Herbst, Sebastian

Hexenfingernägel

Assoziationen in der Vermittlung ­elementarer instrumentaler Fertigkeiten

Rubrik: musikschule )) DIREKT
erschienen in: üben & musizieren 5/2016 , musikschule )) DIREKT, Seite 10

„Als hättest du so ganz lange Hexen­fingernägel – und dann stichst du immer ­irgendwo rein, so bäh bäh bäh.“ Haben Sie erkannt, was die Klavierlehrerin der Schülerin erklären möchte?

Die hier zugrundeliegende und videografierte Klavierunterrichtsstunde (Abb. 1) beschäftigt sich mit einer Einführung in die Staccato-Spielweise, eine der elementaren instrumentalen Fertigkeiten, deren Ausführung SchülerInnen nicht so ganz einfach zu vermitteln ist.
„Der Punkt sagt dir, mach den Ton so kurz, dass du wirklich nur einen Punkt auf die Taste machst“, so „als wenn das alles ganz heiß wär. Dann fasst du an und ‚hoa!‘, ich hab mich verbrannt.“ Das sind Assoziationen, die die Lehrerin nutzt, um die neue technische Herausforderung und die damit erforderliche Spielbewegung zu verdeutlichen und verständlicher zu machen. Vielleicht kommen Ihnen diese Bilder aus Ihrem Unterricht bekannt vor!?

Sprache als Methode

„Unterrichten ist ohne die Verwendung der Sprache nicht möglich.“1 „Die gekonnte Verwendung der Sprache ist Teil des pädagogischen Handwerks“,2 und so ist auch der Instrumentalunterricht „auf die Sprache als dem wahrscheinlich wichtigsten Kommunikationsmedium zwischen Menschen angewiesen“3 und als grundsätzliches „methodisches Hilfsmittel im Instrumentalunterricht“4 bzw. Vokalunterricht anzusehen. „Sprache ist das zentrale Unterrichtsmedium“5 und ein wichtiger Bestand­teil vieler Methoden wie der des Nachahmungslernens. „Vormachen und sprachliches Vermitteln bilden keine Gegensätze, sondern sie ergänzen sich.“6
Sprache selbst kann dabei zum Medium des Vormachens werden, wenn durch die Verwendung von Assoziationen Vorstellungen im Kopf der SchülerInnen initiiert werden oder musikalische Parameter, sprachlich betrachtet prosodische Merkmale, auf verbale Erläuterungen übertragen werden, die beispielhaft für das zu erlernende Element stehen. Der zweite Fall zeigt sich in dieser Unterrichtsstunde zum Beispiel durch eine sehr deutlich betonte und kurze Aussprache des Staccato-Begriffs mit gleichzeitiger Stechbewegung in Richtung Klaviatur: „Staccato! – Das klingt schon so. – Staccato!“ (Abb. 2)

Assoziatives Lehren

Auch zur Vermittlung elementarer instrumentaler Fertigkeiten nutzen Lehrende Beschreibungsmöglichkeiten aus außermusikalischen Bereichen, die sie auf die Musik übertragen, da sie nicht ausschließlich auf ein konventionalisiertes Vokabular zur Beschreibung von Musik zurückgreifen können.7 Das zeigt sich sprachlich vor allem in präzisen Beschreibungen durch Mehrfachattribuierungen in einer sehr bildhaften assoziativen Sprache, über deren Bildhaftigkeit sich Lehrende durch häufigen Gebrauch oft nicht mehr bewusst sind.8
Es ist aber eben nicht vorauszusetzen, dass die SchülerInnen die gewählten Bilder nachvollziehen bzw. auf das Instrument übertragen können. Sicher bieten sich insbesondere Bilder an, die an die Erfahrungswelt der SchülerInnen anknüpfen,9 aber dennoch bleibt der Weg von der verbalen Erläuterung bis zur Übertragung auf das Instrument ein sehr komplexer Prozess. Dieser erfordert von Seiten der SchülerInnen ein intensives Voraushören und eine Vermutung über die dazugehörigen motorischen Bewegungsabläufe, die immer wieder mit dem produzierten Klangergebnis abzugleichen sind. Die gedank­liche Vorstellung bilden SchülerInnen dabei aus der Synthese von verbalen Erläuterungen, vorgespielten oder vorgesungenen Passagen der Lehrkraft und der Grundlage ihrer eigenen Erfahrungen im Umgang mit ihrem Instrument.

Elementare ­Interpretationsarbeit

Ulrich Mahlert schreibt, dass musikalische Interpretation als „Auffassung und Wiedergabe ‚von‘ etwas ‚als‘ etwas“ beschrieben werden kann. „Im jeweiligen ‚als‘ liegt die Besonderheit einer Interpretation.“10 Mit dieser Definition lässt sich am eingangs erwähnten Beispiel ableiten, dass schon im Anfangsunterricht in gewisser Weise interpretatorisch mit Vortragsbezeichnungen und Spielanweisungen umgegangen wir.
Der im Beispiel genannten Lehrerin reicht es eben nicht aus, dass die Schülerin die Töne voneinander trennt (ital. staccare = trennen). Infolgedessen versucht sie, der Schülerin mit vielen weiteren kreativen Ideen und Erläuterungen ihre Klangvorstellung des Staccato-Spiels zu vermitteln, wobei auch hier „als etwas“-Formulierungen genutzt werden.
Daraus lassen sich zwei grundlegende Annahmen formulieren:
1. Der Bewegungsablauf zur Hervorbringung einer Artikulationsweise am Instrument ist höchstgradig komplex, sodass durch einen Vergleich mit ähnlichen Bewegungen aus der Erfahrungswelt der SchülerInnen versucht wird, die Bewegung nachvollziehbarer und natürlicher zu machen.
2. Auch elementare instrumentale Fertigkeiten und damit verbunden neue motorische Herausforderungen lassen sich nicht unabhängig von der Wirkung, die sie auf die Musik haben, vermitteln, sodass verbale Erläuterungen auf assoziative Mittel zur Klangbeschreibung angewiesen sind.

Assoziationen und ­Tonerzeugung

Eine Analyse verschiedener Klavierschulen zeigt sehr deutlich die große Varianz an Möglichkeiten zur Beschreibung einer einzelnen Artikulationsart. Zur Beschreibung der Staccato-Spielweise finden sich Vergleiche zum „Reiten, Hüpfen, Springen, Tanzen“ und natürlich auch zum beliebten Bild der „heißen Herdplatte“. Nicht zuletzt sind Vergleiche zu anderen Instrumenten – beispielsweise „das Zupfen einer Laute“ oder „das Streifen von Banjosaiten“ – zu finden, und zwar sowohl in den Begriffserläuterungen als auch in den Titeln der ausgewählten Beispielstücke, denen gegebenenfalls ein entsprechendes Bild hinzugefügt ist.
Der Vergleich mit Instrumentalschulen anderer Instrumente weist große Unterschiede in der Beschreibung der Staccato-Spielweise auf. Lehrende für Blasinstrumente rufen z. B. die Aussprache verschiedener Laute wie „ta, tat, dat, töt, döt“ vor der Produktion eines Staccato-Tons in die Erinnerung der SchülerInnen, wohingegen Gerhard Mantel den Vorschlag macht, die Bewegung des Staccato-Spiels auf der Violi­ne mit dem Drehen eines Schraubenschlüssels oder Schlüssels zu vergleichen.11
Allen gemeinsam ist die grundlegende Definition der Trennung einer Note von der vorherigen und nachfolgenden Note. Bedingt durch die unterschiedlichen Artikulationsorte und -organe zur Tonerzeugung am jeweiligen Instrument werden dazu aber notwendigerweise ganz unterschied­liche Assoziationen aus der Erfahrungswelt der SchülerInnen genutzt.

Besonderheiten in inklusiven Settings

Assoziationen zur Vermittlung elementarer instrumentaler Fertigkeiten gehören zum Alltag von Instrumentallehrenden, die diese häufig aus Gewohnheit in ihrem Unterricht verwenden, ohne sie in der jeweiligen Situation noch einmal zu reflektieren. Der Bezug zur Musik ist für sie dabei eindeutig. Es kann aber nicht vorausgesetzt werden, dass er für SchülerInnen ebenso eindeutig ist. Gerade im inklusiven Instrumen­talunterricht, aber auch im Instrumentalunterricht ohne inklusives Setting, können bereits viel grundlegendere Begriffe Schwie­rigkeiten mit sich bringen. Ganz selbstverständlich spricht die Lehrkrafte z. B. von höheren und tieferen Tönen, setzt oben und unten bzw. hohe und tiefe Töne in Verbindung mit rechts und links der Klaviatur und beschreibt die Klangfarbe syn­ästhetisch als hell bzw. dunkel (Abb. 3).

Eine Sammlung von Begriffen zu Tonlängen aus videografierten Unterrichtsstunden (weitere Begriffe wären denkbar) weist eine ähnlich starke Problematik auf. Tonlängen werden nicht nur als „kurz“ oder „lang“, sondern in Relation zueinander z. B. als „zu kurz, sehr kurz, nicht übermäßig lang“ oder „viel länger“ beschrieben und den SchülerInnen auf dieser Weise als Verbesserungsvorschläge genannt: „Das fis war zu kurz. Du musst das fis viel länger halten.“ (Abb. 4)

Sprachreflexion als Bedingung

Eine Anforderung an den (inklusiven) Inst­rumentalunterricht bzw. Instrumentallehrenden muss daher die permanente Reflexion der eigenen Sprache sein, vor allem dann, wenn SchülerInnen Verbesserungsvorschläge nicht so umsetzen, wie es gewünscht ist. Die eigentliche Fehlerquelle kann bereits im Missverstehen der verbalen Erläuterungen des Lehrers liegen. Assoziationen weisen dabei aufgrund ihrer Komplexität ein sehr großes Fehlerpotenzial auf. Aber auch Begriffspaare wie „kurz/ lang“ oder „hell/dunkel“ müssen den SchülerInnen zunächst musikalisch erfahrbar gemacht werden, bevor mit diesen Begriffen gearbeitet werden kann.
Laut Lehrplan ist „durch bildhafte Vergleiche für anregende musikalische Zielvorstellungen zu sorgen, an denen sich die SchülerInnen mit ihrem Spiel orientieren können“.12 Aber die Verwendung bildhafter Vergleiche kann nur dann hilfreich sein, wenn diese reflektiert eingesetzt werden und sich in der Erfahrungswelt der SchülerInnen befinden bzw. dort hineingebracht werden.
Setzen Ihre SchülerInnen die verbalen Erläuterungen nicht in Ihrem Sinne um, so könnte es aber auch sein, dass diese nicht oder nicht hinreichend auf das gewünschte Klangergebnis abzielen. Reflektieren Sie daher gerade in solchen Fällen Ihre Erläuterungen und versuchen Sie, diese treffender hinsichtlich des gewünschten Klangergebnisses zu formulieren.

1 Anselm Ernst: Lehren und Lernen im Instrumentalunterricht. Ein pädagogisches Handbuch für die Praxis, Mainz 1999, S. 75.
2 ebd., S. 152.
3 Ursula Brandstätter: Musik im Spiegel der Spra­che. Theorie und Analyse des Sprechens über Musik, Stuttgart 1990, S. 9.
4 Marc Mönig: „Musik als sinn-voll erfahren. Sprache als methodisches Hilfsmittel im Instrumentalunterricht“, in: üben & musizieren 5/2009, S. 18.
5 Anja Bossen: „,Spielst du wieder die B-Leitung?‘ Angemessene Sprache im Musikschulunterricht bedarf der besonderen Aufmerksamkeit der Lehrkräfte“, in: musikschule )) DIREKT 6/2015, S. 6.
6 Ulrich Mahlert: „Nachahmungslernen im Instru­mentalunterricht. Möglichkeiten und Probleme“, in: Hans Günther Bastian: Musik be-greifen. Künstlerische Ausbildung und Identitätsfindung, Mainz 1999, S. 70.
7 vgl. Hartmut Stöckl: „An den Grenzen des Sag­baren. Schreiben über Musik – Sprachliche Res­sour­cen der Klangbeschreibung“, in: Kodikas, Code Ars Semeiotica, Tübingen 2012, S. 145-165.
8 vgl. Ursula Brandstätter: Grundfragen der Äs­the­tik. Bild – Musik – Sprache – Körper, Köln 2008, S. 175 f.
9 vgl. Beate Mitzscherlich: Musikpsychologie im Instrumentalunterricht – eine Einführung, Leipzig 2008, S. 87-90.
10 Ulrich Mahlert: „,Ehrsucht‘ und ,mässige Lus­tig­keit‘. Johann Sebastian Bachs Sarabande a-Moll für Flöte solo“, in: üben & musizieren 3/2015, S. 27.
11 vgl. Gerhard Mantel: „,Als ob‘. Vergleiche, Analogien und Assoziationen in der Übepraxis“, in: üben & musizieren 5/1998, S. 6-11.
12 Verband deutscher Musikschulen (Hg.): Lehrplan Klavier, Kassel 22010, S. 9.