Hagena, Katharina

Herzkraft

Ein Buch über das Singen

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Arche, Hamburg 2022
erschienen in: üben & musizieren 4/2022 , Seite 57

Singen soll glücklich machen, Singen soll klüger machen und Singen soll verbinden. Singen soll so alt wie die Menschheit sein und Singen soll möglicherweise dem Sprechen vorangegangen sein. Bei all diesen wunderbaren Wirkweisen verwundert es dann kaum, dass Singen Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Untersuchungen ist, dass Singen zu literarischen Äußerungen inspiriert hat und Inhalt zahlreicher Gedichte geworden ist.
Einige dieser Gedichte wählt die Autorin und Chorsängerin Katharina Hagena aus und verwendet sie gewissermaßen als Auftakte für die Kapitel ihres Buchs Herzkraft. Annette von Droste-Hülshoffs Das Hirtenfeuer ermuntert Hagena beispielsweise zu autobiografischen Äußerungen. Im Kapitel „Mundorgel“ wird erläutert, welche Rolle das Singen für Familie Hagena beim Autofahren gespielt hat. Überhaupt scheint Katharina Hagenas Familie mit dem Singen eng verbunden zu sein, was auch im Kapitel „Atem I“ am Beispiel ihrer Tante Charlotte deutlich wird.
Rainer Maria Rilkes Die Insel der Sirenen inspiriert die Autorin zum ausgesprochen spannenden ­Kapitel „Sirenen“. Reflektiert schreibt sich Hagena durch Homers Odyssee und fragt beispielsweise danach, wie die Sirenen denn nun eigentlich klangen. Im Kapitel „Joyce“ erläutert sie die vielschichtige Bedeutung des Singens in James Joyces Roman Ulysses. Ausgesprochen interessant auch ihre Beobachtung im Kapitel „Schweigen“, dass nach dem Singen der soeben er­klungene Gesang noch kurz „unter der Decke hängt“, sich auflöst, „aber irgendwelche transparenten Klangfetzen schweben trotzdem noch ab und zu ans Ohr“.
Herzkraft kommt weder als Roman daher noch als Sachbuch oder Autobiografie: Herzkraft ist vielmehr die episodenhafte Aneinanderreihung der Auseinandersetzung der Autorin mit dem Themenfeld „Singen“. Enthalten sind autobiografisch gefärbte Kapitel, Beobachtungen als praktizierende Laienchor-Sängerin sowie reflektierende Kapitel, die sich mit singenden Frauengestalten in der Literatur beschäftigen. Hierzu gehören neben den bereits erwähnten Sirenen auch Nymphen, Musen und andere. Diese mehrdimensionale Auseinandersetzung mit dem komplexen Themenfeld Singen gelingt in vielen Kapiteln sehr überzeugend und am überzeugendsten vielleicht dann, wenn Katharina Hagena sich mit literarischen Stoffen auseinandersetzt.
Dies stellt möglicherweise auch ein Problem des Buchs dar: Herzkraft ist vermutlich vor allem für diejenigen interessant, die sowohl ein hohes literarisches Interesse als auch ein hohes literarisches Vorwissen mitbringen. Ob dies tatsächlich eine Schwäche oder vielleicht auch eine Stärke des Buchs ist, sei dahingestellt.
Raika Lätzer