Ardila-Mantilla, Natalia / Peter Röbke / Christine Stöger / Bianka Wüstehube (Hg)

Herzstück Musizieren

Instrumentaler Gruppenunterricht zwischen Planung und Wagnis

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Schott, Mainz 2016
erschienen in: üben & musizieren 1/2017 , Seite 50

„Musizieren als Herzstück des instrumentalen Gruppenunterrichts?“ Diese Frage stellte ein Symposium der Musikhochschulen Köln, Linz und Wien im März 2015, dessen Zusammen­fassung nun vorliegt. Eröffnet wird der Band mit einem Artikel der JeKi-Forscherin Ulrike Kranefeld, die das Lehrerhandeln im Ruhrgebiet mit Videostudien untersucht hat. Sie weist ausdrücklich darauf hin, dass sich ihre Ergebnisse nur auf JeKi-Ruhr beziehen. Dennoch liefern die beforschten Unterrichtseinheiten Erkenntnisse über Strategien und Inszenierungsmuster beim Umgang mit der Heterogenität in Gruppen. Kranefelds Artikel ist der einzige im Buch, der einen direkten ­Be­zug zu einem Grundschulprogramm herstellt und Unterschiede zwischen Gruppenunterricht im Grundschulkontext und im traditionellen Musikschulunterricht thematisiert.
Elisabeth Aigner-Monarth und Natalia Ardila-Mantilla beschreiben das Lehrerhandeln mit dem Bild eines Mischpults, auf dem verschiedene Aspekte des Unterrichts zwischen den Polen explizites und implizites Lernen eingestellt werden. Peter Röbke sucht in der Geschichte der (deutschsprachigen) Instrumentalpädagogik Bezüge zum „unverfügbaren Musiziermoment“. Philosophisch geprägte Beiträge stammen von Ulrich Mahlert („Glück im Musizieren“) und von Wolfgang Lessing. Letzterer beschreibt Antinomien, also unauflösbare Gegensätze, im Instrumentalunterricht und den „Akt des Musizierens“, in dem diese nicht gelten.
Wesentlich direkter auf die Unterrichtspraxis bezogen ist Bianka Wüstehubes modellhafte Beschreibung ihres eigenen Instru­mental­unterrichts und dem ihrer Studierenden in Linz. Das gemeinsame Musizieren wird klar als Methode benannt, mit der ein Instrument erlernt werden kann. Weitere Praxisbezüge liefern die Zusammenfassung unterschiedlicher Projekte, die sich beim Sym­posium in einer Posterses­sion präsentierten, und eine Forschungsarbeit von Natalia Ardila-Mantilla zum Selbstverständnis österreichischer Musikschullehrkräfte. Michael Rappe und Christine Stöger beschreiben zusätzlich den Breakdance („Breaking“) als eine „sich selbst regulierende Lernkultur mit hoher Sogwirkung“.
Es ist richtig und überfällig, dass die Gestaltung von Gruppenunterricht ins Zentrum der instrumentalpädagogischen Fachdiskussion gerückt wird. Es gibt Defizite auf allen Ebenen. Das Verständnis der Texte im Buch ist ­jedoch oft mühsam, weil der scheinbar so selbstverständliche Begriff des „Musizierens“ bewusst nicht kulturell und didaktisch differenziert wird.
Musizieren verstehen die Autorinnen und Autoren teilweise als Methode zum Erreichen eines bestimmten Unterrichtsziels, an anderen Stellen auch als Methode zum Erreichen einer bestimmten Prozessqualität im Unterricht und manchmal ist das Musizieren selbst auch das angestrebte Lernziel. Welche Musik erklingen soll und wie das wiederum zu erreichen ist, thematisiert das Buch allerdings nicht.
Erkennbar ist das Bemühen, Grundlagen für den JeKi-Nachfolger JeKits in NRW zu schaffen, daher schreibt auch Programmleiterin Birgit Walter in diesem Band. Insofern ist das Buch wichtig für alle, die mit diesem Programm befasst sind. Dabei ist bemerkenswert, dass Walter einen „Kompetenzkatalog“ und ein Curriculum klar ablehnt. Doch JeKits muss sich dann fragen lassen, worum es eigentlich geht: Soll denn ein Instrument erlernt werden oder nicht? Wie steht es um die Anschlussfähigkeit des Programms, mit welchen Fähigkeiten können Musikschulen rech­nen, die den Unterricht nach den zwei JeKits-Jahren fortsetzen?
Beim Ausgangspunkt des Buchs, dass im Gruppenunterricht zu wenig „erfüllt und authentisch“ musiziert würde, habe ich allerdings vollständig andere Eindrücke. Wer sich davon überzeugen will, könnte zum Beispiel die ­Videos der Hamburger JeKi-Konzerte betrachten (bildungsserver.hamburg.de/videos).
Im Grunde bin ich aber in vielen Aspekten mit den AutorInnen einer Meinung: Das Musizieren als Methode auch schon eines Anfangsunterrichts ist für mich zwingend erforderlich. Mir fehlt jedoch das Ziel einer „eigen­ständigen Musizierfähigkeit“ der SchülerInnen. Diese musikalische Mündigkeit ist für mich das wichtigste am Instrumentalunterricht und sie lässt sich schon sehr früh herstellen.
Der von Bianka Wüstehube dargestellte Musizierunterricht führt nach meiner Auffassung nicht zu diesem Ziel. Hier wird zwar viel musiziert, jedoch kann der beschriebene Unterrichtsprozess nur mit durchgehender Lehrerunterstützung, teilweise mit starker Lehrerdominanz gestaltet werden.
Jörg Sommerfeld