Schweitzer, Benjamin

hidden tracks

für Akkordeon (2008/2009)

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2010
erschienen in: üben & musizieren 5/2010 , Seite 62

Das Akkordeon führt eine glückliche Ehe mit der Neue-Musik-Szene. Unzählbar groß ist mittlerweile die Zahl fantastischer und kläglicher Stücke. Wozu ein Werk am Ende gezählt wird, hängt dabei nicht nur vom Ruf des Komponisten ab. Letztlich bestimmen dies die Qualität der Komposition und die Qualität der Instrumentation. Beide Aspekte sind getrennte Parameter, was sich auch am beachtlichen Werk Benjamin Schweitzers zeigt.
Mit „tracks“ meint Schweitzer Tonspuren, Schichten, die er immer wieder überlagert, daraus einzelne Töne, Intervalle oder Geräusche extrahiert. Er meint aber auch „versteckte tracks“ einer Aufnahme, auf der noch etwas Unvorhersehbares folgt.
Akkordschichtungen prägen das Klangbild und erzeugen Ebenen. Rhythmische Streuung und diffuse Wechsel einzelner Bestandteile halten alles in der Schwebe. Die Dynamik befindet sich in Grenzbereichen zwischen Unhörbarem, Geräuschhaftem und schreiend Lautem, was den Eindruck des Ringens um Linie und Klangsicherheit klug verstärkt.
Allein die Isolierung von sich wiederholenden Intervallen oder Einzeltönen aus Ballungen wirkt wie Klärung. Es scheinen sich dabei Präferenzen herauszuschälen. Ein Eindruck, der im Verlauf aber stets hinterfragt wird. Nichts klärt sich, alles bleibt im offenen Fluss, verläuft sich im Meer von Farben und Nuancen. Die Space-Notation im gesamten zweisätzigen Werk entspricht dem trotz schwerster Rhythmik außer zu Beginn des zweiten Satzes nie rhythmisch wirkenden Geschehen. Das gibt dem Werk etwas Zeitvergessenes, erschwert aber doch die Erarbeitung.
Doch wir wollen den Interpreten nicht vergessen. Ihn bedenkend kann man sich an der hohen Qualität des Computersatzes erfreuen. Ein Lob insofern an den Herausgeber. Schade nur, dass wahrscheinlich Unerfahrenheit desselben dazu führt, dass man oft nicht weiß, ob die Registrierung Einfluss auf die Oktavlage nehmen soll oder nicht. Hier bedarf es dringend einer klärenden Bemerkung in der Legende!
Ebenfalls bedauerlich sind Abweichungen von üblichen akkordeontypischen Bezeichnungen wie Bellows Shake u. a., was Verwirrung erzeugt und Spielraum für Spekulation lässt, wo doch sonst alles so wunderbar korrekt notiert ist. Letztlich noch eine Kleinigkeit: Man mag bedauern, dass die linke Hand des Akkordeons sehr weit unter der rechten Hand instrumentiert ist. Hier hätte eine bessere Nutzung der großen Schnittmenge beider Manuale gewiss die gewollte Diffusion verstärkt. Eine Abnutzungserscheinung der Klangcharakteristik nach den stets unwägbaren Pausen hätte noch sicherer vermieden werden können. Vielleicht darf man hier InterpretInnen einen freien Umgang mit der Manualaufteilung empfehlen.
hidden tracks kann trotz anklingender Kritikpunkte als dankbares Stück neuen Tonfalls für die Akkordeonszene gelten. Es verdient Beachtung und Einzug in die Konzertprogramme – und Verbesserungen an der Ausgabe.
Gerhard Scherer