Trinkewitz, Jürgen

Historisches Cembalospiel

Ein Lehrwerk auf der Basis von Quellen des 16. bis 19. Jahrhunderts / Cembalowerke des 16. bis 18. Jahrhunderts. Notenband

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Carus, Stuttgart 2009
erschienen in: üben & musizieren 4/2010 , Seite 55

Eine umfassende Cembaloschule auf der Basis von Quellen des 16. bis frühen 19. Jahrhunderts zu konzipieren, ist ein ehrgeiziges Unterfangen, das erst einmal Fragen nach der Methodik aufwirft. Jürgen Trinkewitz stützt sich vor allem auf historische Instrumentalschulen und stellt eine thematisch gut gegliederte Zusammenschau dieser schriftlichen Quellen zusammen, von physiologischen Hinweisen zum Sitz am Instrument bis zu den Grundlagen der Spieltechnik. Eine Einführung in Ornamentik, aufführungspraktische Grundlagen wie Tonartencharakteristik, musikalische Rhetorik, Akzentuierungsregeln, Affektenlehre, Tempohinweise und eine gründliche Bibliografie verleihen der Veröffentlichung tatsächlich den Charakter eines Standardwerks, das nicht nur Cembalo- oder Klavierstudierenden ein wertvolles Nachschlagewerk sein wird.
Ein kurzer übersichtlicher Abriss zur cembalistischen Organologie bereichert das Buch ebenso wie Hinweise zum Stimmen, zur Cembalopflege, dem Saiten-aufziehen oder Kiele-schneiden. Dass Trinkewitz eher von Kunststoffplektren ausgeht (der Umgang mit Vogelfederkielen wird nur kurz beschrieben), wird ihm bei orthodoxen Cembalokollegen sicher Kritik eintragen.
Dass die Vermittlung über Wort und Sprache nur ein Teilbereich musikdidaktischen Handelns ist und war, ist dem Verfasser bewusst, allerdings zieht er keine Konsequenzen daraus. Hier steht er in überlieferter philologisch geprägter Auswertung von Quellen, wie sie unsere akademische Musikausbildung seit dem 19. Jahrhundert prägt. Dass musikalische Erziehung bis zum Ende des 18. Jahrhunderts auf einer nahezu gleichwertigen Balance der Bereiche Vortrag (Interpretation), Improvisation und Theorie (Komposition) beruhte, wird heutzutage meistens zugunsten der Interpretation mit einem minimalen Anteil an Theorie entschieden.
Eine Cembaloschule im alten Sinne könnte z. B. Anregungen zu improvisatorischen Aufgaben oder Lernen aus gestischem Spiel geben, wie es in jüngerer Zeit Arbeiten Heiner Klugs (Klavierspiel zwischen Virtuosität und Virtualität) gezeigt haben, oder wie Joel Speerstra (u. a. in Bach and the Pedal Clavichord) rhetorische Figuren als unmittelbare Anregungen zu Spielbewegungen werten und pädagogisch nutzen. Dass Trinkewitz solche Ansätze nicht einbezieht, soll sein Verdienst nicht schmälern, aber seine Position beschreiben.
Gravierender sind die Übernahme einiger falscher Informationen: So druckt er Anna Lindes 1961 erschienene teils irreführende, teils falsche Übersetzung von Couperins Anweisung zum Cembalospiel ab (sie übersetzt z. B. „mouvement“ mit „Rhythmus“ oder missversteht die doppelte französische Verneinung) – das sollte heutzutage nicht mehr passieren.
Der Notenband bietet mit 16 Kompositionen eine ordentliche Übersicht über einige Höhepunkte aus 300 Jahren Cembalorepertoire, wobei Trinkewitz seine Anthologie aus eher wenig bekannten Werken zusammenstellt.
Wolfgang Brunner