Misere erwachsen ließ. Angelehnt daran und angepasst an die Bedingungen unserer heutigen Gesellschaft rief die Geigerin und Professorin Ida Bieler 2010 in Düsseldorf das „Vivaldi-Projekt“ ins Leben. Nun hat die preisgekrönte Initiative ihren Weg nach Österreich, in die steirische Landeshauptstadt Graz, gefunden.

Das „Vivaldi-Projekt“ verfolgt zwei Ziele: Zum einen möchte es Kindern aus weniger privilegierten Familien frühe musikalische und ins­trumentale Förderung ermöglichen, zum anderen lernen Studierende der Universität für Musik, junge SchülerInnen zu unterrichten. Die Studierenden werden dabei durch wöchentliche Supervision unterstützt. Sie erhalten nach jeder Unterrichtseinheit Feedback und zudem Leistungspunkte im Rahmen eines freien Wahlfachs an der Universität.
Möglich geworden ist das durch die Kooperation zwischen der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz – allen voran dem Ins­titut für Saiteninstrumente: dort werden die Studierenden ausgewählt –, dem Johann-Joseph-Fux Konservatorium Graz, dem die Projektleitung obliegt, das aber auch die Ins­trumente für die Kinder zur Verfügung stellt, und der Stadt Graz, die sich um die Räumlichkeit kümmert, damit der Unterricht stattfinden kann.
Die Eltern der Kinder sind eingeladen, im Unterricht anwesend zu sein, um die Kinder beim Üben zu Hause unterstützen zu können. Zusätzlich zu den wöchentlichen Einzelunterrichtsterminen finden in regelmäßigen Abständen „Geigenpartys“ statt, wo die Kinder bereits Erlerntes einem Publikum präsentieren. Dabei stehen der über alle Nationen und Sprachgrenzen hinweg verbindende Charakter des gemeinsamen Musizierens und insbesondere die Freude daran im Mittelpunkt. Das Sich-Ausprobieren auf der Bühne, das Sammeln von Auftrittserfahrungen sowie die Bewältigung von Auftrittsängsten lässt – beinahe nebenbei – das Selbstbewusstsein der Kinder wachsen. Die Kinder werden auf jedem einzelnen ihrer Schritte von den Studierenden begleitet und unterstützt. Die Studierenden lernen ihrerseits – über das wöchentliche Unterrichtsgeschehen hinaus –, die Kinder adäquat auf ihre ersten Bühnen­erfahrungen vorzubereiten, sie zu motivieren, Neues auszuprobieren und dabei Ängste zu nehmen, aber auch Schülerkonzerte zu planen und zu moderieren.
Im Rahmen des Auswahlprozesses der Kinder für das Projekt war das Grazer Vivaldi-Team – getreu seinem Namenspatron – im Besonderen darauf bedacht, jenen Kindern einen Platz im Programm anzubieten, die anderweitig keine Möglichkeit hätten, ein Ins­trument zu lernen und in die Welt der Musik aus eigenem Antrieb vorzustoßen. Die Kernphilosophie des Projekts ist nicht, angehende SolistInnen heranzubilden, sondern vielmehr, das allgemeine Interesse an Musik und musikalischer Kommunikation zu wecken, Herz und Verständnis für Musik zu öffnen und jungen Menschen neue Perspektiven durch die Musik zu eröffnen. In einzigartiger Weise verbindet die Initiative dabei Menschen unterschiedlicher Herkunft und Altersgruppen in ihrer Liebe zur Musik.

Nach mehrjährigen Vorarbeiten, in denen die Düsseldorfer Initiative an die Grazer Gegebenheiten angepasst werden konnte, springt der Funke in Graz nun über: „Ich suche noch nach Möglichkeiten zu unterrichten und zu lernen, auch von den Schülerinnen und Schülern, damit ich selbst besser werde als Lehrerin. Aber es ist für mich auch etwas ganz Schönes, es Kindern zu ermöglichen, etwas zu lernen, wozu sie sonst vielleicht keine Möglichkeit hätten“, erklärt Catharina Liendl, eine der Studierenden. Sie ist begeistert von ihren kleinen Nachwuchsmusikerinnen: „Ich habe zwei sehr motivierte und talentierte Schülerinnen, die beide das Angebot, dass sie den Unterricht gratis bekommen, sehr ernst nehmen. Sie kommen sehr gut vorbereitet, das macht große Freude, auch wenn man die Fortschritte sieht.“
Der Unterricht im Rahmen des Projekts ist zunächst auf vier Semester angelegt. Danach soll es den talentiertesten jungen MusikerInnen ermöglicht werden, regulären Unterricht an einer Musikschule zu erhalten. Mit Hilfe von Sponsoren wird das dem Grazer Vivaldi-Team hoffentlich gelingen! Die Träume der jungen TeilnehmerInnen fliegen jedenfalls hoch: „Das Streichen, das Zupfen, ich mag einfach alles“, erklärt die siebenjährige Anna voller Eifer. Und Iris schwärmt vom „schönen Klang, wenn ich Lieder spiele“. „Ich werde auf jeden Fall weiter Geige spielen, denn ich möchte, wenn ich groß bin, mehrere Instrumente spielen, so wie meine Lehrerin“, sagt Mariama und Anna fügt entschlossen hinzu: „Ich möchte immer Geige spielen.“

Lesen Sie weitere Beiträge in Ausgabe 4/2023.